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Beklemmendes Gegenwartsstück

Mozarts »Entführung aus dem Serail« an der Erfurter Oper

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 3 Min.

Dass die »Entführung aus dem Serail« mehr ist als das erste modisch aufgepeppte deutsche Singspiel oder eine herzige Reise von Europäern in den Orient, bei der fast alles schief und dann gerade noch mal gut geht, hat sich herumgesprochen. Wer Calixto Bieitos Amoklauf im Serail (an der Komischen Oper in Berlin) gesehen hat, dem wird bei dem Stück immer eher der Clash der Kulturen in den Sinn kommen als ein All-inclusive-Ausflug an den Bosporus.

An der Oper Erfurt hat jetzt Yekta Kara Mozarts Erfolgsstück aus dem Jahre 1782 inszeniert. Die Regisseurin studierte in München und war von 1992 bis 2000 Intendantin der Oper in Ankara. Also weit ab vom werk- und gesellschaftskritischen Theater mitteleuropäischer Machart. Die Türkin hat nun zwar nicht das Regietheater, sozusagen vom Bosporus aus, neu erfunden oder auch nur so getan, als hätte sie es intus. Die Geschichte wird durchaus konventionell und geradeaus erzählt. Aber sie hat sie als eine Befreiungsaktion europäischer Geiseln aus den Händen eines gemäßigt muslimischen, offenkundig ziemlich reichen Oligarchen erzählt, der Konstanze, Blonde und Pedrillo von syrischen Extremisten ausgelöst hat. Damit wird das, was bei Mozart in einem Sieg der Güte und des gegenseitigen Schwamm-drüber endet, nicht nur in unserer Gegenwart, neu verortet. Ausstatter Hank Irwin Kittel hat dafür eine gut gesicherte Luxusvilla gebaut.

Am Ende wird das Happy End auf eine Weise gebrochen, die den drohenden Gefahren der grassierenden Barbarei der Gotteskrieger gefährlich nahe kommt. Die Europäer können auch bei Yekta Kara am Ende ziehen. Aber ausgerechnet dem gemäßigten Selim Pascha (Robert Wörle) geht es an den Kragen. Sein fundamentalistischer Angestellter, der verbale Amokläufer Osmin, der am liebsten die gängigen Mordarten rauf- und runterbetet, hatte schon am Anfang eine schwarz maskierte Truppe engagiert, die die nacktbusig demonstrierenden Frauen vor der x-fach gesicherten Villa Selims kassiert. Am Ende übernehmen er und seine fundamentalistischen Helfershelfer den ganzen Laden und führen den Bassa mit einer Kapuze überm Kopf ab. Man ahnt, wie das endet.

Nicht weniger beeindruckend als diese aktuell politische Lesart war das, was aus dem Graben kam. Erfurt hat seit kurzem mit der erst 28-jährigen Joana Mallwitz die jüngste Orchesterchefin Deutschlands. Es ist das pure Vergnügen, ihrer frischen Art zu dirigieren zuzusehen und vor allem zuzuhören! Dazu ein passendes Ensemble, bei dem der Wiener Gast Benjamin Bruns als First-Class-Belmonte das Niveau vorgab. Davon ließen sich Kulia Neumann (Konstanze), die quicklebendige Punk-Blonde Romy Petrik, Paul Kaufmann (Pedrillo) und Gregor Loebel (Osmin) ebenso mitreißen wie von dieser Dirigentin.

Nächste Vorstellung: 16.11.

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