Gottes Werk und Benedikts Beitrag
Papst Johannes Paul II. etablierte das erzkonservative Opus Dei in der Weltkirche - sein Nachfolger erweist sich als pflichtbewusster Erbe
»Einen regelrechten Angriff auf die Familie« hat Livio Melina ausgemacht. Der katholische Moraltheologe leitet das Päpstliche Institut »Johannes Paul II.« für Ehe- und Familienstudien an der römischen Lateran-Universität. Er verweist darauf, »dass die Medien, vor allem Fernsehen und Kino, Lebensmodelle offen bevorzugen, die entstellte Vorstellungen geben von Liebe und von Familie«. Dass ein solches »Lebensmodell«, die so genannte Homo-Ehe, ausgerechnet im katholischen Spanien von der Regierung des sozialistischen Ministerpräsidenten José Luis Rodríguez Zapatero anerkannt wurde und sich inzwischen regen Zuspruchs erfreut, dürfte ein Thema des Papst-Besuchs an diesem Wochenende in Valencia sein. Die Visite von Benedikt XVI. ist der abschließende Höhepunkt des V. Weltfamilientreffens der katholischen Kirche in der ostspanischen Provinzhauptstadt. Wie es aus dem Vatikan hieß, werde sich Joseph Ratzinger »sehr klar« im Sinn einer Verteidigung des traditionellen Familienmodells aussprechen.
Ungeachtet der liberalen Initiativen der Zapatero-Regierung dürfte die Botschaft des Kirchenoberhaupts in dem südeuropäischen Staat auf reichlich Zuspruch treffen. Garant dafür ist neben dem traditionellen spanischen Katholizismus eine Organisation, die in keinem anderen Land der Erde so stark ist: das Opus Dei.
Katholisches Starkbier
Das Opus Dei (Werk Gottes) ist die derzeit umstrittenste Kraft der katholischen Kirche. Der zweifelhafte Ruf der konservativ-fundamentalistischen Gruppierung wurde vor allem in Bevölkerungskreisen, die sich sonst kaum mit solchen Fragen befassen, noch verstärkt durch den Roman »The Da Vinci Code« (dt. Titel: »Sakrileg«) des US-amerikanischen Schriftstellers Dan Brown und die Verfilmung des inzwischen als »Megaseller« beworbenen Buches. Dass sich Opus-Dei-Vertreter gegen das in Roman und Film vermittelte Bild wenden, ist verständlich: Denn Mord und Totschlag gehören gewiss nicht zu den Instrumentarien, mit denen die fromme Vereinigung die reine Lehre der Kirche verteidigt. Nicht mit derart brachialen Methoden, sondern mit Geduld, Hartnäckigkeit, strategischem Geschick und nicht zuletzt entsprechendem Kapital hat die vor allem unter den so genannten Eliten aktive Bewegung ihren unaufhaltsamen Aufstieg bewältigt - von der »göttlichen Inspiration«, die der spanische Priester Josemaría Escrivá de Balaguer 1928 in Madrid hatte, bis zur einflussreichsten Kraft im Vatikan, die sogar die jahrhundertelang als päpstliche Hausmacht geltenden Jesuiten ins Abseits drängte.
Einen »Blick hinter die Kulissen« - wie es im Untertitel heißt - verspricht das bislang wohl detaillierteste und am genauesten recherchierte Buch über das Opus Dei, das jetzt in deutscher Übersetzung vorliegt*. Autor John L. Allen ist Vatikan-Korrepondent des »National Catholic Reporter«, einer sich als unabhängig bezeichnenden US-amerikanischen katholischen Wochenzeitschrift. Die Organisation, schreibt Allen, habe ihm »Einblicke wie einem Insider gewährt«. Weltweit habe er Zutritt zu Einrichtungen, Zugang zu Dokumenten, Interviews mit führenden Vertretern erhalten. Die Kooperation mit dem Opus Dei sei »derart allumfassend« gewesen, dass »ein kirchlicher Beamter in Rom zu mir sagte, er habe den Eindruck, mir gegenüber vollführe die Organisation einen "globalen Striptease"«. Striptease einer angeblichen Geheimorganisation? In der Tat hat Allen eine derartige Fülle an Material und Informationen zusammengetragen, dass jeder, der sich ernsthaft mit dem Opus Dei beschäftigt, an diesem Buch einfach nicht mehr vorbei kommt. Er bewertet seine Rechercheergebnisse ebenso akribisch wie kritisch und setzt sie in Beziehungen zueinander, so dass sich ein komplexes Bild von Geschichte, Gegenwart und den Perspektiven einer Vereinigung ergibt, die zweifellos dauerhaft und mit wachsendem Einfluss den Kurs der katholischen Weltkirche bestimmen wird.
