Warum ich Mitglied der Roten Hilfe bin

Freke Over über Verfassungsschutz und linken Widerstand gegen Rechts

  • Freke Over
  • Lesedauer: 3 Min.

Dieser Tage hat der Brandenburger Verfassungsschutz zum zweiten Mal den sogenannten Extremographen vorgestellt. Wie schon im Vorjahr ist auf dieser politischen Landkarte alles verzeichnet, was der Geheimdienst für extremistisch und damit gefährlich hält. Neben der NPD und Nazikameradschaften finden sich absurderweise auch Gruppierungen, die den Nazis entgegentreten - Antifagruppen, Autonome, die DKP. Und es finden sich Gliederungen der Roten Hilfe, deren Mitglied ich bin.

Die Rote Hilfe ist die Organisation, die unabhängige Rechtsberatung und Unterstützung von staatlicher Repression betroffener Menschen durchführt und sie hilft Gefangenen, die aus politischen Gründen im Gefängnis sitzen. Sie entstand in der alten Bundesrepublik aufgrund der Kontinuität der nationalsozialistischen Gerichtsbarkeit noch über Jahrzehnte nach dem Ende des deutschen Faschismus. Sie war notwendig vor dem Hintergrund des KPD-Verbotes und der Kommunistenverfolgung der McCarthy-Ära. Auch Zehntausende Berufsverbote in Westdeutschland, Gesinnungsjustiz gegen die 68er Revolte und Sondergesetze zu RAF und Revolutionären Zellen machten eine Unterstützungsorganisation notwendig - unabhängig von der Frage, ob man die Ideologie der von Verfolgung Betroffenen teilt. Nicht wenige politische Gefangene der BRD haben 15 Jahre in Isolationshaft gesessen, ohne dass ihnen jemals eine Tatbeteiligung nachgewiesen wurde. Politische Justiz gab es eben nicht nur in der DDR. Heute wird die Rote Hilfe immer noch gebraucht. Leider. Denn es gibt immer noch politisch-juristische Diskriminierung: Schüler, die man wegen Sitzblockaden gegen Naziaufmärsche vor den Kadi zieht; Betroffene rechter Gewalt, die als Opfer auch noch kriminalisiert werden - so etwas ist für mich Grund, seit fast 20 Jahren Mitglied der Roten Hilfe zu sein. Die Kriminalisierung vieler Jugendlicher in Folge von Protesten gegen Naziaufmärsche in Neuruppin war für mich und einige andere »Politrentner« vor einigen Jahren der Grund, in Neuruppin eine Ortsgruppe der Roten Hilfe zu gründen. Vor Ort ansprechbar zu sein und rechtliche Informationen zu geben, das sehen wir als unsere Aufgabe. Zum Beispiel muss niemand einer Vorladung der Polizei folgen, bei der sich Uninformierte oft, überredet durch die Beamten, selbst belasten.

Dass die Rote Hilfe neben anderen linken Gruppen jetzt wieder im Extremographen auftaucht, setzt eine Linie des Brandenburger Verfassungsschutzes fort: In scheinbar lockerer Umsetzung werden mehr oder weniger linksradikale Antifaschistinnen mit den gewaltbereiten Rechtsextremisten in Brandenburg gleichgesetzt. Dies ist eine unverantwortliche Verharmlosung rechter Gewalt, die bekanntlich seit 1990 in Deutschland über 200 Menschen das Leben gekostet hat. So eine Banalisierung des Rechtsextremismus erschreckt mich zutiefst, weil damit wieder der Kriminalisierung der Opfer Vorschub geleistet wird.

Einerseits gibt es die Untätigkeit von Verfassungsschützern bis hin zum kumpelhaften Umgang mit Rechtsextremisten, was nicht zuletzt durch die Aufdeckung der NSU-Morde und der unglaublichen Verstrickung von V-Leuten (IM) offenbar wurde. Andererseits wird der angebliche Linksextremismus aufgebauscht. Musste nicht der Brandenburger Verfassungsschutz in zwei aufeinander folgenden Jahren Teile seines Berichtes schwärzen, weil er falsche oder abstruse Passagen zum Neuruppiner Jugendzentrum »Mittendrin« enthielt?

Nicht nur die Gerichtsbarkeit, auch Polizei und Geheimdienste in Westdeutschland waren über Jahrzehnte von Nazis durchsetzt wie eine in den letzten Jahren zaghaft einsetzende Aufarbeitung der Geschichte von BND/Gruppe Gehlen, BKA und anderen staatlichen Sicherheitsdiensten zeigt. Eine Blindheit auf dem rechten Auge scheint als Spätfolge geblieben zu sein. Ich sehe den Brandenburger Verfassungsschutz als eine extremistische Organisation des demokratischen Zentralismus. Anachronistisch wie das MfS, doch zum Glück ohne dessen Repressionsbefugnisse.

Müsste eine unabhängige Justiz nicht längst gegen den Brandenburger Verfassungsschutz ermitteln, wegen der Verharmlosung von Straftaten nationalsozialistischer Motivation und demokratiefeindlicher Bestrebung? Die SPD in der Landesregierung muss sich fragen lassen, wen sie an ihrer Brust nährt. Meine Partei, die LINKE, habe ich gefragt, warum wir diesen Irrsinn an Steuermittelverschwendung mitmachen. Eine Neuauflage von Rot-Rot nach der Landtagswahl im September dieses Jahres muss das Problem des Verfassungsschutzes lösen. Vielleicht sollte sich die SPD dabei an ihren Thüringer Genossen orientieren, die in der Debatte zur Abschaffung ihres Verfassungsschutzes schon weiter sind.

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