Gabos Vermächtnis

Der verstorbene Schriftsteller Gabriel García Márquez förderte den iberoamerikanischen Journalismus

  • Knut Henkel, Cartagene de Indias
  • Lesedauer: 6 Min.
Lateinamerikas Journalismus steckt in der Krise, sorgte sich der kolumbianische Autor Gabriel García Márquez. Deshalb gründete er eine Journalistenschule, die auch nach seinem Tod weitermacht.

Gabriel Garcías Márquez ist als Schriftsteller in die Weltliteratur eingegangen. Doch das virtuose Spiel mit den Worten hat er von der Pike auf gelernt - in der Redaktion des »Espectador«. Dort wurde dem späteren Literaturnobelpreisträger beigebracht, genau zu beobachten, detailliert zu beschreiben und umsichtig zu analysieren. Nur ein paar Meter von der »Espectador«-Redaktion entfernt, hat Márquez Mitte der 90er Jahre seine Stiftung für einen neuen iberoamerikanischen Journalismus eingerichtet. Ein Vermächtnis des berühmten Kolumbianers.

»Gracias, maestro Gabo« steht in dicken roten Lettern über dem Abschiedsbrief, den Jaime Abello Banfi direkt nach dem Tod von Gabriel García Márquez an die Dozenten, Stipendiaten und Freunde der »Stiftung für neuen iberoamerikanischen Journalismus« (FNPI) versandt hat. Jaime Abello Banfi, ein rundlicher, quirliger Mann mit einem Pagenschnitt und messerscharfen Verstand, ist der Direktor der Stiftung. Die wurde 1994 von Gabriel García Márquez, seinem jüngeren Bruder Jaime und eben besagtem Jaime Abello Banfi gegründet. Warum? »Weil Gabriel García Márquez sich Sorgen um die journalistische Qualität in Lateinamerika machte«, so Banfi. Die Stiftung will die Berichterstattung verbessern, und sie tritt für die Pressefreiheit ein, so der geschäftsführende Direktor.

Banfi gehörte zu den engen Vertrauten von Kolumbiens berühmtem Literaturnobelpreisträger. Er hat noch erlebt, wie Gabo, wie Gabriel García Márquez in Kolumbien liebevoll genannt wird, selbst am Pult stand im Seminarraum mit dem Namen seines längst verstorbenen ehemaligen Redaktionsleiters Clemente Manuel Zabala. Der befindet sich im ersten Stock eines alten Kolonialpalasts in der Calle San Juan de Dios. Beim »El Espectador« ist der junge Mann aus Aracataca, so heißt der Geburtsort von Gabriel García Márquez, in die Lehre gegangen - nachdem ihm das Jurastudium nicht sonderlich behagte. In der Lokalredaktion des Blatts in Cartagena de India war der junge, talentierte Journalist immer mal wieder zugegen. Damals konkurrierte der »El Espectador« mit dem »El Universal«, der ein paar Häuser weiter oben in der gleichen Straße residierte. Genau zwischen den beiden Häusern hat García Márquez seine Stiftung angesiedelt und die ersten Dozenten, Referenten und Mitarbeiter noch selbst angeworben.

Der Ort war gut gewählt, denn die malerische Kolonialstadt mit der intakten massiven Stadtmauer war Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts das Schaufenster Kolumbiens in die Welt. Hier fanden und finden auch immer noch internationale Kongresse und das lateinamerikanische Kinofestival statt. Cartagena de Indias war die erste Stadt Kolumbiens, die als einigermaßen sicher galt. Sie wurde aus dem Ausland direkt angeflogen, und auch die dicken Kreuzfahrtschiffe legten hier an. Ein Vorteil, wenn man mit Journalisten aus ganz Nord- und Südamerika sowie Madrid und Lissabon arbeiten wollte. Ziel war und ist es, das journalistische Niveau zwischen dem Rio Grande und Feuerland zu heben. Daran hat sich im Jubiläumsjahr nichts geändert - auch wenn der 20. Geburtstag ganz ohne den maestro, wie Márquez von den Mitarbeitern der Stiftung gern genannt wird, begangen werden muss.

Der hat sein Baby in den ersten Jahren noch regelmäßig besucht, hin und wieder ein paar Wochen in seinem Haus in der von Festungsmauern umgebenen Altstadt verbracht. Doch das ist lange vorbei, denn mehr und mehr gingen die Aufgaben in der Stiftung an Jaime Abello Banfi als General- und Jaime García Márquez als Finanzdirektor über. »Gabo hat für gute Startvoraussetzungen geworben, hat Dozenten mit Weltruf nach Cartagena geholt, immer wieder potenzielle Sponsoren angesprochen und die Stiftung so langsam auf ein leidlich sicheres Fundament gestellt«, schildert Generaldirektor Banfi die Rolle seines Mentors.

