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Fanfare statt Einmarschbefehl

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 2 Min.

Für den durschnittlichen Wutbürger gibt es seit jeher drei stammtischkompatible Feindbilder: die gierige Spritpreismafia, die noch gierigere Politik im Allgemeinen und das Gebühren verschwendende öffentlich-rechtliche Fernsehen - für viele die Steigerung eines gesellschaftlichen spätrömischen Sündenpfuhls. Während die Volksvertretung über Ostern freie Tage nahm und höchstens über Schlaglöcher sinnierte und während die Mineralölkonzerne über die Feiertage nicht so stark wie sonst an den Benzinpreisen drehten, rüstete sich die ARD schon einmal mit einer umfassenden Vorabberichtererstattung für den erwarteten Shitstorm. Immerhin feierte mit der »Tagesschau« am Samstag die altehrwürdige Mutter aller deutschen Nachrichtensendungen Premiere in ihrem neuen Studio.

Das Weltgeschehen ändert sich zwar nicht durch eine neue Form der Präsentation, doch dafür lassen sich Kriege, Ukraine-Konflikt und Wirtschaftskrise nun viel plastischer auf einer 18 Meter langen, halbrund geformten Medienwand in die heimischen Wohnzimmer transportieren. »Toll, dass das tagesschaustudio nun so aussieht, wie die amerikanischen Nachrichtenstudios seit 25 Jahren ...«, twitterte Signorina Valmano über das neue Erscheinungsbild, welches dann gleich zur Premiere für Wirbel sorgte.

Die Redaktion hatte es gewagt, das Foto eines südkoreanischen Strandes, das als Symbolbild für die Berichterstattung über ein Fährunglück diente, an den Rändern optisch zu verlängern, was HrJonas zur Bemerkung hinreißen ließ: »Könnte ein neuer Volkssport werden, die Foto-Manipulationen der @tagesschau aufzuspüren.« Aus der munteren Suche nach lügender Bildpropaganda à la nordkoreanisches Staatsfernsehen wird allerdings nichts, denn ARD-aktuell-Chef Kai Gniffke ließ sogleich verkünden, »solche Veränderungen künftig nicht mehr zuzulassen, damit kein Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Tagesschau aufkommt«.

Ironie bewies der Journalist und Berufskonservative Jan Fleischhauer, der sich wie viele über die Kosten der Modernisierung wundert. »Bischofssitz Limburg: 31,5 Millionen. Neues Tagesschau-Studio: 24 Millionen. Gibt es da auch Koi-Becken und beheizte Steine?« Dramaturgisch eher steif fand Technikblogger Klaus Ahrens die Premiere: »Wie immer blieb uns Jan Hofer als Brustbild hinter einer Schreibtischplatte erhalten. Nichts bewegte sich an dem Mann außer Mund, Augen und gelegentlich den Händen, wenn er mal einen Zettel herumdrehte«, schrieb er auf seinem Blog ahrens.de. Andreas Döding nahm sich auf zettelsraum.blogspot.de das Gesamtpaket vor, vergaß aber auch nicht die Details: Die neue Tageschau sei »übrigens ganz ohne architektonischen oder künstlerischen Anspruch, dafür aber mit neuer Tagesschau-Fanfare«, bemerkte Döding den klangtechnischen Remix der Eröffnungsmelodie, die im Vergleich zu einer Eröffnungssequenz des Fox News Channels wenigstens nach Nachrichten und nicht nach Einmarschbefehl klingt.

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