Im jüdischen Haus eine Palästinenserin

Michel Bergmanns »Herr Klee und Herr Feld«

  • Walter Kaufmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Man muss nicht Michel Bergmanns Romane »Die Teilacher« und »Machloikes« kennen, um sich in »Herr Klee und Herr Feld«, dem dritten Band seiner Trilogie, zurechtzufinden. Schon nach dem ersten Satz »Meine Herren! Ich werde Sie verlassen« ist man auf alles weitere gespannt. Zwei jüdische Brüder namens Moritz und Alfred Kleefeld, 77 und 75 Jahre alt, Universitätsprofessor der eine, Ex-Schauspieler der andere, denen soeben ihre langjährige Haushälterin gekündigt hat, bangen um ihr zukünftiges Zusammenleben. Wer wird ihnen fortan in ihrer allzu geräumigen Frankfurter Gründerzeitvilla zur Seite stehen?

Nach Wochen und etlichen Fehlschlägen bietet sich endlich eine Haushilfe an, die ihnen zusagt. Zamira ist nicht bloß jung und bildschön, sondern auch - du lieber Himmel, was geschieht uns da! - eine Palästinenserin. Bald aber legen sich ihre Bedenken. Die Frau erweist sich als tüchtig und flink, tolerant gegenüber jüdischen Bräuchen. Der Einfachheit halber, und wohl auch, um sie leichter zu unterscheiden, nennt Zamira die beiden Herr Klee und Herr Feld. Die betagten Herren verwandeln sich zusehends, verjüngen sich geradezu und, nicht ohne Eifersüchteleien, entwickeln eine wachsende Zuneigung zu der Palästinenserin.

Auseinandersetzungen über nahöstliche Konflikte weicht Zamira nicht aus, sie bringt ihre Arbeitgeber sogar zu neuen Einsichten, sieht auch, was Israel angeht, selbst so manches ein - nichts also trübt die Harmonie der drei, bis eines Tages der von Zamira verlassene Ehemann auftaucht: ein gewalttätiger Deutscher. Es dauert, ehe alles wieder ins Lot kommt. Kaum aber ist Ruhe eingekehrt, sehen sich die Brüder aufs Neue mit dem Verlust einer Haushälterin konfrontiert. Während eines Urlaubs im Libanon hat Zamira einen palästinensischen Arzt kennengelernt, mit dem sie sich zusammentun will.

Noch aber ist nichts entschieden, noch bangen und buhlen die Brüder um Zamira, was - mehr sei hier nicht preisgegeben - zu einem traurigen Ende führt. Hätte sich nicht Frau Stöcklein, die ursprüngliche Haushälterin, darauf besonnen, doch einmal bei den Kleefelds nach dem Rechten zu sehen, wäre der jetzt auf sich gestellte Professor Moritz Kleefeld in dem großen Haus verkom᠆men …

Die jüdische Komik, die den Text über lange Strecken prägt, beginnt immer dann Ernsthafterem zu weichen, wenn der Autor, versierter Drehbuchschreiber, der er auch ist, Rückblenden in die Vergangenheit der Kleefeld-Brüder einbringt, er den einen als Hochschullehrer in der kalifornischen Berkeley University zeigt, den anderen bei Dreharbeiten für Italo-Western und Vampirfilme. Besonders aber auch, als er eine in den siebziger Jahren stattgefundene Reise der Brüder zu ihrer Geburtsstadt Zirndorf bei Nürnberg beschreibt, wo sich der Bürgermeister die Ehre gibt, die Kleefelds zu empfangen.

Nicht wissend, oder nicht wissen wollend, dass die beiden kurz zuvor auf einer Gedenktafel die Namen von fünfzehn Angehörigen entdeckt haben, der älteste 84, die jüngste drei Jahre alt, die von den Nazis ermordet worden waren, lässt er sich, während zwei junge Damen mit Tabletts voll belegter Brötchen vorbeihuschen, zum Ruf »Grüß Gott!« hinreißen und fährt dann fort: »Es ist mir eine große Freude, dass ich Sie hier in unserer Gemeinde begrüßen darf und Sie zu uns gekommen sind, um uns die Hand zur Versöhnung zu reichen …« Worauf, nach etlichen, von diversen anderen gehaltenen Reden, Professor Moritz Kleefeld dem Bürgermeister erwidert: »Und was die Hand angeht, die mein Bruder und ich zur Versöhnung reichen sollen, so muss ich Sie enttäuschen. Wir können keine Absolution erteilen. Das können nur die Ermordeten selbst tun …«

»Soll man heulen vor Wut, dass solche Menschengeschichten in Deutschland traditionell so schmerzhaft fehlen, oder vor Freude, dass sie endlich erzählt werden?« fragte (laut Klappentext) Pieke Biermann im Deutschlandradio. - Und das, in der Tat, war eine gute Frage.

Michel Bergmann: Herr Klee und Herr Feld. Roman. Arche-Verlag. 375 S., geb., 19,95 €.

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