Journalisten, Trolle

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 3 Min.

Trolle sind ihrem Wortursprung nach Geschöpfe der nordischen Mythologie. Ihnen werden gemeinhin die übelsten Charaktereigenschaften zugeschrieben: Plumpheit, Boshaftigkeit und Schadenfreude. Durch das Internet hat der Troll Einzug in die hiesige Welt gehalten. Dort bezeichnet man als Troll jemanden, der andere Gesprächsteilnehmer permanent provoziert und so die Kommunikation im Netz behindert. Timo Steppat hat Anfang der Woche auf faz.net einen solchen Menschen besucht und ein für den Betroffenen wenig schmeichelhaftes Porträt aufgeschrieben. 200 Kommentare schreibt Uwe Ostertag aus dem fränkischen Ochsenfurt täglich. »Hass im Netz« steht über dem Text. Einsichtigkeit zeige der porträtierte Mittfünfziger nicht, schreibt Steppat. Die Tatsache, dass viele seiner Online-Kommentare gesperrt werden, sei für ihn Ansporn nachzulegen.

Die Suggestion des Artikels sei deutlich, meint Gregor Keuschnig in seinem Blog begleitschreiben.net: »Der Troll, der hier dargestellt wird, ist ein Netzphänomen. Als sei das Netz, also das Internet, eine Insel, auf der eine besonders (...) abscheuliche Tierart lebt. Die Charakteristika dieser Tierart werden auch gleich geliefert: Frührentner, Raucher, Frau weg = gescheiterte Existenz = fertig ist der Querulant. Ein Troll aus der Tüte.

Aber das Netz ist keine Insel. Der Troll ist mitten unter uns. (...) Und es gab ihn immer schon. (...) Das Internet ermöglicht dem Troll allerdings, zeitnah seine Provokationen, Verschwörungstheorien und Hasstiraden zu publizieren. Was früher Leserbriefredakteure zur Seite gelegt haben, ist heute sichtbar.«
Solcherart Zeitgenossen galten den Journalisten zu Recht als nicht satisfaktionsfähig. Was aber, wenn die, die als Trolle gescholten werden, Brüder und Schwestern im Geiste eines Journalismus sind, der selbst nur noch sein vorgefasstes Urteil bestätigt haben möchte? Das fragt sich auch Keuschnig und gibt folgende Antwort: Ostertag habe Steppat erzählt, dass er am Anfang seines Daseins als täglicher Netzkommentator bedächtiger geschrieben habe. Doch darauf habe es keine Reaktionen gegeben, erst mit den Provokationen sei er wahrgenommen worden. »Aufmerksamkeit erreicht man kaum noch mit sachlicher Auseinandersetzung«, schlägt Keuschnig die Brücke zum Journalismus. »Stattdessen gibt es knackige Schlagzeilen und an den Haaren herbeigezogene Skandalisierungen. Der Troll nimmt nur eine Entwicklung vorweg, indem er sie potenziert. Vielleicht ist er eine perverse Form von Avantgarde eines Journalismus, der immer mehr mit Vermutungen, Halbwahrheiten und eben Meinungen arbeitet.«

Und was sagt Uwe Ostertag dazu? Der vermutet in seinem Blog sites.google.com/site/brotundgames hinter dem Text von Steppat eine Verschwörung. Mit dieser »Art der Artikelschreibung« versuche die »Süddeutsche Zeitung«, der der Autor nahe stehe, ihr neues Konzept der Online-Kommentierung »zu alibisieren«. Gemeint ist die seit Kurzem geltende Regelung auf sueddeutsche.de, wonach nur noch von der Redaktion ausgewählte Artikel kommentiert werden können. Für Ostertag ist dies »ein Akt der Zensur«.

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