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Über eine Million dauerhaft ohne Job

Bundesagentur meldet leicht sinkende Arbeitslosenzahlen, erwartet aber für die kommenden Monate bestenfalls eine Stagnation

  • Roland Bunzenthal
  • Lesedauer: 3 Min.
Trotz guter Konjunktur steigt die Zahl der Langzeiterwerbslosen. Derzeit haben rund 37 Prozent aller Arbeitslosen kaum noch eine Chance auf eine neue Stelle.

Die deutsche Wirtschaft wächst weiter, doch der Aufschwung verliert an Kraft. Der im Juni durch jahreszeitliche Einflüsse übliche Rückgang der Arbeitslosigkeit fand zwar auch diesmal statt, aber »etwas schwächer als üblich«, wie der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit (BA), Frank-Jürgen Weise, am Dienstag in Nürnberg sagte. Für den Arbeitsmarkt bedeutet das eine Tendenz in Richtung Stagnation - bei knapp drei Millionen Arbeitslosen.

Die aktuellen Zahlen bestätigen diesen Trend: So waren im Juni insgesamt 2,83 Millionen Menschen hierzulande arbeitslos registriert - das waren 49 000 weniger als im Mai und 32 000 weniger als vor einem Jahr: Saisonbereinigt ist die Zahl der Erwerbslosen sogar leicht um 9000 im Vergleich zum Vormonat gestiegen. Bei der Saisonbereinigung werden jahreszeitlich bedingte Schwankungen herausgerechnet und somit der Einfluss der Konjunktur deutlich gemacht. Sollte sie irgendwann kippen, würde die Arbeitslosigkeit von einem relativ hohen Niveau an steigen.

Arbeitslosigkeit im Euroraum

Luxemburg. Die Arbeitslosigkeit im Euroraum bleibt trotz einer leichten Konjunkturerholung auf hohem Niveau. Die Arbeitslosenquote betrug im Mai - wie schon im April - 11,6 Prozent, wie die EU-Statistikbehörde Eurostat am Dienstag in Luxemburg mitteilte. Eurostat hatte für den April zunächst einen Wert von 11,7 Prozent geschätzt, korrigierte ihn aber nun.

In 18 Euroländern waren im Mai rund 18,5 Millionen Menschen ohne Arbeit. Die Jugendarbeitslosigkeit im Euroraum lag bei 23,3 Prozent, das entsprach rund 3,4 Millionen jungen Menschen unter 25 Jahren. dpa/nd

 

Bemerkenswert ist die Diskrepanz zwischen den immer lauteren Klagen der Unternehmer über den wachsenden Fachkräftemangel und einem gleichbleibend hohen Sockel an Langzeiterwerbslosigkeit. 1,06 Millionen Frauen und Männer und damit gut 37 Prozent aller Erwerbslosen sind länger als ein Jahr ohne Job und oft ohne Aussicht, wieder einen zu bekommen. Gegenüber 2013 hat diese Zahl um ein Prozent zugenommen.

Zugleich wird deutlich, dass die arbeitsmarktpolitischen Anstrengungen, diese Kluft zu schließen, eher nachlassen als zunehmen: so ist die Zahl der erwerbslosen Teilnehmer an Förderungs- und Qualifizierung durch die Arbeitsagenturen binnen Jahresfrist um fünf Prozent auf 848 000 Personen geschrumpft, in den vergangenen vier Jahren sank sie sogar um ein Drittel.

Das bedeutet, die deutsche Wirtschaft deckt ihren steigenden Fachkräftebedarf überwiegend aus anderen Quellen als den registrierten Arbeitslosen und schon gar nicht aus dem Heer der Langzeitbetroffenen. So werden lieber ausgewählte hoch qualifizierte Arbeitskräfte als Migranten ins Land geworben, Senioren aus dem Ruhestand zurückgeholt, und Frauen mit Fachkenntnissen finden nach der Geburt ihrer Kinder etwas leichter den Wiedereinstieg in den Beruf. Das heißt, insgesamt sinkt die Stille Reserve zu Lasten der registrierten Erwerbslosen.

Auch die eigenen Ausbildungsanstrengungen der Betriebe in vergangenen Jahren machen sich nun bezahlt. Doch mittlerweile lässt das Engagement der Unternehmer offenbar nach: So wurden im laufenden Ausbildungsjahr bislang 29 000 mehr Bewerber gezählt als gemeldete Lehrstellen. Hier ist die oft fehlende Übereinstimmung der Berufswünsche der Jugendlichen mit dem Angebot der Wirtschaft ein Problem. Schließlich verhindert auch die hohe Zahl der Überstunden häufig Neueinstellungen von Arbeitslosen. Im Schnitt arbeiten Beschäftigte rund zwölf Stunden mehr im Monat als tariflich vorgesehen ist.

Das bei der BA angesiedelte Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hatte vor kurzem bereits Warnzeichen für eine Verschlechterung der Arbeitsmarktsituation in den nächsten Monaten gegeben. Das Arbeitsmarktbarometer des IAB, das aus der Befragung lokaler Arbeitsagenturen erstellt wird, zeichnet ebenfalls ein Bild der Stagnation in den kommenden Monaten.

Derweil fehlt der BA offenbar das Geld, um weitere Qualifizierungsmaßnahmen bewilligen zu können: Das erste Halbjahr schloss sie zwar mit einem ausgeglichenen Haushalt ab. Da jedoch mittlerweile mehr als zwei Drittel aller Arbeitslosen unter Hartz IV fallen und damit in der finanziellen Verantwortung des Bundes liegen, wäre es Aufgabe des Berliner Arbeitsministeriums, für mehr berufliche Fortbildung zu sorgen. Aber auch die Wirtschaft muss etwas dafür tun, um gering Qualifizierte besser und passgenauer im Betrieb weiterzubilden. Von allen Erwerbslosen sind derzeit knapp die Hälfte an- und ungelernte Hilfskräfte - aber nur 14 Prozent der angebotenen Stellen sind für diese Gruppe geeignet.

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