Sozialunion oder Sicherheitsschlösser?

  • Roberto J. De Lapuente
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Hauptsaison für Einbrecher bricht an. Herbst und Winter sind ihre Zeit. Die Polizei rät zu Sicherungen an Türen und Fenstern. Vernünftig ist das schon. Noch besser wäre eine Politik, die aktiv gegen Armut in Deutschland und Europa vorgeht. Auch die »Sozialunion« wäre Prävention.

Vor einigen Tagen lauschte ich im Radio einem Bericht zur neuen Einbruchssaison. Alles scheint seine Zeit, seine Saison zu haben. Sogar Einbrüche. Ein Experte von der Polizei erklärte dem Moderator, wie man sich schütze. Die Polizei biete sogar kostenlose Beratung an. Dafür käme ein Beamter unentgeltlich nach Hause und erkläre, welche sicherheitstechnischen Maßnahmen sinnvoll seien. Kameras nannte er eine nette Abschreckung, aber Riegel und Sicherheitsschlösser seien besser. Mechanik vor Technik. Bei den Debatten zur Kameraüberwachung klangen die Befürworter der »abschreckenden Wirkung« noch viel überzeugender. So oder so sollte man sich dringend schützen, denn ist der Einbruch erst mal geschehen, wird es mit der Aufklärung schwer. Osteuropäische Banden verschwinden beispielsweise in den Weiten des Ostens und Ermittlungen könnten dann nicht mehr fruchten.

Das klang natürlich alles sehr pragmatisch. Da wusste einer, worauf es ankommt. Keine Frage. Aber für mich klang es ein wenig so, als würde da jemand einen eingewachsenen Zehennagel damit kurieren wollen, ihm einen frischen Socken überzustülpen. Die eitrige Stelle ist dann zwar schön bedeckt, sieht wieder annehmbar aus, aber die Ursache der Läsion ist damit nicht aus der Welt geschafft.

Kriminelle Handlungen muss man von Seiten derer begreifen, die sie ausführen. Kaum einer vollzieht eine solche Handlung aus Jux. In der Mehrzahl der Fälle gibt es ein »ökonomisches Motiv«. Einbrüche sind Momente des Beschaffens, der Armutsvereitelung. Ich könnte jetzt hochtrabend mit Eric Hobsbawm und seinem »Räuber als Sozialrebellen« argumentieren. Aber das lasse ich heute mal schön sein. Zumal nicht der Eindruck entstehen soll, dass Einbrecher besonders sozial geartete Wesen wären. Sind sie sicher nicht. (Hobsbawm behauptet das in jenem Buch ja auch gar nicht.) Einbrüche sind und bleiben eine kriminelle Handlung und sie gehören selbstverständlich sanktioniert. Aber man sollte deswegen ja nicht aus den Augen verlieren, dass sie nicht Ursache sondern Folge sind.

Wer wirklich nachhaltige Einbruchsprävention schaffen will, der sollte weniger bei der Polizei um Rat fragen, als die Politik anrufen, die europäische Politik der Armutszeugung abzuschaffen. Ob nun Sozialabbau im Inneren oder Austeritätskurs nach Außen: Der kontinentale Abbau der Armut ist der beste Riegel, den man Einbrüchen vorschieben kann. Als die Kanzlerin ganz selbstbewusst verkündete, dass die Europäische Union keine »Sozialunion« sei, sagte sie damit auch, dass Europa gar kein Interesse daran habe, die Europäer Schritt für Schritt aus den Armutstälern zu holen. Das soll Ländersache bleiben. Und wenn sie es sich nicht leisten können, dann ist das ihr Pech. Die »Sozialunion« ist keine romantische Idee, als die sie Merkel quasi hinstellte, sie ist ein Akt der Prävention. Sie unterbindet Beschaffungskriminalität, grenzt Einbruchsserien ein und wird auch Bandenkriminalität nach und nach auflösen. Denn wer was zu verlieren hat, der setzt es eher nicht aufs Spiel.

Den Leuten zu raten, sie sollten sich mehr Sicherheitsschlösser in die Türen schrauben lassen, ist nur ein Socken, den man überzieht. Aber die Armut aktiv als kontinentale Gemeinschaft anzugehen, den Sozialabbau zu beenden, die Sparpolitik aufzuheben, Sozialstandards zu schaffen und Europa nicht nur mit einer Wirtschafts- und Zollunion auszustatten, sondern mit einem Europa der Bürger: Das wäre eine polizeiliche Maßnahme erster Güte gegen Kriminalität. Wenn Merkels Ausspruch, wonach die EU keine Sozialunion sei, auch weiterhin gilt, wenn sie weiterhin eine Asozialunion bleibt, dann müssen wir uns wohl oder übel alle verrammeln, unsere Domizile abschotten und hochrüsten. Währenddessen schwadronieren sie von der Willkommenskultur, aber alles schließt sich ab.

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