Ein Verräter und Kollaborateur?

Ernst Torgler - eine neue Biografie über einen umstrittenen Kommunisten und halben Sozialdemokraten

  • Andreas Herbst
  • Lesedauer: ca. 4.5 Min.
In der SED-offiziellen achtbändigen, unter der Ägide von Parteichef Walter Ulbricht erarbeiteten »Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung« war über Ernst Torgler kurz und bündig geurteilt worden: »Im Reichstagsbrandprozess verriet T. die KPD und unterstützte faktisch das Hitlerregime gegen G. Dimitroff, gegen die Kommunistische Internationale und gegen die KPD.« Der Berliner Historiker Norbert Podewin gab sich mit diesem Verdikt nicht zufrieden. Nach achtenswerten Biografien über Ulbricht, Friedrich Ebert, Albert Norden und Otto Ostrowski, dem ersten demokratisch gewählten Oberbürgermeister von Berlin, legt er nunmehr ein gemeinsam mit Lutz Heuer verfasstes Buch über Torgler vor, in dem dieser endlich aus »dem Schatten des Reichstagsbrandes« heraustreten darf.
Seine Vita wird in den historischen Kontext eingebettet, mit den Lebensläufen seiner Zeitgenossen verglichen und somit auch ein opulentes Stück deutscher Geschichte vom Kaiserreich über die Weimarer Republik und Nazi-Regime bis in die Nachkriegszeit spannungsreich erzählt. Dafür haben die Autoren in verschiedenen Archiven recherchiert, die vorhandene Literatur akribisch ausgewertet, die Tochter Torglers befragt und Mitstreiter in dessen letztem Lebensabschnitt als ÖTV-Funktionär aufgespürt. Im Anhang sind interessante, aufschlussreiche Dokumente abgedruckt, darunter ein erschütternder Brief Torglers an Wilhelm Pieck vom 14. Dezember 1945. Diesen hatte er auf Drängen der KPD-Führung im Bezirk Hannover verfasst und nach Ostberlin gesandt. Doch Pieck antwortete nicht. Torgler muss es geahnt haben: »Wenn Pieck ablehnt, werde ich mich damit auch abfinden müssen, und zwar ohne Groll und Bitterkeit. Ich würde auch in diesem Falle im alten Geiste für die deutsche Arbeiterklasse arbeiten.«
Und doch versucht es der in Ungnade gefallen ehemalige KPD-Fraktionsvorsitzende im Reichstag vor 1933 noch einmal. In einem Brief vom Februar 1946 bittet der durch die Kriegswirrnisse nach Bückeburg verschlagene Torgler seinen alten Freund und Genossen Artur Vogt, bei Pieck nachzufragen, ob es denn für ihn nicht eine Chance der Rehabilitierung gibt. Es gab für ihn keine neue Chance.
1893 in Berlin geboren, wurde Torgler kaufmännischer Angestellter; die Not der Familie verhinderte die Erfüllung seines Wunsches, Lehrer zu werden. Mit 14 Jahren Mitglied der Arbeiterjugend, seit 1910 in der SPD organisiert, erlebte er als Soldat die Schrecken des Ersten Weltkrieges. Der Bildungshungrige verbrachte jede freie Minute mit Lesen, besuchte im Urlaub in Berlin Bildungskurse. Beim Ausbruch der Revolution Vorsitzender des Neuruppiner Arbeiter- und Soldatenrates, warb er in der USPD, deren Mitglied er seit 1917 war, für den Anschluss an die Kommunistische Internationale und wurde 1920 Mitglied und Funktionär der KPD-Bezirksleitung Berlin-Brandenburg. In Berlin-Lichtenberg zum Bezirksverordneten und ehrenamtlichen Stadtrat gewählt, kam er im Dezember 1924 in den Reichstag und gehörte dem Parlament bis 1933 an, ab 1929 als Fraktionsvorsitzender, der es verstand, auch mit dem politischen Gegner sachlich umzugehen. Als sich während einer Plenardebatte im Januar 1928 die Gemüter nicht beruhigen ließen, war es der deutschnationale Vizepräsident des Reichstages, Gräf, der sich an Torgler wandte: »Herr Abgeordneter Torgler, Sie sind doch ein besonnener Mann. Ich bitte Sie, doch Ihre Kollegen im Zaum zu halten.