Der Gang nach Canossa - und kein Ende

Vor 900 Jahren starb König Heinrich IV. / Der ewige Konflikt zwischen weltlicher und geistlicher Macht

Weltliches oder geistliches Regiment über die Welt? - In der islamischen Welt ist ein unbarmherziger Machtkampf in dieser Frage entbrannt. Ayathollahs und Mullahs haben eine nie da gewesene Einflussnahme auf die Politik gewonnen. Derzeit wiederholt sich dort, was vor fast 1000 Jahren die Welt, die westliche, erschüttert hat. Was Papst und Kaiser im 11. Jahrhundert auszumachen hatten, erleben wir heute in Irak und Iran, in Afghanistan, Syrien und Palästina. Geistliche Führer auf der einen Seite, Staatspräsidenten auf der anderen. Auch die Mittel der Auseinandersetzung sind dieselben geblieben: Terror und Intrigen, scheinheilige Gebete, Entführungen und Misshandlungen.
Ein König im Büßerhemd steht drei Tage am Eingang der Felsenburg Canossa in Oberitalien. Und reumütig wirft er sich nach dem Einlass dem Papst zu Füßen. Dass es sich bei dem Bußgang nicht um irgendein nebensächliches Geschehen handelt, zeigt auch eine derzeit in Paderborn zu sehende Ausstellung mit dem Titel: »Canossa 1077 - Erschütterung der Welt«.
Seit diesem Ereignis ist der schwerste Gang von König Heinrich IV. sprichwörtlich, nämlich das Zeichen äußerster Erniedrigung. Dieser König hat sich angelegt mit Papst Gregor VII., der ein Gottesreich auf Erden errichten will und dazu vom deutschen König verlangt, sein Recht aufzugeben, die Bischöfe in seinem Reich einzusetzen. Heinrich ist dazu nicht bereit.
Er ist sechs Jahre alt, als sein Vater stirbt und seine Mutter die Regentschaft übernimmt. Doch geistliche und weltliche Fürsten unter Führung des Erzbischofs Anno von Köln wollen sich von einer Frau nicht regieren lassen, wollen die Macht im Reich an sich reißen, entführen deshalb den Jungen auf ein Rheinschiff. »Kaum hat der Knabe das Fahrzeug bestiegen, erheben sich rasch die Schiffer, rudern mit Kräften und treiben das Schiff in die Mitte des Stromes. Der König, nichts anders denkend, als dass es auf seinen gewaltsamen Tod abgesehen sei, stürzt sich jählings in den Rhein, und die heftige Strömung hätte ihn schnell verschlungen, wenn nicht ein Graf ihm nachgesprungen wäre. Mit eigener Lebensgefahr entreißt er ihn dem Tod und bringt ihn zurück auf das Schiff. Hierauf beruhigt man den Knaben durch alle möglichen Schmeichelworte und führt ihn nach Köln«, hat ein Augenzeuge protokolliert. Jetzt übernimmt Anno von Köln die Erziehung Heinrichs und regiert in seinem Namen das Reich.
Der junge König hasst diesen harten Mann, fühlt sich zugleich zu einem anderen Großen am Hofe hingezogen, dem heiteren Erzbischof Adalbert von Bremen. Der gewinnt bald größeren Einfluss auf die Regierung. Unter diesen beiden geistlichen Herren gewinnt Heinrich eine gute Bildung, beherrscht die lateinische Sprache, hat Freude an wissenschaftlichen Gesprächen, Verständnis für Musik und Baukunst. Mit 15 Jahren übernimmt er die Regierung. Doch die Sachsen wollen ihn nicht anerkennen, belagern ihn. Bei Nacht flieht der König nach Thüringen und bittet von dort aus die süddeutschen Fürsten um Unterstützung - vergeblich. Endlich findet er in den Wormser Bürgern Verbündete. Diese Stadt wird sowohl sein Waffenlager als auch Zufluchtsort.
Als die Sachsen die königlichen Gräber in der Harzburg zerstören, erregt dieser Frevel Abscheu im ganzen Reich. Der junge König findet nun überall Hilfe, kann die aufrührerischen Sachsen schlagen und die Burgen wieder aufbauen. Der Friede scheint gesichert, da besteigt ein Kardinal namens Hildebrand den Stuhl Petri in Rom und nennt sich Papst Gregor VII.