Natürlich bleibt die Frage, ob die Verantwortlichen dem Investigator denn wirklich alles gesagt, gezeigt und geöffnet haben. Und auch der Umstand, dass Allen dem Opus Dei durchaus mit Sympathie begegnet, mag Zweifel an seiner Objektivität hervorrufen. Dabei sollte man allerdings nicht vergessen, dass die bislang vorliegende Literatur entweder von verbitterten Aussteigern, scharfen Kritikern oder absoluten Apologeten verfasst wurde.
Angesichts der polarisierenden Wirkung des Opus Dei ist die Sicht Allens, der auch alle Vorwürfe gegen die Organisation hinterfragt, ein begrüßenswerter Beitrag zur Versachlichung. Allerdings: Widerlegt werden die Kritiker des Opus Dei keineswegs. Denn ob man die Ideologie des Gottes-Werkes »reaktionär« und deren Verbreitung »aggressiv« nennt oder die Finanzverhältnisse als »undurchsichtig« bezeichnet, ist bei den präsentierten Fakten weitgehend eine Frage der Interpretation. Die vorliegenden Standardwerke über das Opus Dei von Peter Hertel (Deutschland), Robert Hutchison (Kanada) und Michael Walsh (Großbritannien) - um hier nur die wichtigsten kritischen Autoren zu nennen - sind also auch künftig für ein Gesamtbild unverzichtbar.
In einer treffenden Metapher bezeichnet Allen das Opus Dei als das »Guinness Extra Stout« der katholischen Kirche. Denn dieses sei »ein starkes Bier von sehr ausgeprägtem Geschmack, der zweifellos nicht jedem liegt«. So, wie viele Biertrinker kein Starkbier mögen, mögen viele Katholiken das Opus Dei nicht. Aber: Bier ist Bier, und katholisch ist katholisch. Als Escrivá im Spanien der 30er Jahre den Aufbau des Werkes betrieb, in dem Laien und Priester zusammenarbeiten sollten, ging es ihm um nichts weniger als die Schaffung einer Kirche in der Kirche. Was er wollte, war Katholizismus pur - kompromisslos, orthodox und in strikter Loyalität zum Papst.
Im Zentrum seiner Lehre steht die so genannte Heiligung der Alltagsarbeit. Berufliche oder sonstige Tätigkeiten sind demnach ebenso Gebete wie das Gebet im Gottesdienst, mit dem sie eine untrennbare Einheit bilden. Seine Glaubensmaximen fasste er in einer Schrift zusammen, die unter dem Namen »El Camino« (dt. Titel: »Der Weg«) die wichtigste Erbauungs- und Vor-Schrift der Opus-Mitglieder ist. Ein paar Sprüche daraus mögen die Geisteshaltung des Verfassers illustrieren: »Demütige dich: Weißt du nicht, dass du ein Eimer für Abfälle bist?« - »Du bist schmutziger, herabgefallener Staub.« - »Wenn deine Demut dich dahin bringt, dich als Unrat, als einen Haufen Unrat, zu erkennen, können wir aus all dieser Erbärmlichkeit noch etwas Großes machen.« - » ... und aus der Schweineherde wollen wir die herausholen, die nicht mehr unrein sein wollen.« Bei Allen, der ausführlich aus »Der Weg« zitiert und darauf verweist, dass »weltweit viereinhalb Millionen Exemplare verkauft« wurden, finden sich diese Stellen übrigens nicht.
Der Aufstieg des aus getrennten Männer- und Frauenabteilungen der Laien sowie einer Priestergesellschaft bestehenden Opus Dei vollzog sich während der Franco-Diktatur. Der Vorwurf, Escrivá sei »pro-Franco« gewesen, lässt sich allerdings nach Meinung von John L. Allen nicht aufrechterhalten, »außer in dem generellen Sinn, in dem die meisten spanischen Katholiken anfangs eher für Franco waren«. Eine Haltung, die ja bekanntlich die gesamte Geschichte der katholischen Kirche seit Kaiser Konstantin dem Großen durchzieht: mit den Mächtigen, wenn diese stark sind - und rechtzeitig die Seiten wechseln, wenn ihr Fall droht. Immerhin haben es acht Opus-Dei-Mitglieder unter dem »Caudillo« bis zum Minister gebracht. Und die in einem Brief an Papst Paul VI. im Jahr 1964 geäußerte Ansicht Escrivás, »dass Franco ein guter Christ ist«, dürfte seiner tiefen Überzeugung entsprochen haben.
