Schottland ist ein Spiegel unserer Träume
Der Katalane Oscar Palau über Unterschiede und Parallelen der beiden Unabhängigkeitsbewegungen
nd: Wie groß ist das Interesse der Katalanen am Referendum in Schottland am 18. September?
Palau: Riesig. Für die Katalanen ist Schottland ein Spiegel, in dem sie ihre eigenen Träume verwirklicht sehen: Wir wünschen uns auch einen David Cameron, der den juristischen Rahmen für ein Referendum mit abstecken hilft, eine öffentliche Debatte und ein politisches Klima, in der es wirklich um Sachfragen geht. Daher ist auch das Interesse der katalanischen Medien sehr groß. Fast alle katalanischen Tageszeitungen berichten täglich aus Schottland, zum Referendum werden um die 20 Sonderkorrespondenten anreisen - die spanischen Medien dagegen berichten kaum über das Thema.
Wie sind die Beziehungen, ist der Austausch zwischen der schottischen und der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung?
Historisch betrachtet sind beides europäische Minderheitenbewegungen. Da beobachtet man sich immer mit einer gewissen Sympathie. Offizielle Beziehungen gab es vor zehn Jahren, als in Katalonien das Tripartit, die Dreierkoalition aus Republikanischer Linker, Sozialisten und Initiative für Katalonien/Grüne, regierte (2003-2010). Im Europäischen Parlament saßen Republikanische Linke und schottische SNP in der gleichen Fraktion, man freundete sich an, weil man die gleichen politischen Ziele verfolgte. Während seiner ersten Amtszeit war der schottische Premier Alex Salmond quasi als Staatsgast zu Besuch in Katalonien. Mit dem Beginn seiner zweiten Amtszeit 2011 hat sich das radikal geändert. Alex Salmond meidet ganz bewusst jegliche offiziellen Kontakte zu Katalonien oder gar zur katalanischen Unabhängigkeitsbewegung. Er will auf keinen Fall die Regierung in Madrid vergrätzen, um - im Falle einer schottischen Unabhängigkeit - ein spanisches Veto gegen eine EU-Aufnahme Schottlands zu vermeiden. Das ist verständlich, aber auch etwas verkürzt gedacht: Spanien wird keine Sezession gut heißen, egal was Salmond tut oder unterlässt.
Wo liegen die Hauptunterschiede zwischen beiden Bewegungen?
In Schottland ist es mit der SNP eine Partei, die sich zum Fürsprecher der Unabhängigkeit gemacht hat; in Katalonien hat eine Volksbewegung die politischen Parteien dazu gezwungen, das Thema auf ihre Agenda zu setzen. Das liegt meiner Meinung nach einfach daran, dass der kulturelle Leidensdruck in Katalonien ungleich höher ist als in Schottland. Dort stellt niemand die schottische Identität in Frage; meine Eltern dagegen wurden noch bestraft, wenn sie in der Schule Katalanisch sprachen.
In Schottland haben in den letzten Wochen die Befürworter der Unabhängigkeit aufgeholt. Wie erklären Sie sich das?
Als ich zuletzt in Schottland war, hätten Umfragen zufolge 35 Prozent für ein Ja, 65 Prozent für ein Nein gestimmt. Was mich in Schottland erstaunt hat, ist, wie tief verwurzelt die schottische Identität ist: Fast alle Leute fühlen sich zu 90 Prozent schottisch, eben auch diejenigen, die in den ersten Umfragen mit Nein gestimmt hätten. In Katalonien geht es mehr um eine Bekenntniswahl. Diejenigen, die in Schottland jetzt vom Nein zum Ja gewechselt sind, haben sich dabei von Sachargumenten leiten lassen. Denn in Medien und Politik hat man dort in den letzten Monaten eine ganz rationale Debatte geführt: Welche Vorteile, welche Nachteile könnte ein Unabhängigkeit haben? Hier dagegen geht es seit zwei Jahren nur darum, ob wir überhaupt wählen dürfen - und niemand debattiert darüber, was für ein Land wir eigentlich wollen. Darum beneide ich die Schotten.
Welche Auswirkungen wird das Ergebnis des schottischen Referendums kommende Woche auf Katalonien haben?
Ein Ja hätte sehr viel mehr positive Effekte auf Katalonien als ein Nein negative. Denn dann hätte die katalanische Unabhängigkeitsbewegung einen Präzedenzfall für alle offenen Fragen, mit denen sie sich so schwer tut; die Frage des Verbleibs in der Europäischen Union etwa. Ich bin mir sicher, dass die Staatengemeinschaft da einen Mechanismus finden würde, wie ein unabhängiges Schottland weiter Teil der Europäischen Union sein kann - alles andere wäre schlicht unvernünftig. Und dieses Beispiel würde hier viele, die noch unschlüssig sind, überzeugen und den politischen Prozess beschleunigen.
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