Die Ölfresser kommen

  • Reinhard Renneberrg, Hongkong
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.
»Ich habe gewonnen!« schrie 1980 ein sonst bescheidener und zurückhaltender Inder aus voller Kehle, als er den Bescheid des Obersten Gerichtshofs zu »Diamond versus Chakrabarty 447 U.S. 303 (1980)« hörte. Er hatte 1971 ein Patent angemeldet und seitdem prozessiert. Sein ölfressender Bakterien-Stamm war das erste »neugeschaffene« Lebewesen in der Geschichte, für das ein Patent in den USA erteilt wurde. Ein Dammbruch im Patentwesen! Der in den USA lebende indische Biotechnologe Professor Ananda Mohan Chakrabarty hatte bei General Electric zunächst Bakterien gezüchtet, die das hochgiftige Pflanzenvernichtungsmittel (Herbizid) 2,4,5-T abbauen können. Dieses war von den USA im Vietnamkrieg zur »Entlaubung« eingesetzt worden. Danach wurden regelrechte Ölfresser sein Ziel. Dafür entnahm er vier Stämmen der Bakterienart Pseudomonas putida, die jeweils die Ölbestandteile Octan, Kampher, Xylen und Naphtalin »verdauen«, zunächst ringförmige DNA (Plasmide). Er erzeugte aus vier Plasmiden ein »Super-Plasmid« und schleuste dieses tausendfach wieder zurück in die Bakterien ein. Damit schuf er ein Superbakterium, das alle vier Stoffe gleichzeitig abbaut. »Das ist nicht mehr, als wenn Sie Ihrem Hund oder Ihrer Katze ein paar Tricks beibringen«, sagte Chakrabarty der Zeitschrift »People«. Das war tiefgestapelt, denn die transformierten Bakterien stürzten sich schließlich mit Heißhunger auf Erdölrückstände. Sie sollten bei Tankerkatastrophen, wenn riesige Flächen des Meeres von der Ölpest bedroht sind, schnell das Erdöl abbauen. Die dabei massenhaft gewachsenen Mikroorganismen werden anschließend durch andere Meereslebewesen gefressen und verschwinden dadurch wieder. Doch Chakrabartys Ölfresser kamen in der Umwelt noch nie zum Einsatz. Bis heute ist die Freisetzung gentechnisch manipulierter Bakterien nicht erlaubt. So benutzt man weiterhin »normal« gezüchtete Bakterien, z.B. 1989 bei der katastrophalen Havarie der »Exxon Valdez« 1989 vor der Küste Alaskas, in deren Folge 250 000 Seevögel starben. Hier wurde die Hauptmasse der 380 000 Tonnen Öl maschinell aufgesaugt und filtriert, die Öl-Schichten auf Felsen und Kies jedoch mit natürlich vorkommenden Mikroben abgebaut. Deren Wachstum und Leistung regte man zusätzlich durch Dünger an. Jährlich werden die Meere immer noch durch Millionen Tonnen Erdöl verschmutzt, doch spielen spektakuläre Tankerkatastrophen dabei eine eher kleine Rolle. Das illegale Ablassen verdreckten Ballastwassers aus Tankern auf offener See und Abwässer in den Flüssen sind die Hauptquellen des Öls. Ein weiteres Einsatzgebiet von Ölfressern sind verseuchte Böden, zum Beispiel unter Tankstellen. Im Boden sind die Fresser und ihr Futter schwerer zusammen zu bringen. Das Erdreich wird deshalb zu zwei Meter hohen »Beeten« aufgeschüttet, mit mikrobiellen Spezialisten beimpft, gut durchlüftet und durchmischt. Meist sind schon nach zwei Wochen über 90 Prozent der Schadstoffe abgebaut. Besonders im Osten Deutschlands gab es nach der Vereinigung einen Boom für die Sanierung verunreinigter Böden. Einige Firmen verdienten sich kurzzeitig eine goldene Nase dabei. Der Berliner Schriftsteller und Biologe Bernhard Kegel hat das Ölfresser-Problem aus einem anderen Blickwinkel betrachtet: In seinem lesenswerten Thriller »Sexy Sons« beschreibt er nicht nur das missglückte Klonieren des Chefs einer Umweltfirma, sondern auch, was geschehen könnte, wenn genmanipulierte Super-Ölfresser absichtlich freigesetzt werden. Und was passiert, wenn sie in Erdölquellen gelangen? Dann hätten Weltgendarme...

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