1950 erhielt das Opus Dei die päpstliche Approbation als Säkularinstitut. Diese Bezeichnung tragen seit 1947 Vereinigungen, in denen Kleriker und Laien gemeinsam religiös und kirchlich tätig sind. Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) war für Escrivá und seine Truppe gleich anderen ultrakonservativen Kräften in der katholischen Kirche ein schwerer Schlag. Der frühere Opus-Dei-Priester Vladimir Felzmann berichtete, Escrivá habe vor allem angesichts der liturgischen Reformen erwogen, zur orthodoxen Kirche überzutreten, bis er festgestellt habe, dass »deren Kirchen und Gemeinden für uns zu klein sind«.
Doch dann betrat 1978, drei Jahre nach dem Tod von »Vater« Escrivá, ein Mann die Bühne der katholischen Weltkirche, dessen Herz für das Opus Dei so groß war wie keines seiner Vorgänger: Papst Johannes Paul II. Schon in seiner Zeit als Erzbischof von Kraków hatte Karol Wojtyla Auftritte in Zentren des Werks außerhalb Polens (wo das Opus erst 1989 Fuß fassen konnte). 1982 verlieh der polnische Pontifex dem international agierenden Netzwerk den kirchenrechtlichen Status einer Personalprälatur - bis heute die einzige. Damit wurde es direkt dem Papst unterstellt und erhielt alle Attribute einer praktisch weltweiten Diözese mit einem in Rom sitzenden Prälaten an der Spitze. Zugleich ist das Opus so der unmittelbaren Kontrolle der örtlichen Diözesan-Bischöfe entzogen, auf deren Gebiet die Prälatur Zentren oder Stützpunkte unterhält.
Der nächste Coup Wojtylas war die Seligsprechung Escrivás 1992 und nur zehn Jahre später die Kanonisierung des Werksgründers. Mithin einer der schnellsten Selig- und Heiligsprechungsprozesse in der Geschichte der katholischen Kirche. Auf diese Weise war zwar nicht das Opus Dei als solches, aber sein umstrittener Gründer und jahrzehntelanger Chef der innerkirchlichen Kritik entzogen - bei Strafe entsprechender Sanktionen. Was beispielsweise dazu führte, dass die Venezolanerin María del Carmen Tapia, eine der schärfsten Kritikerinnen des Opus Dei, sich nach der Heiligsprechung versöhnlich zeigte. Sie unterwarf sich, wie Allen in seinem Buch schreibt, »Gottes Urteilsvermögen, als dem Einzigen, der letztlich darüber urteilen könne«. Der immer wieder als Reformer gehandelte Kardinal Karl Lehmann, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, bezeichnete in einem Vortrag den »Heiligen Josefmaria« gar als einen »Vorläufer des Zweiten Vatikanischen Konzils«. Monate vor der Kanonisierung hatte Lehmann noch mitgeteilt, er habe sich nicht für diese ausgesprochen.
Bemerkenswert ist, dass Allen, in dessen Buch deutsche Prälaten so gut wie keine Rolle spielen, ausdrücklich auf Kardinal Joachim Meisner verweist, den ultrakonservativen Erzbischof von Köln. Dieser steuerte »unlängst ein Kapitel für ein Buch zu Ehren von Escrivá bei«. Der Titel des Beitrags: »Das Charisma des Opus Dei in der Kirche«.
