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Der ganz spezielle Sog in die Unterwelt

Einen Beruf »Höhlenforscher« gibt es nicht - doch was bringt die nicht ungefährliche Kletterei in der Tiefe eigentlich?

  • Sabine Dobel
  • Lesedauer: 4 Min.
Nach dem Unfall in der Riesending-Höhle kommt immer wieder die Frage: Warum muss man da hinein? Höhlenforscher liefern zwar wissenschaftliche Erkenntnisse. Aber wie wichtig sind diese?

Es musste das Wasser gewesen sein, das er getrunken hatte. Das war für Édouard Alfred Martel klar. Schwer krank kam er aus der Höhle zurück. Wieder gesund erforschte er die Höhle bachaufwärts und fand einen Karst-Einbruch mit totem Vieh. Der 1859 geborene Franzose gilt als erster systematischer Höhlenforscher. Er erreichte, dass 1902 Karstgebiete als Wasserschutzgebiete in die französische Gesetzgebung aufgenommen wurden.

»Höhlenforscher haben für den Wasserschutz wichtige Fakten erarbeitet«, sagt Friedhart Knolle vom Verband der deutschen Höhlen- und Karstforscher (VdHK). Immer wieder gab es unerklärliche Krankheitsausbrüche - oft der »Martel-Effekt«. Auch wenn kein totes Vieh mehr in Höhlen landet: »Je mehr wir über unsere Wasservorkommen wissen, desto besser ist das für staatliche Planungen.«

Auch der verunglückte Johann Westhauser und seine Freunde waren in der Riesending-Schachthöhle bei Berchtesgaden unter anderem den unterirdischen Wasserläufen auf der Spur. Mittlerweile hatten sie dem Geologen Michael Denneborg zufolge an einigen Stellen den Karstwasserspiegel erreicht.

Nun wollten sie noch weiter im Untersberg vordringen - und vielleicht hatten sie ein Fernziel: Irgendwann die Verbindung zu finden zu dem österreichischen Gamslöcher-Kolowrath-System. »Die Verbindung von zwei Höhlen unter der Grenze - das wäre eine Vision«, sagt Denneborg, der über die Entstehung von tiefen Höhlensystemen promoviert hat.

In den Alpen sind Tausende Höhlen bekannt. Aber in den Plateaus der nördlichen Kalkalpen könnten noch viele unentdeckte warten. Allein die Entdeckung ist ein Anreiz - und Westhausers Gruppe hatte Deutschlands tiefste Höhle gefunden. »In dem Moment, in dem man eine Höhle entdeckt, ist es geradezu eine Verpflichtung, sie auch zu erforschen, auch wenn es Jahre dauert«, sagt Denneborg. »Ganz allein als erster in so einen engen Gang zu kriechen und dann dahinter einen neuen großen Gang zu entdecken, sind für das ganze Leben unvergessliche Momente. Und wenn einem der Wind entgegen pfeift - dann weiß man: Es geht hier weiter.«

Von wissenschaftlichem Nutzen ist das nur bedingt. »Es geht um das Entdecken, das Entdecken in der Gruppe«, sagt Denneborg. »Auf einem Boden stehen, auf dem noch kein anderer stand«, so beschrieben manche Kollegen Westhausers, die bei der Rettung halfen, ihre Motivation. Dennoch zieht es in Höhlen keine Adrenalinjunkies. Der Ausflug ist nicht nur angenehm. In alpinen Höhlen sind Unmengen an Material nötig: Hunderte Meter Seil, Haken, bei stundenlangem Aufstieg mit schwerem Rucksack. Die Nächte im Biwak sind kalt und feucht; wenn es regnet, tropft es dem Forscher auch mal von Stalaktiten ins Gesicht.

Einen Beruf »Höhlenforscher« gibt es nicht. Höhlenbegeisterte Hydrogeologen, Biologen, Paläontologen, Geologen, Archäologen und Hobby-Forscher - böse auch schon mal Hilfswissenschaftler genannt - versuchen, den Geheimnissen unter der Erde auf die Spur zu kommen.

Die Welt dort hat eine eigene Faszination: Seen, blitzende Tropfsteine in fantastischen Formen, riesige Säle, tiefe Schächte, deren Dimensionen Besucher mangels Licht und Vergleichsobjekten manchmal kaum erfassen. »Es ist eine unglaublich bizarre Natur«, sagt der Neurochirurg Michael Petermeyer, der bei der Rettung als Arzt half. »Man findet extrem kuriose Lebensformen.«

Den Grottenolm etwa, eine mit den Salamandern verwandte Art. Er hat wie viele im ewigen Dunkel lebende Tiere kein Pigment und keine Augen. Um das Leben dort unten bekannter zu machen, kürt der VdHK ein »Höhlentier des Jahres«, 2014 die Höhlenwasserassel. Auch »Proasellus cavaticus« ist blind und farblos. Algen, Spinnen, Krebse, Molche: Die Arten bilden ein eigenes Ökosystem, ständig werden neue entdeckt.

Die Höhlenforschung befruchtet auch die Raumfahrt. »Die Marsforscher haben bei uns Ergebnisse abgefragt über die Biologie unter Tage - weil sie auf dem Mars ähnlich sein könnte«, sagt Knolle. Auf dem Mars wurde Wasser nachgewiesen - damit könnte es primitives Leben geben. In den Dachsteinhöhlen wiederum simulierten Forscher eine Mars-Mission und testeten einen Raumanzug.

Eishöhlen, für Touristen eine spezielle Attraktion, bringen Beiträge zur Klimaforschung, denn auch die unterirdischen Gletscher schmelzen. In der Zusammensetzung von Tropfsteinen ist das Klima von Jahrmillionen konserviert. Eine dicke Steinschicht bedeutet, dass es viel geregnet hat. Tropfsteine haben eine Art Jahresringe, die Jahrhundertringe sein können.

Zu den ersten, die Höhlen zu wissenschaftlichen Zwecken erkundeten, zählte der Paläoanthropologe Johann Carl Fuhlrott. Er entdeckte im Jahr 1856 im Neandertal die Überreste des Neandertalers. Im Eingangsbereich vieler Höhlen finden sich Spuren früherer Bewohner: Steinwerkzeuge, Zeichnungen, aber auch Knochen von Höhlenbären und anderen Tieren.

In Höhlen gibt es auch Therapien bei Asthma und Allergien. Die hohe Luftfeuchtigkeit reinigt die Luft. Der hohe Kohlendioxid-Gehalt hat zudem beruhigende Wirkung auf das vegetative Nervensystem. Allerdings finden Erholungsbedürftige ähnliche Verhältnisse im Wald. Statt Höhle tut es für manchen auch ein Spaziergang. dpa/nd

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