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Hab ich’s doch gewusst

Heidegger statt Holzhammer: «Mord ist beste Medizin» treibt den Münsteraner Thiel-Boerne-Gegensatz eloquent in die Höh’ und klärt über die Kaputtheit des Gesundheitswesens auf

  • Matthias Dell
  • Lesedauer: 3 Min.

Der «Tatort» lebt, ähnlich wie Trainerentlassungen in der Bundesliga und Landtagswahlen in der Politik, auch vom Hin und Her, Auf und Ab des Personals. Als Til Schweiger seinerzeit unterschrieb, war das eine Ansage im Kampf um die Krone der Popularität, die Lärm machte wie Schröders kolportiertes Rütteln am Kanzleramtszaun. Wenn Til Schweiger nun nach zwei Folgen, von denen die zweite sich von der ersten kaum unterschied, verlängert für vier weitere, dann wirkt das allenfalls wie business as usual, zurück ins Glied.

Münster, den unangefochtenen Darling unter den «Tatort»-Schauplätzen, die Angela Merkel von Zuschauers Zufriedensheitswerten (gesamtgesellschaftlich betrachtet), dürfte das kaum beeindruckt haben. Auch weil Münster seit einigen Folgen damit beschäftigt ist, sein Erfolgsmodell zu überholen. So sind die «Alberich»-Körpergrößen-Gags klugerweise verschwunden, obwohl die vermutlich viel von der Beliebtheit erst rangeschafft haben.

Fürs Traditionsbewusstsein spricht, dass die neue Folge «Mord ist die beste Medizin» (WDR-Redaktion: Nina Klamroth) am Anfang erstmal auf den Anfang verweist: Wie im allerersten Münsteraner «Tatort: Der dunkle Fleck» wird das Schrecklichste vom Harmlosesten aufgetan – eine Schulklasse streunt durch die Gegend, in der der Fall beginnt. Damals wurde eine Leiche gefunden, diesmal ein Mord beobachtet. (Ob das nun absichtsvolle Referenz ist, lässt sich im deutschen Fernsehfilm mit seinem nicht so stark ausgeprägten Formenbewusstsein schlecht sagen).

Für die Modernisierung steht, dass gleich dreimal Protagonistenprivatleben neu akzentuiert werden (Drehbuch: Dorothee Schön). Zum einen feiert Frau Haller (ChrisTine Urspruch) 40. Geburtstag und darf diesmal eigenverantwortlich untersuchen, weil zum zweiten Boerne (Jan Josef Liefers) sich mit Leberproblemen ins Krankenhaus begibt, während Nadeshda (Friederike Kempter) zum dritten eine Art Liebesgeschichte gegönnt kriegt. Der dafür auserkorene Mann (Ben Braun) sieht allerdings viel zu gut-gut aus, um ernsthaft weiter Charakter sein zu können; außerdem müsste man dann die Tochter und Mord-Beobachterin (Mia Koppolt) länger ertragen, die ein anstrengend-altkluges Kind ist.

Das Schöne an «Mord ist die beste Medizin» ist, dass der Geschichte ziemlich vieles gelingt (wenngleich man der Folge an mancher Stelle etwas mehr Tempo gewünscht hätte). Es wird ein gesellschaftlich relevantes Thema (fatales Profitstreben im Gesundheitswesen) mit Interesse für Details erzählt. Die Charaktere wie Boernes Zimmernachbar, der Volksmusik-Freund Uli Göbel (der große Josef Ostendorf), haben ihren eigenen Witz. Und der Fall schreckt auch vor drastischen Maßnahmen wie dem Tod der doch sympathischen Dr. Süßmilch (Anna Bederke) durch den unangenehm riechenden, weil sein korruptes Dasein mit Drogen aufputschenden Apotheker Dr. Knapp (Christian Beermann) nicht zurück.

Das Beste allerdings ist der Dialogwitz, den «Mord ist die beste Medizin» fast akademisiert-smart performt. Dass ein «Tatort» Heidegger zitiert, kommt auch nicht alle Tage vor und gewinnt Sympathien im Handumdrehen bei jeder Zuschauerin, die «Sein und Zeit» auch ratlos hinterlassen hat. Darüber hinaus ist die Boerne-Figur, die als Undercover-Ermittler zur Abwechslung mal eingeführt ist, hier aber eben nicht nur schnöselige Behauptung eines elaboriert daher redenden Professors, sondern tatsächlich elaboriert – ein arroganter, aber in seiner Misanthropie formvollendeter Klugscheißer: «Professor Karl-Friedrich Boerne, und für Sie: »Professor Karl-Friedrich Boerne«.

Die Inszenierung (Regie: Thomas Jauch) ist routiniert, was auch etwas wäre, was einen an »Mord ist die beste Medizin« stören kann, gerade wenn man das Überkandidelte am unterirdischen »Wüstensohn« von letzter Woche im Kopf hat. Abseits der Konvention ist's doch häufig am schönsten, wie man an Thiel-Darsteller Axel Prahl sehen kann. Der ist immer dann am schwächsten, wenn er den Standard-Text des Krimis (»Wo waren Sie?«) aufsagen muss.

Etwas, das man nicht mehr in der Wikipedia nachlesen muss: »Im Zweiten Weltkrieg wurde Amphetamin eingesetzt, um Soldaten wach, motiviert und aggressiv zu halten«

Etwas, das den Speiseplan jeder Kantine schmückt: »Ah, Huhn Hawaii«.

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