An Ratzingers Seite
Wie steht nun der neue Papst zum »Werk Gottes«, das in Deutschland mit etwa 600 Mitgliedern eher bescheiden vertreten ist? Der ehemalige Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien und prominente Kirchenkritiker Hubertus Mynarek sagte dazu im Gespräch mit dem Autor dieses Beitrags, Joseph Ratzinger habe »vor rund 25 Jahren erklärt, das Opus Dei sei eine dermaßen primitive und undifferenzierte Bewegung, dass er, wenn er nach Rom komme, versuchen werde, deren Einfluss zurückzudrängen. Inzwischen haben sie ihn eingefangen, ihm stattliche Honorare bei ihren Kongressen gegeben. In Büchern über den ominösen Ordensgründer Josemaría Escrivá de Balaguer finden sich Beiträge von Ratzinger an exponierter Stelle. Nicht umsonst hat er das Ehrendoktorat der Opus-Dei-Universität im spanischen Pamplona bekommen. Und von den im Konklave vertretenen Kardinälen waren etwa die Hälfte Anhänger oder Sympathisanten des Opus Dei, so dass das "Werk Gottes" maßgeblichen Anteil daran hat, dass Ratzinger jetzt an der Spitze der Kirche steht.«
Die Verleihung besagter Ehrendoktorwürde am 31. Januar 1998 war offenbar das »Damaskus-Erlebnis« des damaligen Präfekten der Glaubenskongregation in Sachen Opus Dei. Denn seither konnte sich das Werk seines uneingeschränkten Wohlwollens erfreuen. Opus-Dei-Chronist Allen schreibt dazu: »Er arbeitete in der vatikanischen Kongregation für die Glaubenslehre eng mit einigen wichtigen Opus-Dei-Mitgliedern zusammen und hat stets seine Bewunderung für die Geistlichkeit und apostolischen Leistungen des Opus Dei zum Ausdruck gebracht.« Beispielhaft verwiesen sei hier auf Fernando Ocáriz, Generalvikar des Opus Dei und damit zweiter Mann nach dem Prälaten. Ocáriz war einer der Hauptautoren des im Jahr 2000 von der Glaubenskongregation veröffentlichten Dokuments »Dominus Iesus«, das wegen der Festschreibung des Alleinvertretungsanspruchs der Rom-Kirche zu scharfen Protesten selbst bei Katholiken führte. Während seiner ersten Pontifikalreise zum katholischen Weltjugendtag in Köln 2005 traf der nunmehrige Papst Benedikt XVI. demonstrativ in der vom Opus Dei verwalteten Kirche Sankt Pantaleon mit Seminaristen zusammen. Und in Rom ließ er es sich nicht nehmen, eine an der Außenseite des Petersdoms aufgestellte fünf Meter hohe Marmorskulptur des Heiligen Josefmaria persönlich einzuweihen.
Damit dürfte die kirchliche Karriere von Escrivás Korporation auch künftig gesichert sein. Dass es sich dabei um eine »Schleichende Machtübernahme« handelt, wie Opus-Dei-Kritiker Peter Hertel sein letztes Buch betitelte, wird allerdings von John L. Allen bestritten. Nach seiner Darstellung kann schon rein zahlenmäßig von einer zunehmenden Besetzung der Schaltstellen in der Kirche oder gar der Gesellschaft nicht die Rede sein. Auch die finanzielle und wirtschaftliche Macht entspreche durchaus der vergleichbarer Institutionen. Bei dieser Rechnung darf man allerdings nicht vergessen, dass die katholische Kirche eine autokratische Institution ist, in der es noch nie auf die Massen ankam, sondern stets nur auf das, was die Spitze wollte. Schließlich sind die Anhänger des »Vaters« keine in Konkurrenz zur Amtskirche agierende Gruppe, die misstrauisch von Sektenbeauftragten observiert wird. Sie sind Teil der katholischen Kirche, beeinflussen diese und damit die Gesellschaft in jenen Ländern, wo der Katholizismus stark ist und/oder - wie in Deutschland - mit dem Staat heillos verfilzt. Und die fundamentalistische, auf Gehorsam und Unterordnung orientierte Ideologie des Opus Dei hat zweifellos das Zeug als Gegengift zum Liberalismus des 20. und 21. Jahrhunderts, von dem sich ja sogar die Jesuiten im Gefolge des Vatikanums II anstecken ließen und mit der Befreiungstheologie sympathisierten.
Und selbst angesichts der mittelalterlichen Praktiken, die ein Teil der Opus-Dei-Mitglieder mit so genannten Bußbändern und -geißeln übt, sollte man sich daran erinnern, dass auch diese zur katholischen Tradition gehören. Escrivá schreibt: »Gesegnet sei der Schmerz. Geliebt sei der Schmerz. Geheiligt sei der Schmerz. Verherrlicht sei der Schmerz!« Erfunden hat der Opus-Dei-Gründer diesen masochistischen Fleischeshass weiß Gott nicht. Schon der offenbar von ähnlichen Wahnvorstellungen geplagte Apostel Paulus erklärte, Christen müssten den Leib »züchtigen und unterwerfen«, sie hätten »das Fleisch und damit ihre Leidenschaften und Begierden gekreuzigt«. Es bleibt auch in dieser Frage ein abgewandeltes Adorno-Wort als Fazit: Wer vom Opus Dei spricht, kann von der katholischen Kirche nicht schweigen.
Josemaría Escrivá de Balaguer (1902-1975), spanischer Jurist und Theologe, gründete das Opus Dei 1928 und leitete es bis zu seinem Tod. Sein Nachfolger war Alvaro del Portillo. Ihm folgte Javier Echevarría Rodríguez als Prälat (seit 1994). Sitz der Opus-Zentrale ist Rom. Die Mitgliederzahl beträgt rund 85 000, darunter etwa 2000 Priester. In über 60 Staaten ist Opus Dei als katholische Personalprälatur errichtet. Die stärkste Präsenz hat es im Gründungsland Spanien mit über 30 000 Mitgliedern (Deutschland: ca. 600).
