Spielarten des Intimen

In den Sophiensaelen sind wieder die »Freischwimmer« los

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Kennengelernt haben sich Rose Beermann und Iva Sveshtarova in Gießen. Dort begannen sie 2010 am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft in derselben Seminargruppe »Choreografie und Performance« zu studieren. Jede hatte da bereits einen Werdegang hinter sich. Rose aus Heidelberg hatte an der Viadrina Frankfurt/Oder Kulturwissenschaft absolviert und eine einjährige Tanz-Intensivausbildung an der Tanzfabrik Berlin angeschlossen. Sozusagen Theorie und Praxis in Balance. Für Iva aus Sofia ging der Weg etwas länger. Nach dem Bachelor im Schauspiel landete sie in einer privaten Compagnie, die sich auf die Methode des polnischen Regisseurs und Reformers Jerzy Grotowski und seines »armen Theaters« berief. Nach drei Jahren im Theater des bulgarischen Gabrovo, wo sie die Carmen und die Ophelia in modernen Inszenierungen spielte, folgten vier Jahre an einer privaten Theatercompagnie in Portugal, wieder basiert auf Grotowski.

Beim Studium in Gießen haben die beiden jungen Frauen, die fröhliche Deutsche und die nachdenkliche Bulgarin, ähnliche Interessenslagen entdeckt. Ein Zweierteam war geboren, wurde sesshaft in Berlin. Mittlerweile stellt es sein fünftes Stück vor. »Show me how«, das Vorgängerstück um den menschlichen Mechanismus der Imitation und das Phänomen der Internet-Mems, lief in Berlin beim »100°«-Festival sowie auf Festivals in Sofia und Szczecin. Sie komme von der Theorie und wolle nun Dinge jenseits der Ebenen Semantik, Sprache, Logik erfahrbar machen, sagt Rose. Popkulturelle Phänomene benennt das Duo als Hauptthema, betrachtet jeweils vom weiblichen Standpunkt aus. Und wie man verschiedene Ästhetiken mischen kann, fügt Iva an.

Die kontrovers aufgenommene dänische TV-Show »Blachmann« vom April 2013 gab den Auslöser für »Strip naked, talk naked«. Im Original sitzen zwei Männer im Dunkeln einer illuminierten Nackten gegenüber; die Herren disputieren ernst gemeint über deren Körper, über Schönheit, Männlichkeit und dergleichen, die Frau schweigt und bleibt einzig Objekt philosophischer Auslassungen. Der Moderator versteht seine Show als Therapie für abhandengekommene Sexualität.

Rose und Iva stellen diese Situation nach, fragen, wer sich hier eigentlich entblößt und damit nach Formen von Intimität. Dies ist auch Hauptthema des inzwischen achten Festivals »Freischwimmer«, das ihr Beitrag in den Sophiensaelen eröffnet. Sieben Solisten und Gruppen aus drei Ländern schicken die Veranstalter dazu ins Rennen, alle auf der Suche nach den feinen Schnittstellen und Überlappungen von Privatem und Öffentlichem. Wenn nahezu jeder jeden abhört, abhören kann, wo bleibt noch Raum für Privates, gar Intimität? Sieben Antworten versuchen die »Freischwimmer«.

So präsentiert Stephan Stock aus Zürich sicher auch heiter ein »Theater der Peinlichkeit«, will in der vermeintlichen Scham die Schönheit aufscheinen lassen. Radikaler geht sein Berliner Kollege Hendrik Quast zu Werke. In »Mohrle« seziert, häutet und präpariert er im Katerkostüm und unter Musicalgesang seine geliebte Maus, um sie dem Vergessen zu entreißen. Kreation in der Dekonstruktion? Oder nur maliziös abgeschmackte Hascherei nach Sensation? In ihre »Dance Box« locken Tümay Kilinçel und Jungyun Bae aus Düsseldorf: Darin darf man sich als einziger Gast einen Tanz auswählen, der dann performt wird - was von außen einsehbar ist, zudem noch online sowie ins Theaterfoyer übertragen wird. Als hinterhältige Metapher für die Doppelbödigkeit von Intimität heute.

Deftiger tut es Simon Mayer aus Wien. Der rechte Naturbursche verhandelt in »SunBengSitting« Volksmusik und Volkstanz, wie wenn man in Niederösterreich auf einer Sunbeng, einer Bank in der Sonne, sitzen täte. Das wirft Fragen nach der Stellung von Tradition in der Gegenwart auf, von Stadt und Land, Heimat und Fremde. In ihrer Live-Radioshow »B Open« bringt das Quintett um die Frankfurterin Caroline Creutzburg einen drei Kubikmeter großen Gelatineblock zur Sprengung, was Hörer in fünf Städten am Apparat verfolgen können. Am Ende bleibt nur der Schrei des Ekels. Den stößt in »Freak« die Wienerin Stefanie Sourial aus, wenn sie als Patientin Valerie IX beim Anblick von Menschen, ob kaumgummikauend oder »nur« räuspernd, zwischen Fluchtreflex und Aggression changiert und ihre Zuschauer auf sich selbst zurückwirft: ins individuelle Panoptikum des Intimen.

17.-25.10., Sophiensaele, Sophienstr. 18, Mitte, Kartentel.: (030) 283 52 66, www.sophiensaele.com

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