« Torgeler gehörte zu den prominenten Kommunisten in Deutschland. Am 9. Dezember 1932 hielt er seine letzte Rede im Parlament. Vergeblich forderte er die Einberufung einer Sitzung noch vor Weihnachten, um sozialpolitische Anträge der KPD zu beraten. Der Reichstag trat in dieser Zusammensetzung nie wieder zusammen.
Bekannt ist, dass Torgler am Abend des 27. Februar 1933 im Reichstag war. Herbert Wehner erinnerte sich, dass er ihn anschließend im Restaurant »Aschinger« am Bahnhof Friedrichstraße traf und ihn gewarnt habe, irgendwelche parlamentarische und rechtstaatliche Illusionen gegenüber den Nazis zu hegen. Torgler ließ sich nicht beirren und rühmte sich seiner guten Beziehungen zum Regierungsrat Rudolf Diels, dem Chef der preußischen politischen Polizei. Als die Kommunisten bezichtigt wurden, den Reichstag in Brand gesetzt zu haben, stellte er sich freiwillig der Polizei - um die Anschuldigungen öffentlich zurückzuweisen. Er erhielt nicht die erhoffte Möglichkeit, sich vor der Presse zu äußern, sondern wurde verhaftet und einer der Hauptangeklagten im Leipziger Reichstagsbrand-Prozess. Der Ankläger beantragte für ihn die Todesstrafe. Das Reichsgericht musste ihn jedoch mangels Beweisen am 23. Dezember 1933 freisprechen. Dennoch blieb er bis 1935 in »Schutzhaft«.
Podewin und Heuer untersuchen detailliert, was Torgler nach seiner Entlassung tat: seine Mitarbeit im Reichspropagandaministerium wie auch seine Tätigkeit als Angestellter der Haupttreuhandstelle Ost (HTO), wo er als Grundstücksrevisor an der »Arisierung« jüdischer Vermögenswerte mitgewirkt hat. Die KPD hatte Torgler inzwischen aus der Partei ausgeschlossen, weil er sich »gegen den Willen der Partei freiwillig dem Faschismus ausgeliefert hat, sich 1933 stellte; vor Gericht nicht die Parteianweisungen durchgeführt und den Nationalsozialisten Sack als Verteidiger gewählt« hatte.
Im Februar 1945 wurde die HTO nach Bückeburg evakuiert. Dort war Torgler nach Kriegsende im Bürgermeisteramt als Sachbearbeiter für die Sozialbetreuung tätig. Vergeblich bemühte er sich um die Wiederaufnahme in die KPD. In dem besagten Brief an Vogt hieß es: »Es ist bestimmt kein persönlicher Ehrgeiz oder irgendein Geltungsbedürfnis, die mich zu diesem Brief veranlasst haben. Aber schließlich könnte ich so manches leisten und vielleicht auch manches gutmachen, was ich damals vielleicht falsch gemacht habe. Du weißt ja selbst am besten, lieber Arthur, in welcher verzwickten und belämmerten Lage wir drei, Willy (Koenen), Du und ich uns befunden haben. Du bist am ehesten in der Lage, mit Pieck über mich und mein Begehren zu sprechen.«
Das ZK in Berlin sah keinen Grund, den Fall Torgler neu zu bewerten. In der SPD und der Gewerkschaft ÖTV hingegen war er auf Grund seiner Allgemeinbildung und seines politischen Wissens geschätzt, doch lautete ihr freundliches Urteil zugleich: »Ein richtiger Sozialdemokrat wurde er nie.« Torgler starb am 19. Januar 1963 in Hannover.

Norbert Podewin / Lutz Heuer: Ernst Torgler. Ein Leben im Schatten des Reichstagsbrandes. Trafo...

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