Die »Numerarier« (20 Prozent) leben zölibatär in Opus-Dei-Zentren (Männer und Frauen getrennt). Die »Assoziierten« (20 Prozent) leben ebenfalls im Zölibat, aber außerhalb der Zentren. Den Hauptanteil bilden die »Supernumerarier« auf der untersten Ebene: Laien, die heiraten dürfen. So genannte korporative Werke sowie zahlreiche Stiftungen sichern dem Opus Dei gesellschaftlichen Einfluss.
*John L. Allen: Opus Dei. Mythos und Realität - Ein Blick hinter die Kulissen. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Bernardin Schellenberger. Güte...
Ungeachtet der liberalen Initiativen der Zapatero-Regierung dürfte die Botschaft des Kirchenoberhaupts in dem südeuropäischen Staat auf reichlich Zuspruch treffen. Garant dafür ist neben dem traditionellen spanischen Katholizismus eine Organisation, die in keinem anderen Land der Erde so stark ist: das Opus Dei.
Katholisches Starkbier
Das Opus Dei (Werk Gottes) ist die derzeit umstrittenste Kraft der katholischen Kirche. Der zweifelhafte Ruf der konservativ-fundamentalistischen Gruppierung wurde vor allem in Bevölkerungskreisen, die sich sonst kaum mit solchen Fragen befassen, noch verstärkt durch den Roman »The Da Vinci Code« (dt. Titel: »Sakrileg«) des US-amerikanischen Schriftstellers Dan Brown und die Verfilmung des inzwischen als »Megaseller« beworbenen Buches. Dass sich Opus-Dei-Vertreter gegen das in Roman und Film vermittelte Bild wenden, ist verständlich: Denn Mord und Totschlag gehören gewiss nicht zu den Instrumentarien, mit denen die fromme Vereinigung die reine Lehre der Kirche verteidigt. Nicht mit derart brachialen Methoden, sondern mit Geduld, Hartnäckigkeit, strategischem Geschick und nicht zuletzt entsprechendem Kapital hat die vor allem unter den so genannten Eliten aktive Bewegung ihren unaufhaltsamen Aufstieg bewältigt - von der »göttlichen Inspiration«, die der spanische Priester Josemaría Escrivá de Balaguer 1928 in Madrid hatte, bis zur einflussreichsten Kraft im Vatikan, die sogar die jahrhundertelang als päpstliche Hausmacht geltenden Jesuiten ins Abseits drängte.
Einen »Blick hinter die Kulissen« - wie es im Untertitel heißt - verspricht das bislang wohl detaillierteste und am genauesten recherchierte Buch über das Opus Dei, das jetzt in deutscher Übersetzung vorliegt*. Autor John L. Allen ist Vatikan-Korrepondent des »National Catholic Reporter«, einer sich als unabhängig bezeichnenden US-amerikanischen katholischen Wochenzeitschrift. Die Organisation, schreibt Allen, habe ihm »Einblicke wie einem Insider gewährt«. Weltweit habe er Zutritt zu Einrichtungen, Zugang zu Dokumenten, Interviews mit führenden Vertretern erhalten. Die Kooperation mit dem Opus Dei sei »derart allumfassend« gewesen, dass »ein kirchlicher Beamter in Rom zu mir sagte, er habe den Eindruck, mir gegenüber vollführe die Organisation einen "globalen Striptease"«. Striptease einer angeblichen Geheimorganisation? In der Tat hat Allen eine derartige Fülle an Material und Informationen zusammengetragen, dass jeder, der sich ernsthaft mit dem Opus Dei beschäftigt, an diesem Buch einfach nicht mehr vorbei kommt. Er bewertet seine Rechercheergebnisse ebenso akribisch wie kritisch und setzt sie in Beziehungen zueinander, so dass sich ein komplexes Bild von Geschichte, Gegenwart und den Perspektiven einer Vereinigung ergibt, die zweifellos dauerhaft und mit wachsendem Einfluss den Kurs der katholischen Weltkirche bestimmen wird.
Natürlich bleibt die Frage, ob die Verantwortlichen dem Investigator denn wirklich alles gesagt, gezeigt und geöffnet haben. Und auch der Umstand, dass Allen dem Opus Dei durchaus mit Sympathie begegnet, mag Zweifel an seiner Objektivität hervorrufen. Dabei sollte man allerdings nicht vergessen, dass die bislang vorliegende Literatur entweder von verbitterten Aussteigern, scharfen Kritikern oder absoluten Apologeten verfasst wurde.
