TTIP wird nicht annehmbarer, nur weil es keine Spionage mehr gibt

  • Roberto De Lapuente
  • Lesedauer: 3 Min.

Jetzt hat sie die Wut doch noch gepackt. Die Spionage herunterspielen ist nicht mehr. Nun soll gehandelt werden. Und weil die deutsche Außenpolitik nicht besonders viele Mittel hat, sich gegen die Praxis der US-amerikanischen Geheimdienste zur Wehr zu setzen, mahnt man jetzt zögerlich an, dass das beabsichtige Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten platzen könnte. Wolfgang Bosbach (CDU) rät zum Beispiel zu einer »Zäsur bei den Verhandlungen, um mal über Datenschutz und Datensicherheit mit den Amerikanern zu sprechen« und will so warnen, dass dieses Abkommen kein Selbstläufer ist.

Ich höre sie nun schon jubeln, die vielen Kritiker von TTIP, die seit Monaten völlig zurecht vor den Inhalten der Verhandlungsgespräche und Vertragsentwürfe warnen. Höre sie loben, dass endlich Bewegung – oder besser gesagt: Bewegungslosigkeit - in die Sache komme. Höre, wie sie sich freuen, weil das Moratorium greifbar sei, wenn nur noch mehrere Koalitionspolitiker ihre Empörung in TTIP-Verdrossenheit verwandeln würden.

Zugegeben, als ich letztens kurz in das »ZDF Morgenmagazin« zappte und mir ein Bericht zur Spionage einbläute, dass es keinerlei Handlungsspielräume gäbe, der öffentlichen Empörung Konsequenzen folgen zu lassen, da fand ich auch, dass da was unterschlagen wurde. »Die könnten die Verhandlungen über TTIP beenden«, sagte ich mir dann. »Es ist ja nicht so, dass es da gar keine Hebel gäbe, an deren längeren Ende man sitzt.« Daumenschrauben wären durchaus vorhanden. Erst nach einigem Nachdenken kam mir in den Sinn, dass diese Koppelung beider Sachthemen keine gute Idee ist.

Denn Bosbach und Kollegen bringen da zwei Dinge zusammen, die man nicht in Abhängigkeit stellen sollte. Diese empörten Politiker spielen sich hier ja nicht als grundsätzliche Gegner des Abkommens auf, sondern wollen es nur instrumentalisieren. Ungesagt steht hinter deren Absicht nämlich auch, dass man bei Einlenken von Washington gerne auch wieder bereit sei, sich über TTIP weiterzuunterhalten. Nach dem Motto: »Hört auf mit dem Agentenspiel und wir machen die Freihandelszone fix.« Und ganz sicher begäbe sich die europäische Seite durch eine Verquickung beider Themen in eine Abhängigkeit bei dem Verhandlungen. Denn die Amerikaner könnten dann darauf pochen, dass sie eingelenkt hätten und jetzt quit pro quo auch etwas wollten.

Nein, diese Verflechtung von Spionage und Freihandelsabkommen ist ein gefährliches, ein politisch dummes Spiel. Denn TTIP wird nicht annehmbarer, nur weil es eventuell fortan keine »Spionage unter Freunden« mehr gibt. Spionage- und Freihandelsabsichten sind gleichermaßen unannehmbar. Die geheimdienstliche Unterwanderung von Untersuchungsausschüssen und die beabsichtigten Schiedsgerichtsverfahren bei TTIP, die den gesetzlichen Rahmen sprengen können (und werden), kann man doch nicht voneinander abhängig machen. Es gibt ein öffentliches Interesse dafür, beide Praxen zu vereiteln. Beides sind nämlich Symptome einer internationalen Politik, die den demokratischen Rahmen schon lange verlassen hat und selbstherrlich über den Souverän hinweggeht.

Genau deswegen ist beides aus Bürgersicht nicht verhandelbar. Diese Front für die Aussetzung der Verhandlungen besteht nicht aus Gegnern und Skeptikern des Abkommens, sondern ganz im Gegenteil. Sollte sich das NSA am Riemen reißen, dann sind die jetzt empörten Damen und Herren sicher gerne wieder bereit, über die in TTIP geplante Aufweichung von Arbeitnehmerrechten und Umwelt- und Gesundheitsstandards zu verhandeln - und einzulenken. Denn die haben immer noch Bock auf dieses lukrative Großprojekt. Kein Grund zur Entwarnung also.

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