» ... bitten wir, die Garage zu räumen ...«
Ostdeutsche bangen um ihren Besitz
Die Eigentümer von Garagen in Ostdeutschland sind verunsichert. Ein Gesetz könnte ab Jahresende zu Enteignungen oder Kostensteigerungen führen. Oft wird abgewartet, doch erste Kündigungen sind verschickt.
Anhänglichkeit zeigt sich oft in Details. In der Garage von Hans-Otto Hübner ist es eine Wandzeitung. In dem Glaskasten prangt rot geschriebene die Jahreszahl 1972. Daneben wellen sich Fotos in Schwarzweiß, die langsam vergilben. Zu sehen ist eine Baustelle, auf der junge Männer Betonpfosten aufstellen und Wandplatten einpassen. Hübner, dessen Haar nicht mehr ganz so üppig wallt wie auf der 34 Jahre alten Aufnahme, beugt sich nahe an ein Foto. »Hier haben wir Elektroanschlüsse verlegt«, sagt er zu seinem Garagennachbarn Siegfried Tais. Die beiden Rentner mustern sinnierend das alte Foto, und vor ihrem inneren Auge scheinen nicht nur die freiwilligen Arbeitsstunden im Garagenhof vorbeizuziehen.Ein halbes Jahr haben Hübner, Tais und 15 weitere Garagenbesitzer nach Feierabend und an den Wochenenden geschippt, Mörtel angerührt und Dachpappe verlegt. Zudem hat jeder von ihnen für die Garage »Typ Dresden« runde 2100 Mark gezahlt, was in jener Zeit ein gehöriger Batzen Geld war. Dafür konnten die Trabant, Wartburg und Lada, auf die ihre Besitzer zwölf Jahre und länger gewartet hatten, trocken und sicher untergestellt werden. »Die Hohlräume«, sagt Hübner, »waren ja nicht so gut konserviert wie heute.«
Unterstände gegen Hohlraum-Sorgen
Um die Hohlräume im Wageninneren und deren Anfälligkeit für Rost müssen sich die Garagenbesitzer in der Ostvorstadt von Bautzen ebenso wie anderswo in Ostdeutschland heute keine Gedanken mehr machen. Dafür haben sie andere Sorgen. Sie fürchten um ihre Garagen. Wenn sie glimpflich davonkommen, müssen sie ab Ende des Jahres für deren Nutzung erheblich mehr Geld berappen als bisher. Wenn sie Pech haben, sind sie die einst mühevoll errichteten Wagenunterstände los - und zahlen für einen möglichen Abriss noch drauf.
Grund für die Sorgen ist ein Gesetz mit dem sperrigen Titel »Schuldrechtsanpassungsgesetz«, das im Jahr 1994 vom Bundestag verabschiedet und sechs Jahre später ergänzt wurde. Ziel ist, die Eigentumsverhältnisse auf dem Gebiet der früheren DDR mit denen in der alten Bundesrepublik in Übereinstimmung zu bringen. Im Westen gilt der Grundsatz: »Das Gebäude folgt dem Boden.« In der DDR dagegen wurde meist auf volkseigenem Boden gebaut, der nicht verkauft werden durfte. Garagen, Wochenendhäuser und Eigenheime in Ostdeutschland stehen daher heute auf Grundstücken, die nicht den Eigentümern der Bauwerke gehören.
Kopfschütteln im Westen, erregte Gemüter im Osten
Was im Westen der Republik bestenfalls für verwundertes Kopfschütteln sorgt, erregt im Osten des Landes nun zunehmend die Gemüter. Als erste sind die Garagenbesitzer dran. Denn während das Gesetz, mit dem 1994 die Anpassung der Eigentumsverhältnisse an das bürgerliche Recht beschlossen wurde, noch einigermaßen passable Übergangszeiten für ostdeutsche Gebäudeeigentümer festlegte, endet die Galgenfrist im Fall der Garagen schon Ende 2006. Auslöser ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das auf Klage zweier Grundeigentümern die ursprüngliche Frist um sechs Jahre verkürzte. Anders als Datschen, so das Gericht, hätten Garagen schließlich »nicht als Refugium für einen privaten Freiraum im sozialistischen Alltag« gedient und unterlägen daher auch keinem besonderen Schutz.
Hans-Otto Hübner, der das Gesetz und die Folgen einen »schönen Unsinn« nennt, hat davon in Broschüren erfahren, die der »Verband der Grundstücksnutzer« (VDGN) herausgibt. »Garageneigentum in Gefahr - was tun?« steht auf einem Titelblatt. Die Hefte gehen derzeit weg wie warme Semmeln. Denn die Verunsicherung unter den Garagenbesitzern im Osten ist groß, und die Zahl der Betroffenen ist alles andere als unbeträchtlich. Der VDGN schätzt, dass bis zu 1,5 Millionen Eigentümer die Auswirkungen des Gesetzes zu spüren bekommen; allein in Sachsen liegt die Zahl bei 200 000. Viele von ihnen fürchten, enteignet zu werden.