Angesichts der polarisierenden Wirkung des Opus Dei ist die Sicht Allens, der auch alle Vorwürfe gegen die Organisation hinterfragt, ein begrüßenswerter Beitrag zur Versachlichung. Allerdings: Widerlegt werden die Kritiker des Opus Dei keineswegs. Denn ob man die Ideologie des Gottes-Werkes »reaktionär« und deren Verbreitung »aggressiv« nennt oder die Finanzverhältnisse als »undurchsichtig« bezeichnet, ist bei den präsentierten Fakten weitgehend eine Frage der Interpretation. Die vorliegenden Standardwerke über das Opus Dei von Peter Hertel (Deutschland), Robert Hutchison (Kanada) und Michael Walsh (Großbritannien) - um hier nur die wichtigsten kritischen Autoren zu nennen - sind also auch künftig für ein Gesamtbild unverzichtbar.
In einer treffenden Metapher bezeichnet Allen das Opus Dei als das »Guinness Extra Stout« der katholischen Kirche. Denn dieses sei »ein starkes Bier von sehr ausgeprägtem Geschmack, der zweifellos nicht jedem liegt«. So, wie viele Biertrinker kein Starkbier mögen, mögen viele Katholiken das Opus Dei nicht. Aber: Bier ist Bier, und katholisch ist katholisch. Als Escrivá im Spanien der 30er Jahre den Aufbau des Werkes betrieb, in dem Laien und Priester zusammenarbeiten sollten, ging es ihm um nichts weniger als die Schaffung einer Kirche in der Kirche. Was er wollte, war Katholizismus pur - kompromisslos, orthodox und in strikter Loyalität zum Papst.
Im Zentrum seiner Lehre steht die so genannte Heiligung der Alltagsarbeit. Berufliche oder sonstige Tätigkeiten sind demnach ebenso Gebete wie das Gebet im Gottesdienst, mit dem sie eine untrennbare Einheit bilden. Seine Glaubensmaximen fasste er in einer Schrift zusammen, die unter dem Namen »El Camino« (dt. Titel: »Der Weg«) die wichtigste Erbauungs- und Vor-Schrift der Opus-Mitglieder ist. Ein paar Sprüche daraus mögen die Geisteshaltung des Verfassers illustrieren: »Demütige dich: Weißt du nicht, dass du ein Eimer für Abfälle bist?« - »Du bist schmutziger, herabgefallener Staub.« - »Wenn deine Demut dich dahin bringt, dich als Unrat, als einen Haufen Unrat, zu erkennen, können wir aus all dieser Erbärmlichkeit noch etwas Großes machen.« - » ... und aus der Schweineherde wollen wir die herausholen, die nicht mehr unrein sein wollen.« Bei Allen, der ausführlich aus »Der Weg« zitiert und darauf verweist, dass »weltweit viereinhalb Millionen Exemplare verkauft« wurden, finden sich diese Stellen übrigens nicht.
Der Aufstieg des aus getrennten Männer- und Frauenabteilungen der Laien sowie einer Priestergesellschaft bestehenden Opus Dei vollzog sich während der Franco-Diktatur. Der Vorwurf, Escrivá sei »pro-Franco« gewesen, lässt sich allerdings nach Meinung von John L. Allen nicht aufrechterhalten, »außer in dem generellen Sinn, in dem die meisten spanischen Katholiken anfangs eher für Franco waren«. Eine Haltung, die ja bekanntlich die gesamte Geschichte der katholischen Kirche seit Kaiser Konstantin dem Großen durchzieht: mit den Mächtigen, wenn diese stark sind - und rechtzeitig die Seiten wechseln, wenn ihr Fall droht. Immerhin haben es acht Opus-Dei-Mitglieder unter dem »Caudillo« bis zum Minister gebracht. Und die in einem Brief an Papst Paul VI. im Jahr 1964 geäußerte Ansicht Escrivás, »dass Franco ein guter Christ ist«, dürfte seiner tiefen Überzeugung entsprochen haben.
1950 erhielt das Opus Dei die päpstliche Approbation als Säkularinstitut. Diese Bezeichnung tragen seit 1947 Vereinigungen, in denen Kleriker und Laien gemeinsam religiös und kirchlich tätig sind. Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) war für Escrivá und seine Truppe gleich anderen ultrakonservativen Kräften in der katholischen Kirche ein schwerer Schlag. Der frühere Opus-Dei-Priester Vladimir Felzmann berichtete, Escrivá habe vor allem angesichts der liturgischen Reformen erwogen, zur orthodoxen Kirche überzutreten, bis er festgestellt habe, dass »deren Kirchen und Gemeinden für uns zu klein sind«.
