Russland meidet den Einmarsch

Moskau verweist Ukraine nach Beschuss einer grenznahen Siedlung auf mögliche Folgen

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach dem Beschuss einer grenznahen Siedlung droht Moskau der Ukraine mit Konsequenzen. Keinen Einmarsch, aber »Präzisionsschläge« vermuten Beobachter.

Als »nicht hinnehmbar« kritisierte Russlands Präsident Wladimir Putin, der zurzeit in Lateinamerika unterwegs ist, den Beschuss einer russischen Siedlung an der Grenze zur Ukraine am Sonntag. Eine Granate war dabei in ein Wohnhaus eingeschlagen, es gab einen Toten und einen Verletzten.

Zwar waren seit Beginn der Kämpfe zwischen Regierungstruppen und pro-russischen Milizen im Südosten der Ukraine schon mehrfach Geschosse auf russischem Gebiet eingeschlagen oder detoniert, doch bisher gab es keine Menschenopfer. Entsprechend hart fiel daher auch die Reaktion des Außenamtes in Moskau aus.

In dessen Erklärung ist von einer »Provokation« die Rede, die Russland als »Aggression« betrachte. Der Zwischenfall zeuge von einer gefährlichen Eskalation der Spannungen im Grenzgebiet und könne »irreversible Folgen« haben. Die Verantwortung dafür trage die ukrainische Seite. Weil die ukrainische Artillerie aber weiter auf Stellungen der Aufständischen schieße, so warnte die Moskauer »Nesawissimaja Gaseta« werden die Geschosse auch immer häufiger auf russischem Gebiet landen. »So könnte auch Russland in den bewaffneten Konflikt hineingezogen werden.«

Kiew leugnet aber jede Beteiligung. Moskau, schreibt die stets gut informierte Tageszeitung »Kommersant« unter Berufung auf eine Quelle in der Kreml-Administration, erwäge inzwischen Präzisionsschläge gegen Stellungen und Objekte auf ukrainischem Gebiet, von denen aus auf Russland geschossen wird. Wo sich diese befinden sei bekannt, Russlands Geduld »nicht unendlich«. Größere Kampfhandlungen seien jedoch nicht geplant. Punktgenaue Schläge, so auch Senator Jewgeni Buschmin gegenüber russischen Medien, seien der einzig mögliche Weg für zivilisierte Staaten, ihn gehe auch Israel. Buschmin sitzt für das Gebiet Rostow im russischen Oberhaus.

Weil die Region an das Krisengebiet grenzt, suchen vor allem dort Kriegsflüchtlinge Schutz. Seit Beginn der Kämpfe in der Südostukraine seien insgesamt fast 500 000 Menschen nach Russland geflüchtet, sagte eine Sprecherin der Föderalen Migrationsbehörde der Moskauer Nachrichtenagentur Interfax. Die UNO habe bereits Hilfe bei der Einrichtung winterfester Lager angeboten. Auch in Südrussland sind Fröste von bis zu minus 20 Grad keine Seltenheit. Dass der Konflikt gelöst wird, bevor die Kälte kommt, halten Experten für eher unwahrscheinlich.

Größere Kampfhandlungen oder gar einen Einmarsch schloss Dmitri Trenin vom Moskauer Carnegie-Zentrum dennoch aus. Putin sei sich der politischen Langzeitfolgen und der daraus resultierenden Kosten für Russland bewusst und daher bemüht, russische Interessen ohne militärische Gewalt durchzusetzen.

Kollege Andrei Kortunow vom Russischen Rat für Internationale Angelegenheiten ist sich da so sicher nicht. Es gebe in der Ukraine wie in Russland Kräfte, die Moskau provozieren und in den Konflikt hineinziehen wollten.

Im Anbetracht der Unmenge an Waffen und Munition im Krisengebiet, wo zudem die grenzüberschreitende Kriminalität zulegt, gebe es dafür durchaus Erfolgschancen.

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