Desinteressiert und desinformiert

Die Kampagnen im Landtagswahlkampf scheinen an den Bürgern abzuprallen

Brandenburg wird im Landtagswahlkampf von der Opposition schwarzgemalt und von der Koalition durch die rosarote Brille gesehen. Die Bürger interessiert das alles herzlich wenig.

Alle Parteien versprechen mehr Lehrer, die einen 800, die anderen 1000. Bei der Polizei dreht sich der Streit darum, ob noch 400 Stellen abgebaut werden oder nur 200. Wo ist die große Richtungsentscheidung, über die bei der Landtagswahl am 14. September abgestimmt werden könnte? Rot-Rot oder Rot-Schwarz, das macht durchaus einen Unterschied. Aber die Differenzen sind am Ende doch nicht so schrecklich groß, dass jeder Bürger die Unterschiede zwischen den Parteien sofort erkennen kann.

Nicht einmal der Blick in die Vergangenheit verspricht eine eindeutige Orientierungshilfe für die Zukunft. Ohne die LINKE wäre nach der Landtagswahl 2009 die Zahlung eines Mindestlohns nicht zur Bedingung für die Vergabe öffentlicher Aufträge geworden. Oder vielleicht doch? CDU-Vizefraktionschef Dieter Dombrowski behauptet steif und fest, er habe dies mit Sozialminister Günter Baaske (SPD) damals bereits ausgehandelt. So widerspenstig sich die CDU in dieser Frage vor der Wahl gezeigt hatte, eine Lohnuntergrenze von 7,50 Euro wäre nachher nicht an der Union gescheitert, versichert Dombrowski.

Ob das stimmt, ist beinahe unerheblich. Große Teile der Bevölkerung glauben den Politikern sowieso nichts mehr. Da sitzen beispielsweise in Strausberg beim Friedensfest zwei Frauen am Tisch und verspeisen Pelmeni. Die LINKE richtet dieses Fest aus, zu dem am Sonnabend 3000 Besucher kamen. Die beiden Damen schauen auch mal vorbei, gehören aber offenkundig nicht zu den Anhängern der Linkspartei. Sie sind von sämtlichen Parteien enttäuscht und von allen Politikern. »Solchen Politikern wie Finanzminister Görke, die schön reden, schön aussehen, aber nichts bewirken«, wie eine der Frauen abwinkt.

Derartige Ansichten sind keine Ausnahme. Sie führen zu einem Rückzug ins Private. Im Zug, in der Straßenbahn, beim Frühstück im Arbeitskollektiv, die Menschen reden nicht über Landespolitik. Nur 50 Prozent der Brandenburger interessieren sich für die Landtagswahl und 49 wollen davon wenig oder gar nichts wissen. Das ergab jüngst eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap. 2009 hatten sich noch 75 Prozent der Brandenburger stark oder sogar sehr stark für die Wahl interessiert und bloß 25 Prozent Desinteresse bekundet. Auch nach fünf Jahren rot-rote Koalition in Brandenburg wissen viele Einwohner nicht einmal genau, von welchen Parteien sie eigentlich regiert werden. Oft ist es ihnen auch einfach egal.

Alle Parteien müssen dies zur Kenntnis nehmen. Da kommt Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) nach Strausberg und nur 80 Menschen wollen ihn dort hören. In den Saal hätten 300 Leute hineingepasst. Auch CDU-Spitzenkandidat Michael Schierack lockt nur wenige Anhänger auf den Marktplatz von Templin, und selbst zu einer hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion in Cottbus, zu der vollmundig 300 Gäste aus der Wirtschaft angekündigt sind, erscheinen lediglich 25 Zuhörer.

Eine Basisorganisation der LINKEN in Potsdam-Mittelmark verzichtet darauf, eine Wahlveranstaltung zu organisieren. Sie hilft lieber den Genossen im Nachbarort am Infostand vor der dortigen Kaufhalle. Nicht auf die Bürger warten, sie lieber gleich selbst ansprechen, lautet die Devise.

Doch das ist gar nicht so leicht. So bemühen sich vor einem Einkaufszentrum in Schwedt der SPD-Landtagsabgeordnete Mike Bischoff und seine Genossen um die Gunst der Wähler. Aber die Kunden gehen einfach an ihnen vorbei. Nur eine Frau tritt an den Infostand, weil sie eine kleine Flasche Sekt ergattern möchte. Sie hat keine Frage. Sie lässt sich nichts erzählen. Mit dem Geschenk in der Hand zieht sie schnell wieder ab.

Im Vergleich zur Wahl 2009 dünnten Regionalzeitungen ihr Informationsangebot aus. Da bekommt zum Beispiel von der »Märkischen Oderzeitung« nicht mehr jeder Landtagskandidat für Strausberg und Umgebung eine ganze Seite für seine Agitation zur Verfügung gestellt, sondern alle Kandidaten müssen sich auf eine Seite drängen.

Ausnahmen gibt es, Ausnahmen, die nur die Regel bestätigen, Ausnahmen wie die Demonstration am Sonntag in Potsdam, wo 3000 Menschen unter dem Motto »Wir haben es satt: Massentierhaltung abwählen« durch die Stadt ziehen. Bei der Vorbereitung dieser Demonstration haben Tierschutzaktivisten auf Nachfrage unverhohlen dazu aufgefordert, bei der Landtagswahl die Grünen anzukreuzen, die mit dem Spruch »Tierschutz ist wählbar« für sich werben. Die erwähnten Aktivisten haben dabei die Positionen der märkischen LINKEN zur Massentierhaltung absichtlich oder aus Unwissenheit falsch dargestellt. Richtigstellungen und Rechtfertigungen bringen wenig, weil niemand genau hinhört.

Eine geringe Wahlbeteiligung ist wahrscheinlich. Bereits 1994, 1999 und 2004 lag die Wahlbeteiligung nur bei 54 und 56 Prozent, 2009 - als am selben Tag der Bundestag gewählt wurde - bei 67 Prozent. Diesmal droht ein Negativrekord.

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