Doch dann betrat 1978, drei Jahre nach dem Tod von »Vater« Escrivá, ein Mann die Bühne der katholischen Weltkirche, dessen Herz für das Opus Dei so groß war wie keines seiner Vorgänger: Papst Johannes Paul II. Schon in seiner Zeit als Erzbischof von Kraków hatte Karol Wojtyla Auftritte in Zentren des Werks außerhalb Polens (wo das Opus erst 1989 Fuß fassen konnte). 1982 verlieh der polnische Pontifex dem international agierenden Netzwerk den kirchenrechtlichen Status einer Personalprälatur - bis heute die einzige. Damit wurde es direkt dem Papst unterstellt und erhielt alle Attribute einer praktisch weltweiten Diözese mit einem in Rom sitzenden Prälaten an der Spitze. Zugleich ist das Opus so der unmittelbaren Kontrolle der örtlichen Diözesan-Bischöfe entzogen, auf deren Gebiet die Prälatur Zentren oder Stützpunkte unterhält.
Der nächste Coup Wojtylas war die Seligsprechung Escrivás 1992 und nur zehn Jahre später die Kanonisierung des Werksgründers. Mithin einer der schnellsten Selig- und Heiligsprechungsprozesse in der Geschichte der katholischen Kirche. Auf diese Weise war zwar nicht das Opus Dei als solches, aber sein umstrittener Gründer und jahrzehntelanger Chef der innerkirchlichen Kritik entzogen - bei Strafe entsprechender Sanktionen. Was beispielsweise dazu führte, dass die Venezolanerin María del Carmen Tapia, eine der schärfsten Kritikerinnen des Opus Dei, sich nach der Heiligsprechung versöhnlich zeigte. Sie unterwarf sich, wie Allen in seinem Buch schreibt, »Gottes Urteilsvermögen, als dem Einzigen, der letztlich darüber urteilen könne«. Der immer wieder als Reformer gehandelte Kardinal Karl Lehmann, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, bezeichnete in einem Vortrag den »Heiligen Josefmaria« gar als einen »Vorläufer des Zweiten Vatikanischen Konzils«. Monate vor der Kanonisierung hatte Lehmann noch mitgeteilt, er habe sich nicht für diese ausgesprochen.
Bemerkenswert ist, dass Allen, in dessen Buch deutsche Prälaten so gut wie keine Rolle spielen, ausdrücklich auf Kardinal Joachim Meisner verweist, den ultrakonservativen Erzbischof von Köln. Dieser steuerte »unlängst ein Kapitel für ein Buch zu Ehren von Escrivá bei«. Der Titel des Beitrags: »Das Charisma des Opus Dei in der Kirche«.
An Ratzingers Seite
Wie steht nun der neue Papst zum »Werk Gottes«, das in Deutschland mit etwa 600 Mitgliedern eher bescheiden vertreten ist? Der ehemalige Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien und prominente Kirchenkritiker Hubertus Mynarek sagte dazu im Gespräch mit dem Autor dieses Beitrags, Joseph Ratzinger habe »vor rund 25 Jahren erklärt, das Opus Dei sei eine dermaßen primitive und undifferenzierte Bewegung, dass er, wenn er nach Rom komme, versuchen werde, deren Einfluss zurückzudrängen. Inzwischen haben sie ihn eingefangen, ihm stattliche Honorare bei ihren Kongressen gegeben. In Büchern über den ominösen Ordensgründer Josemaría Escrivá de Balaguer finden sich Beiträge von Ratzinger an exponierter Stelle. Nicht umsonst hat er das Ehrendoktorat der Opus-Dei-Universität im spanischen Pamplona bekommen. Und von den im Konklave vertretenen Kardinälen waren etwa die Hälfte Anhänger oder Sympathisanten des Opus Dei, so dass das "Werk Gottes" maßgeblichen Anteil daran hat, dass Ratzinger jetzt an der Spitze der Kirche steht.«
Die Verleihung besagter Ehrendoktorwürde am 31. Januar 1998 war offenbar das »Damaskus-Erlebnis« des damaligen Präfekten der Glaubenskongregation in Sachen Opus Dei. Denn seither konnte sich das Werk seines uneingeschränkten Wohlwollens erfreuen. Opus-Dei-Chronist Allen schreibt dazu: »Er arbeitete in der vatikanischen Kongregation für die Glaubenslehre eng mit einigen wichtigen Opus-Dei-Mitgliedern zusammen und hat stets seine Bewunderung für die Geistlichkeit und apostolischen Leistungen des Opus Dei zum Ausdruck gebracht.« Beispielhaft verwiesen sei hier auf Fernando Ocáriz, Generalvikar des Opus Dei und damit zweiter Mann nach dem Prälaten. Ocáriz war einer der Hauptautoren des im Jahr 2000 von der Glaubenskongregation veröffentlichten Dokuments »Dominus Iesus«, das wegen der Festschreibung des Alleinvertretungsanspruchs der Rom-Kirche zu scharfen Protesten selbst bei Katholiken führte. Während seiner ersten Pontifikalreise zum katholischen Weltjugendtag in Köln 2005 traf der nunmehrige Papst Benedikt XVI. demonstrativ in der vom Opus Dei verwalteten Kirche Sankt Pantaleon mit Seminaristen zusammen. Und in Rom ließ er es sich nicht nehmen, eine an der Außenseite des Petersdoms aufgestellte fünf Meter hohe Marmorskulptur des Heiligen Josefmaria persönlich einzuweihen.