Hübner und seine Nachbarn hat die Lektüre der VDGN-Broschüre zum Handeln veranlasst. Der Verein, den sie 1992 gegründet haben, schrieb eine Eingabe an die Stadt, der die mitten in einem Wohngebiet gelegene Fläche des Garagenhofs gehört und die zu Beginn der 90er Jahre einen Antrag auf Erwerb des Areals abgelehnt hatte. Auch einer örtlichen CDU-Bundestagsabgeordneten schilderten sie ihre Sorgen. Die Politikerin schickte ihnen ein Merkblatt, in dem ausgeführt war, welche Regeln etwa beim Pflanzen von Sträuchern an Garagen zu beachten sind. »Das kann ins Altpapier«, kommentiert Hübner. Die Stadt erklärte, die Vermutung einer bevorstehenden Kündigung könne »nicht bestätigt werden«. Zur Umnutzung der Fläche gebe es »gegenwärtig keine Absicht«. Über Geld, merkt Hübner an, »wird nichts gesagt«. Die finanziellen Verhältnisse sind freilich das Mindeste, was sich für die bisherigen Garageneigentümer ab 2007 ändern wird. Statt eines Nutzungsentgeltes, das etwa im Fall der Bautzner Garagen bei 102 Euro jährlich liegt, muss dann eine Pacht entrichtet werden, die 50 bis 70 Euro monatlich betragen könnte. Hoffnungen, wonach die Kommunen aus sozialen Gründen niedrigere Beträge festlegen könnten, dürften kaum gerechtfertigt sein. Zwar berichtet der VDGN vom Beispiel der Stadt Eberswalde, wo die Nutzungsrechte für 15 Jahre unverändert weitergelten sollen. In Sachsen aber dürften sich zumindest Kommunen mit unausgeglichenem Haushalt genötigt sehen, auf derlei Einnahmen nicht zu verzichten.
Beleg ist ein Brief von Innenminister Albrecht Buttolo an den Linkspartei-Abgeordneten Klaus Bartl. Darin betont der CDU-Politiker, er sehe keinen Grund, warum Kommunen von der Kündigung alter Garagenverträge oder der Durchsetzung von Marktmieten abgehalten werden sollten. Die Gemeinden seien »grundsätzlich gehalten, aus ihrem Finanzvermögen angemessene Einnahmen zu erzielen«. Zudem gebe es »keinen sachlichen Grund dafür«, die Garagennutzer noch länger »auf Kosten der Gemeinden wirtschaftlich zu begünstigen«, so Buttolo.
Kündigung für neue Parkplätze
Dass es noch dicker kommen kann, hat Bernd Ahnert erfahren. Der Handwerker aus Wüstenbrand bei Chemnitz ist einer von 20 Eigentümern auf einem kleinen Garagenhof, der mitten im Ort zwischen Rathaus und ehemaliger Schule liegt. Letztere wurde vor fünf Jahren samt Grundstück an eine private Gesellschaft verkauft, die das Gebäude zum Altenheim umbaute. Als nach einiger Zeit die Parkflächen nicht mehr ausreichten, geriet die Garagenanlage ins Visier. Ende vorigen Jahres erhielten deren Eigentümer einen Brief, in dem zu Anfang 2007 die Kündigung ausgesprochen wird. »Sie werden gebeten«, heißt es, »die Garage bis 8. Januar 2007, 10 Uhr, zu räumen.«
Kein Anspruch auf Entschädigung
Für Ahnert und seine Nachbarn hat das gewählte Datum fatale Folgen. Denn während bei der Kündigung einer Garage, wie sie schon bisher möglich ist, ein finanzieller Ausgleich erfolgen muss, ändern sich die Regeln mit Auslaufen der Schutzfrist Ende 2006 gravierend. Laut Gesetz gebe es keinen Anspruch auf Entschädigung mehr, heißt es im Kündigungsschreiben. Vielmehr hätten sich die bisherigen Garageneigentümer an den Kosten für den vorgesehenen Abriss der Garagen zu beteiligen - und zwar zur Hälfte. Auf einer Versammlung wurde kürzlich ein Betrag von 6500 Euro für die 20 Garageneigentümer genannt. Ahnert, der einst rund 4000 Mark für die Garage hingeblättert hat, ist schwer verärgert: »Das ist außerordentlich dumm gelaufen.«
Kündigungen wie in Wüstenbrand sind bisher die Ausnahme. Vor allem die Kommunen, auf deren Grund sich 70 Prozent der Garagenstandorte befinden, halten sich damit bisher zurück. Grund zur Entwarnung ist das für die Garagenbesitzer freilich nicht. So hat in Chemnitz, wo es 13 589 Garagen gibt, der Stadtrat einen Beschluss gefasst. Darin werden die 251 Garagenstandorte in vier Kategorien eingeteilt - von dauerhaftem Bestandsschutz bis zu »Verwertungsstandorten«. Letztere können jederzeit gekündigt werden. Die Gruppe umfasst allein 175 Anlagen.
In Bautzen stehen Entscheidungen des Stadtrats noch aus. Dass ihr Garagenhof irgendwann weichen muss, glauben Hans-Otto Hübner und Siegfried Tais nicht, schließlich liegt er mitten zwischen Wohnhäusern, wo eine andere Nutzung nur schwer vorstellbar ist. Wie es mit der Anlage weitergeht, ist trotzdem ungewiss. »Das wird der Preis entscheiden«, sagt Tais: »Wenn es zu viel kostet, stelle ich das Auto auf die Straße.« Sein Nachbar ist zögerlicher. Die Parkflächen im Wohngebiet würden immer knapper, sagt Hübner, der in der Garage eine kleine Werkstatt eingerichtet hat und sich sein letztes Auto nach der Länge der Garage aussuchte; zudem würden zunehmend Fahrzeuge beschädigt: »In der Garage weiß ich, dass Spiegel und Antenne sicher sind.«
Vom Stadtrat erwarten die Garagenbesitzer aus der Ostvorstadt nun eine »bürgerfreundliche Lösung«. Für das Gesetz und die verkürzten Übergangsfristen haben sie keinerlei Verständnis: »In zehn Jahren«, sagen sie mit Blick auf das Durchschnittsalter der Garagennutzer, »hätte sich das Problem doch ohnehin erledigt.« Ihr einst inniges Verhältnis zu den mit eigener Hände Arbeit errichteten Garagen scheint schon jetzt abgekühlt. »An einer enteigneten Garage«, geben sie zu Proto...
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