Autonome auch nur Bürgertrottel?

Gerade dem Terrorismusverdikt entkommen, lauert noch viel schlimmeres

  • Markus Mohr
  • Lesedauer: 4 Min.
Markus Mohr wurde in der letzten Zeit immer mal wieder als alter Kommunist angesprochen, versteht sich aber in diesen Momenten als junger Autonomer. Er lebt von den Leistungen der Arbeitsagentur, die umgangssprachlich nach einem Straftäter benannt sind.
Markus Mohr wurde in der letzten Zeit immer mal wieder als alter Kommunist angesprochen, versteht sich aber in diesen Momenten als junger Autonomer. Er lebt von den Leistungen der Arbeitsagentur, die umgangssprachlich nach einem Straftäter benannt sind.

Wie lange spuken eigentlich schon Autonome in der Geschichte der Bundesrepublik herum? Ganz bestimmt seit dem Ende der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts. Da irrte Mann und Frau Autonom irgendwo in den Basisgruppen der Anti-AKW-; Hausbesetzer-; Friedens-; Anti-Kriegs-; Ökologie-, Frauen- und Alternativbewegung herum. Und wenn man großzügig ist, dann kann man mit der Neuen Linken, der Außerparlamentarischen Opposition und der Studentenrevolte Ende der 60er Jahre und den ihr nachfolgenden maoistischen Zirkeln, Gruppen und Parteien sowie den Spontis, sprich: der Fundamentalopposition der 70er Jahre, noch eine weitere Dekade für die Autonomen dazurechnen.

Das ist rund ein halbes Jahrhundert! Ob das nun gut oder eher schlecht ist, braucht hier nicht entschieden zu werden. Klar ist aber erstmal, dass Autonome erstens keine Jugendbewegung mehr sind und zweitens irgendwie ihre Spuren auch in der Geschichtswissenschaft hinterlassen müssen. So finden sie beispielsweise in einem 1999 publizierten dicken Buch des Potsdamer Historikers Manfred Görtemaker zur »Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von der Gründung bis zur Gegenwart« Erwähnung. Glaubt man einer Rezension so darf diese »ausgreifende Gesamtdarstellung« als »ausführlich, facettenreich« beschrieben werden, die den Leser »mit einer verlässlichen Übersicht« belohnt. Davon konnten die in einem Kapitel zu den Neuen Sozialen Bewegungen erwähnten Autonomen leider nicht profitieren. Mit Bezug auf ein Zitat zur RAF als Guerilla aus der Hamburger Zeitschrift »Vorwarnzeit«, die 1982 gerade zwei Ausgaben lang existierte, macht Görtemaker ihnen quasi den Garaus: Verknüpft mit der salvatorischen Klausel, dass es möglicherweise »übertrieben« sein könnte, alle Autonomen in die Nähe der Terroristen zu rücken, beschreibt er die Autonomen wenig facettenreich als unzuverlässig, sprich »als Unterstützer und unmittelbares Umfeld des harten Kerns der Terrorgruppen«. Dabei hat er seine Zitate als Historiker gar nicht selbst aus der Originalquelle ausgegraben, sondern einfach aus einem Buch des ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Gerd Langguth unter dem Titel »Protestbewegung« abgeschrieben.

In dem jüngsten Werk von Sven Reichardt »Authentizität und Gemeinschaft« über das »Linksalternative Leben in den siebziger und frühen achtziger Jahren« entkommen die Autonomen erstmal dem Terrorismusverdikt. Wo sie in den 1000 Seiten auftauchen, z.B. in einem langen Kapitel zu Hausbesetzungen, werden sie durchaus freundlich beschrieben und frei von Häme kommentiert. Instruktiv dabei die vielfältigen Hinweise darauf, dass es sich wenigstens bei den West-Berliner Squattern um eine bunte Mischung von Studenten, jüngeren und älteren Arbeitslosen, Jungarbeitern und Drop-outs der unterschiedlichen Provenienz gehandelt hat. Nicht ganz einsichtig wird allerdings, was die Autonomen der frühen 80er Jahre genau mit »Authentizität und Gemeinschaft« zu tun haben sollen. Da, wo Reichardt in seinem Buch über Militanz, Radikale und Reformisten und das »Erlebnis von Gewalt« schreibt, dementiert er das doch selbst ganz überzeugend. Wenn man sich den Zusammenschnitt der 1982 immerhin in der ARD gesendeten »Spieldokumentation« der beiden Filmdokumentaristen Bernd Liebner und Jens-Peter Behrend »Am Anfang war doch nicht der Pflasterstein …« auf YouTube anguckt, dann geht es doch hier kurz und schnurz um »Gefühl und Härte«.

Wie bringt Reichardt nun »Gefühl und Härte«-Autonome am Ende seiner Untersuchung mit seinen leicht ölig schimmernden romantischen Flaggschiffbegriffen »Authentizität und Gemeinschaft« zusammen? Er stellt einfach eine tückische Behauptung auf: »Die Mitglieder des linksalternativen Milieus von der Spontibewegung über die Frauen-, Ökologie- und Anti-AKW-Bewegung bis hin zu den Hausbesetzern und Autonomen von den achtziger Jahren (…) wurden (…) zum Prototyp der neuen Bürgerlichkeit«. Am Anfang seines dicken Buches hat Reichardt noch versprochen, dass er mit seiner Arbeit die »Befreiungsthese, in der die Protestgeneration wieder zum Bürgertum zurückkommt« hinterfragen will, und dann das! Da schießt es einem ganz authentisch durch die Birne: »Das kann doch nicht wahr sein!« Autonome Aktivisten können doch niemals »Mitglieder« von irgend einer Bewegung sein, die sowieso immer besseres zu tun hat, als Mitgliedsausweise zu verwalten. Und doch sollen sie tatsächlich genauso dumm gewesen sein, wie eine Vielzahl von alternativen Milieuidioten?

Wenn man durch die Qualifizierungen der honorigen Geschichtswissenschaft - wie sie von Görtemaker und Reichardt in ihren ausgreifenden Gesamtdarstellungen offeriert werden - nur vor die gegenaufklärerische Alternative gestellt wird, entweder als Fast-Terrorist oder als »Prototyp der neuen Bürgerlichkeit« abqualifiziert zu werden, da fällt es wirklich nicht leicht, die Nerven zu behalten. Für was soll man sich da bloß als Autonomer heute politisch entscheiden? Richtig geraten: Im Streben und Kampf für eine Welt frei von Hunger, Armut, Krieg, Massenmord, Ausbeutung und Unterdrückung soll es eben auch ganz entschieden darum gehen, nicht auch noch den nächsten »Prototyp einer wieder mal neu lackierten Bürgerlichkeit« zu erkämpfen. Das gilt unbedingt, auch wenn dafür von denen da oben leider auch in Zukunft die Markierung »terroristisch« in Kauf genommen werden muss.

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