Damit dürfte die kirchliche Karriere von Escrivás Korporation auch künftig gesichert sein. Dass es sich dabei um eine »Schleichende Machtübernahme« handelt, wie Opus-Dei-Kritiker Peter Hertel sein letztes Buch betitelte, wird allerdings von John L. Allen bestritten. Nach seiner Darstellung kann schon rein zahlenmäßig von einer zunehmenden Besetzung der Schaltstellen in der Kirche oder gar der Gesellschaft nicht die Rede sein. Auch die finanzielle und wirtschaftliche Macht entspreche durchaus der vergleichbarer Institutionen. Bei dieser Rechnung darf man allerdings nicht vergessen, dass die katholische Kirche eine autokratische Institution ist, in der es noch nie auf die Massen ankam, sondern stets nur auf das, was die Spitze wollte. Schließlich sind die Anhänger des »Vaters« keine in Konkurrenz zur Amtskirche agierende Gruppe, die misstrauisch von Sektenbeauftragten observiert wird. Sie sind Teil der katholischen Kirche, beeinflussen diese und damit die Gesellschaft in jenen Ländern, wo der Katholizismus stark ist und/oder - wie in Deutschland - mit dem Staat heillos verfilzt. Und die fundamentalistische, auf Gehorsam und Unterordnung orientierte Ideologie des Opus Dei hat zweifellos das Zeug als Gegengift zum Liberalismus des 20. und 21. Jahrhunderts, von dem sich ja sogar die Jesuiten im Gefolge des Vatikanums II anstecken ließen und mit der Befreiungstheologie sympathisierten.
Und selbst angesichts der mittelalterlichen Praktiken, die ein Teil der Opus-Dei-Mitglieder mit so genannten Bußbändern und -geißeln übt, sollte man sich daran erinnern, dass auch diese zur katholischen Tradition gehören. Escrivá schreibt: »Gesegnet sei der Schmerz. Geliebt sei der Schmerz. Geheiligt sei der Schmerz. Verherrlicht sei der Schmerz!« Erfunden hat der Opus-Dei-Gründer diesen masochistischen Fleischeshass weiß Gott nicht. Schon der offenbar von ähnlichen Wahnvorstellungen geplagte Apostel Paulus erklärte, Christen müssten den Leib »züchtigen und unterwerfen«, sie hätten »das Fleisch und damit ihre Leidenschaften und Begierden gekreuzigt«. Es bleibt auch in dieser Frage ein abgewandeltes Adorno-Wort als Fazit: Wer vom Opus Dei spricht, kann von der katholischen Kirche nicht schweigen.
Josemaría Escrivá de Balaguer (1902-1975), spanischer Jurist und Theologe, gründete das Opus Dei 1928 und leitete es bis zu seinem Tod. Sein Nachfolger war Alvaro del Portillo. Ihm folgte Javier Echevarría Rodríguez als Prälat (seit 1994). Sitz der Opus-Zentrale ist Rom. Die Mitgliederzahl beträgt rund 85 000, darunter etwa 2000 Priester. In über 60 Staaten ist Opus Dei als katholische Personalprälatur errichtet. Die stärkste Präsenz hat es im Gründungsland Spanien mit über 30 000 Mitgliedern (Deutschland: ca. 600).
Die »Numerarier« (20 Prozent) leben zölibatär in Opus-Dei-Zentren (Männer und Frauen getrennt). Die »Assoziierten« (20 Prozent) leben ebenfalls im Zölibat, aber außerhalb der Zentren. Den Hauptanteil bilden die »Supernumerarier« auf der untersten Ebene: Laien, die heiraten dürfen. So genannte korporative Werke sowie zahlreiche Stiftungen sichern dem Opus Dei gesellschaftlichen Einfluss.
*John L. Allen: Opus Dei. Mythos und Realität - Ein Blick hinter die Kulissen. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Bernardin Schellenberger. Güte...
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