Was weißt du denn, du Prolet

Ziemlich teigig: Der Kölner »Tatort: Wahre Liebe« dekliniert sein Thema durch wie ein journalistischer Text und vergisst darüber, dass er doch ein Film sein müsste

  • Matthias Dell
  • Lesedauer: 5 Min.

Irgendwann, als der »Tatort« sich im Spiegel seines Erfolgs betrachtet hat, ist ihm aufgegangen, dass die staatstragende Rolle seiner Bedeutung als Geschichtenerzähler für, sagen wir ruhig mal, Deutschland auch darin liegt, dass er Kriminalfälle mit sogenannten Themen mischt. Nicht nur Spannung, sondern auch Sozialgeschichte.

Die schematische Variante dieses Verständnisses ist in der Kölner Folge »Wahre Liebe« (WDR-Redaktion: Frank Tönsmann) zu beobachten. Der Krimi ist eine Form, und in die wird der Teig des sogenannten Themas gegossen; in diesem Fall geht es um das moderne Geschäft mit der Liebe, das Online-Partnervermittlungen betreiben. Das sogenannte Thema ist eine journalistische Herangehensweise an den Film, weshalb es sich trifft, das mit Maxim Leo, Redakteur bei der Berliner Zeitung, ein Journalist das Drehbuch geschrieben hat.

Man wird also umfassend informiert. Wenn ein Kommissar »Avatar« sagt, sagt der andere: »Ein grafischer Stellvertreter in der virtuellen Welt.« Es ist zu erfahren, dass Dating-Plattformen nicht nur was für junge Menschen sind, dass Algorithmen Liebe immer nur als größtmögliche Ähnlichkeit denken können, dass von Schwindlern ausgenommene Klienten das Betrogenwordensein vedrängen. Und dass die Ladies von den Escort-Agenturen, bei denen man sich Aufmerksamkeit mit Abitur kauft, Buch führen über die Gespräch wie Therapeutinnen, die nicht vergessen wollen, was der Patient beim letzten Mal gesagt hat.

Nur guckt man Filme aber nicht, wie man Artikel liest. Was man in »Wahre Liebe« gut an den Figuren sieht, die immer nur Träger von Information sind und nie Charaktere werden. Herr Klein (Holger Daemgen), der Witwer, der Mann der mit einem völlig überflüssigen Preispokal ermordeten Dating-Plattform-Betreiberin, muss die Escort-Lady einführen, mit der er sich vor den Augen der Kommissare trifft, und gleichzeitig als Täter die großen Gefühle des betrogenen Gatten rausholen – aber welcher gehörnte Ehemann übersetzte seine Wut über eine enttäuschte Liebe in geschmackvolle Restaurantbesuche mit einer Escort-Lady? Und wenn er das tut – wäre das nicht etwas, was man der Zuschauerin zeigen und erzählen müsste, statt es ihr nur zu sagen, wenn es gerade passt?

»Wahre Liebe« ist als Krimi teigig; gemacht aus den Standardzutaten wie dem Verdächtigen-Ballett. Vier, fünf mögliche Täter, zu denen abwechselnd geschaltet und von denen der erste nach 22 Minuten verhaftet wird. Man kann die Uhr nach diesem »Tatort« stellen. Dabei kommt er ungeheuer beflissen rüber, weil die Geschichte dauernd alles erklärt. Wenn am Ende der Klein-Witwer zum Showdown sein Gewehr auspackt, weiß man aus einer Anfangsinformation, dass er Jäger ist (»Nur Geflügel«). Dagegen gibt es an sich nichts zu sagen – außer, dass das nichts bringt, wenn man mit den Handlungen der Figur eh nichts anfangen kann.

Und dann ist »Wahre Liebe« allen Bemühungen zum Trotz höchstens mittelsmart. Dass die von Kathrin Angerer gegebene Einmal-Assistentin Gabi beim Schießenüben nach einem jovialen Spruch von Fab Five Freddy Schenk (Dietmar Bär) besser trifft, ist eine Pointe, die man so lange kommen sieht wie Freund und Feind in der mitteldeutschen Tiefebene. Wenn der Witwer irritiert dem tätowierten Hausmeister Freytag (Oliver Bröcker) hinterherschaut und danach etwas von Tattoos als Charakteristikum des Liebhabers seiner Frau erzählt, dann hätte das, sagen wir ruhig mal, Alfred Hitchcock genau andersrum gemacht: Erst dem Publikum die Tattoos als Indikator unter die Nase halten, damit es dann etwas zu erkennen hat.

Aber das wäre ein anderer Film geworden. Regisseur André Erkau scheint sich sowieso mehr für seinen Hochglanzlook (Kamera: Gero Steffen) zu interessieren als für die Geschichte. Wenn es dramaturgisch nach einem Drittel ein bisschen hängt, wird munter Dia-Abend mit lauter melancholischen Einsamkeitsbildern der Beteiligten gespielt; Borderlining Ballauf (Klaus J. Behrendt) hat bei solch einem Thema natürlich auch einen Fall, soll heißen: Er macht was mit Liebe. Und fährt dabei, ein gutes Bild für diesen multioptionalen Film, zweigleisig: also auch mal das Online-Ding ausprobieren und gleichzeitig mit der schon öfter in solchen Zusammenhängen herbeizitierten Lydia Rosenberg (Juliane Köhler) rummachen.

In Sachen Dramatik schlägt »Wahre Liebe« so oft nach oben und unten aus wie eine gewöhnliche Günther-Jauch-Sendung, also gar nicht. Auf der Tonebene kann man ein fluffiges Potpourri von Liebes-Hits (»The Look of Love«) hören, die wegen der teuren Rechte alle noch mal von unbekannten Interpreten eingesungen worden sind.

Am Ende hätte es immerhin noch lustig werden können – der Showdown ist nämlich völlig absurd. Ballauf und Schenk beobachten ihn gleich aus der sicheren Ferne des Ufers. Und diskutieren danach, eigentlich den ganzen Film lang – das gibt es auch nur im deutschen Krimi – mit ihren Klienten moralische Fragen. Und die eigenwillige Kathrin Angerer, mit der Regisseur Erkau offenbar gar nix anfangen konnte, muss ihre Gabi mühevoll-pointenlos selbst befreien aus einem sinnlosen Seitenstrang der Geschichte: Warum verschleppt ein Dauerdater und Frauenabzieher, der keinen Mord begangen hat und gegen den auch keine klagt, eine Frau in einen Keller, von der er durch unglaublich präzise Erstes-Date-Fragen rausgefunden hat, dass sie bei der Polizei ist?

Ein Satz, den Vorgesetzte häufiger sagen könnten:
»Ich mach sowieso alles immer nur falsch.«

Ein Hinweis, den Vorgesetze selten hören:
»Setzen Sie sich bitte nie wieder an meinen Schreibtisch.«

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