Banfi, der in der kolumbianischen Karibikstadt Barranquilla einen Fernsehkanal leitete, bevor ihn García Márquez für seine große Idee gewinnen konnte, ist ein umsichtiger Koordinator. Er hat dafür gesorgt, dass die Stiftung zwischen Mexiko Stadt und Feuerland aktiv und über Veranstaltungen in Madrid auch in der alten Welt präsent ist. Man muss auf sich aufmerksam machen, lautet ein Motto Banfis. Der hat es in den letzten zehn Jahren geschafft, den Radius der Stiftung beträchtlich zu erweitern. Mehr Seminare, mehr Preise und Wettbewerbe bietet die Stiftung, aber ob sich die Qualität des Journalismus in Lateinamerika merklich gebessert hat, darüber scheiden sich die Geister.

In Kolumbien haben investigative Journalisten von der Wochenzeitung »Semana«, die sich nach wie vor eine autonom agierende investigative Redaktion leistet, genauso wie Kollegen vom »El Espectador« und anderen Medien für die Aufdeckung zahlreicher politischer Skandale der letzten Jahre in Kolumbien eine wichtige Rolle gespielt - nicht nur im Kontext der Kooperation zwischen Paramilitärs und Politikern des nationalkonservativen Uribe-Flügels. Allerdings hat sich die investigative Recherche auch etwas ins Internet verlagert. »Onlineplattformen wie IDL-Reporteros aus Peru, La Silla Vacía aus Kolumbien, Animal Pólitoco aus Mexiko oder Plaza Pública aus Guatemala werden immer wichtiger«, erklärt Ricardo Corredor Cure. Der Journalist, der sich in erster Linie als Projektkoordinator versteht und als solcher in Kolumbien, aber auch in Brasilien gearbeitet hat, ist seit Ende 2011 als Direktor der Stiftung für das laufende Geschäft aktiv. »Abgeschlossene Inseln innerhalb der Redaktion mit separatem Eingang, Etat und Telefonsystem, wie sie in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts existierten, gibt es heute kaum mehr« so Cure. Damals saßen Journalisten wie Fernando Alonso Roso von der »Semana« oder Hollmann Morris vom »El Espectador«, beide von der Stiftung ausgezeichnet und beide nach wie vor aktiv, an besonders brisanten Fällen.

»Derartige Arbeitsbedingungen sind heute rar«, gibt Direktor Banfi zu. Aber nicht überholt, denn das persönliche Risiko ist nicht nur in Kolumbien, sondern auch in Mexiko oder Brasilien hoch. Banfi kennt viele Kollegen, die ins Ausland gehen mussten, weil sie nicht mehr sicher waren. Ein bekanntes Beispiel ist der kolumbianische TV-Journalist Hollman Morris, der mehrere Jahre im Ausland verbrachte und derzeit den kommunalen Fernsehkanal von Bogotá leitet. Selbst der hohe Bekanntheitsgrad war für Morris kein ausreichender Schutz. Kein Einzelfall, so FNPI-Direktor Banfi. »Untätigkeit der Regierungen bei Angriffen auf Medienvertreter ist nicht nur in Kolumbien weit verbreitet«.

Der Mann kommt viel rum, kennt die Verhältnisse in der gesamten Region, weil er mit Journalistenorganisationen, Stiftungen und öffentlichen und privaten Geldgebern ständig in Kontakt ist. Ohne letztere wäre es kaum möglich gewesen, dass nunmehr einige Tausend Journalisten den einen oder anderen Kurs der Schreibschule von Gabriel García Márquez durchlaufen haben. Viele davon mit Stipendien, denn die Stiftung kooperiert mit öffentlichen und privaten Geldgebern. Dazu gehören die Vereinten Nationen, politische Stiftungen und große Unternehmen wie CEMEX, der mexikanische Zementhersteller, Bancolombia, die größte kolumbianische Bank oder die kolumbianische Holding Organización Ardila Lülle. »Qualität hat nun einmal ihren Preis«, sagt Jaime Abello Banfi und breitet die Arme aus.

Das lässt sich so und so interpretieren. Zum einen fällt es vielen Redaktionen schwer, für FNPI-Seminare zu zahlen. So sind viele Journalisten und auch Redaktionen froh, dass es »Gabos« Schreibschule und die Stipendien gibt. Auf der anderen Seite wird es nicht einfacher, den laufenden Betrieb zu finanzieren, so Jaime García Márquez. Der ist froh, dass sich eines der größten Unternehmen Kolumbiens, Organización Ardila Lülle, fest gebunden hat und so der laufende Betrieb für die nächste Zukunft gesichert ist.

Die Beschaffung von Geldern ist schwerer geworden, weil sich Kolumbien in den letzten Jahren wirtschaftlich entwickelt hat und die internationalen Förderer sich langsam zurückziehen, klagt der jüngere Bruder von Gabriel García Márquez. Doch dank seiner hartnäckigen Akquise ist das Vermächtnis seines wortgewandten Bruders zumindest für die nächste Zeit gesichert.

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