Mit der Kraft des Geistes

1974 sagte Stephen Hawking die Strahlung Schwarzer Löcher voraus. Jetzt gab es dazu ein erstaunliches Experiment. Von Martin Koch

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit Jahrzehnten schon genießt Stephen Hawking weltweite Berühmtheit. Denn der britische Physiker, der an Amyotropher Lateralsklerose (ALS) erkrankt und inzwischen fast vollständig gelähmt ist, gilt als einer der brillantesten Wissenschaftler der Gegenwart. Viele mag es daher verwundern, dass Hawking noch immer nicht den Nobelpreis erhalten hat. Die Frage nach den Gründen muss sich bisweilen auch die Schwedische Akademie der Wissenschaften gefallen lassen. »Wir sind mit den Jahren sehr vorsichtig geworden«, sagt Lars Brink, der bis 2013 das Nobel-Komitee für Physik leitete. »Hawking hat in der Theorie einige wichtige Entdeckungen gemacht. Aber wir müssen sicher sein, dass sie stimmen.« So sei etwa seine Vorhersage, dass Schwarze Löcher allmählich verdampfen, für die Astrophysik fundamental, aber sehr schwierig zu überprüfen.

Zur Erklärung: Schwarze Löcher sind extrem kompakte kosmische Gebilde, die alles, was ihnen zu nahe kommt, auf Grund ihrer Gravitationswirkung einsaugen. Und nichts, weder Licht noch Materie, kann ihnen wieder entkommen. So dachte man zumindest bis 1974. Dann jedoch legte Hawking eine Theorie vor, aus der folgt, dass Schwarze Löcher keine reinen Einbahnstraßen sind, sondern eine schwache Strahlung aussenden, die man später »Hawking-Strahlung« nannte. Sie entsteht infolge von Energiefluktuationen am Ereignishorizont des Schwarzen Lochs, sprich an dessen Grenze zum gewöhnlichen Weltraum. Denn das dortige Vakuum ist laut Quantenmechanik nicht »leer«. Vielmehr werden darin unentwegt virtuelle Teilchen-Antiteilchen-Paare erzeugt, die gemäß der Heisenbergschen Unschärferelation nur für sehr kurze Zeit existieren und sich dann gegenseitig vernichten. Bildet sich nun ein solches Teilchenpaar unmittelbar am Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs, kann es passieren, dass es auseinander gerissen wird: Ein Teilchen stürzt ins Schwarze Loch, das andere entkommt als Komponente der Hawking-Strahlung in den freien Raum.

Würde man diese äußerst schwache Strahlung messen können, hätte man zugleich einen direkten Nachweis für die Existenz Schwarzer Löcher erbracht. Derzeit gibt es dazu jedoch keine Möglichkeit. Deshalb hat der israelische Physiker Jeff Steinhauer vom Israel Institute of Technology in Haifa ein Schwarzes Loch bzw. einen Ereignishorizont im Labor simuliert. Dazu kühlte er Rubidiumatome auf weniger als ein milliardstel Grad über dem absoluten Nullpunkt ab, so dass ein Bose-Einstein-Kondensat entstand. So nennt man einen exotischen Materiezustand, in dem sich die Atome wie eine reibungsfreie Flüssigkeit verhalten. Strömt diese mit Überschallgeschwindigkeit, können Schallwellen, die sich entgegen der Fließrichtung bewegen, dem Kondensat nicht mehr entkommen. Sie bleiben darin ähnlich wie in einem Schwarzen Loch gefangen. Es entsteht, wenn man so will, im Bose-Einstein-Kondensat ein »stummes Loch«.

Im Labor übernahmen also Paare von Schallquanten (Phononen) die Rolle der Teilchen-Antiteilchen-Paare im kosmischen Vakuum. Tatsächlich gelang es Steinhauer in einem raffinierten Experiment, freie Schallquanten auch außerhalb des »stummen Loches« zu messen und damit eine akustische Hawking-Strahlung zu erzeugen, die er zum Nachweis laserartig verstärkte (»Nature Physics«, doi: 10.1038/nphys3104).

Zwar gibt es merkliche Unterschiede zwischen stummen und Schwarzen Löchern. Dennoch sei bisher niemand dem Nachweis der Hawking-Strahlung so nahe gekommen wie Steinhauer, sagt William Unruh von der University of British Columbia in Vancouver. Auch Daniele Faccio von der Heriot-Watt University in Edinburgh nennt das Experiment den »vielleicht belastbarsten und eindeutigsten Beweis«, dass Labormodelle die Phänomene an der Schnittstelle von allgemeiner Relativitätstheorie und Quantenmechanik nachbilden können. Denn man benötigt beide Theorien, um die Hawking-Strahlung abzuleiten, für deren Nachweis es allerdings weiterer Experimente bedarf. Und so dürfte es wohl noch etwas dauern, ehe der Gewinner des Physiknobelpreises Stephen Hawking heißen wird.

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