König Heinrich erhält schon bald Post von ihm, soll auf die Einsetzung der Bischöfe verzichten, wie das seit Otto I. zu den Rechten des deutschen Königs gehört. Als Gregor Heinrich gar bedroht, beruft dieser die deutschen Bischöfe nach Worms ein. Sie beschließen, Gregor nicht mehr als Papst anzuerkennen, und verpflichten sich schriftlich, von diesem Votum niemals abzuweichen. Dem Schreiben der Bischöfe fügt Heinrich einen eigenen Brief bei: »Heinrich, nicht durch Anmaßung, sondern durch Gottes heilige Einsetzung König, an Hildebrand, nicht mehr den Papst, sondern den falschen Mönch.« Ihn fordert er auf: »Wir, Heinrich von Gottes Gnaden, mit allen unseren Bischöfen sagen dir: Steige herab, der du in Ewigkeit verdammt sein sollst.«
Der Papst hüllt seinen Bannfluch über den deutschen König in ein Gebet: »Heiliger Petrus, du Fürst der Apostel, ich bitte dich, neige uns huldreich dein Ohr und höre mich, deinen Knecht! Kraft deiner Gewalt nehme ich dem König Heinrich, der wider deine heilige Kirche in unerhörtem Übermut aufgestanden ist, die Lenkung des ganzen Königreichs der Deutschen und Italiens und entbinde alle Christen von der Fessel des Eides, den sie ihm geschworen haben, und verbiete, dass man ihm als König diene.«
Der Papst hat Bann und Absetzung des Königs verhängt, und die meisten weltlichen Fürsten lassen Heinrich daraufhin im Stich, setzen ihm ein Ultimatum: Wenn er sich nicht binnen Jahresfrist vom Bann frei mache, werde ein neuer König gewählt. In dieser Lage entschließt sich Heinrich, das Heft des Handelns in der Hand zu behalten. Mitten im Winter reist er mit seiner Frau, seinem zweijährigen Sohn und nur wenigen Begleitern über die schneebedeckten Alpen nach Italien. Weil die süddeutschen Fürsten ihm Gehorsam und Gefolgschaft versagt haben, muss er einen großen Umweg durch Burgund nehmen. Die Berge starren vor Eis und Schnee, die Männer kriechen bisweilen auf Händen und Füßen, ziehen auf Ochsenhäuten Frauen und das Kind hinter sich her.
Derweil ist Gregor schon mit einem Heer auf dem Weg nach Deutschland, um dort seiner Rücktrittsforderung militärischen Nachdruck zu verleihen. Als er hört, dass Heinrich ihm entgegenzieht, glaubt er sich bedroht und verschanzt sich in der Felsenburg Canossa. Dort erscheint Heinrich am 25. Januar 1077 - allerdings ohne Heer und im Büßergewand. Drei Tage lang muss er um Einlass bitten, bevor Gregor ihm Audienz gewährt. Erst als sich vor dem Papst niedergeworfen hat, wird der Kirchenbann gelöst. Damit hat Heinrich zwar die Königsherrschaft formal zurückgewonnen, doch seine Gegner haben schon Rudolf von Schwaben zu einem Gegenkönig gewählt, und Gregor schleudert einen erneuten Bannstrahl gegen ihn. Dem falschen König jedoch wird im Kampf die rechte Hand, die Schwurhand, abgehauen, und Rudolf stirbt an dieser Verwundung. Das Volk sieht darin ein Gottesurteil und reiht sich in das königliche Heer ein.
Heinrich zieht mit seiner Truppe nach Italien, lässt einen Gegenpapst wählen, nimmt Rom ein und lässt sich mit seiner Gemahlin zum Kaiser krönen, während Gregor Zuflucht in der Engelsburg findet. Vor dem normannischen Heer aus Unteritalien, von Gregor zu Hilfe gerufen, zieht Heinrich wieder nach Deutschland ab. Das Hilfsheer plündert, steckt Häuser in Brand und quält die römischen Bürger. Weil Gregor die Normannen zu Hilfe gerufen hat, richtet sich die Wut der Römer gegen ihn. Er muss Rom verlassen und stirbt ein Jahr später. König Heinrich stirbt am 7. August 1106.
Am Ende dieser machtpolitischen Auseinandersetzung stand das Wormser Konkordat im Jahre 1122, ein Vergleich weltlicher und geistlicher Macht. Wie wird der Konflikt zwischen Religion und Regenten in islamischen Staaten heute ausgehen? Wer wird dort den Gang nach Canossa antreten?

»Canossa 1077 - Erschütterung der Welt« in Paderborn, bis 5. Novem...

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