Karl Heinrich Marx und ein Kommunistenfresser

Über russisches Parfüm, die Stasi und den Liedermacher Biermann sprach Friedrich Schorlemmer mit Schülern

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Theologe Friedrich Schorlemmer trat bei den »Geschichtstagen der Jugend« vor brandenburgischen Schülern auf.

»Da war eine Zeit, da war alles anders hier ...«, beginnt ein Gedicht von Bertolt Brecht. In den Potsdamer Räumen der Flick-Stiftung gegen Intoleranz hat Pfarrer Friedrich Schorlemmer am Freitag nicht nur zu geschichtlichen Fragen Stellung genommen, sondern auch ein Statement zu einem Potsdamer Lokalthema parat: Er befürworte den angestrebten Neubau der Garnisonkirche, die »in so einer verhängnisvollen militärischen Tradition« stehe, nicht.

Die angemeldeten Jugendlichen aus Wiesenau waren nicht da, die aus Falkensee auch nicht, aber die aus Paulinenaue waren gekommen zu diesem Treffen, zu dem überraschend auch Ex-Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) erschien.

»Geschichte ist immer spannend«, sagte Schorlemmer. Wenn auch nicht immer angenehm. Er schilderte plastisch, wie er als Kind Strumpfbänder tragen musste, wie ihm das russische Parfüm seiner Lehrerin in der Nase stach und dass sein erstes Schulheft noch das Bild des sowjetischen Staatschefs Stalin getragen hatte. Als Einziger in der Schulklasse sei er nicht Pionier gewesen, und wenn die Untaten der Kirche Thema waren, die Kreuzzüge und Scheiterhaufen, »dann blickten sich alle nach mir um«. Später habe er sich für Friedenskunde an der Schule eingesetzt, gegen Wehrkunde. Selbst in die Kindergärten sei zu DDR-Zeiten die Furcht vor dem Krieg geschürt worden. »Kinder haben sich vor Angst eingepinkelt.«

Aber dass die Angst vor einem dritten Weltkrieg nicht völlig gegenstandslos gewesen ist, das verschwieg Schorlemmer an diesem Tage nicht. Alles habe auf Messers Schneide gestanden. Als ein Offizier der sowjetischen Flugabwehr auf dem Radar plötzlich vermeintlich angreifenden US-amerikanische Raketen sah, habe dieser auf einen technischen Fehler geschlossen und nicht den Gegenschlag befohlen. Ohne diesen Oberst Petrow »würden wir alle hier nicht sitzen«, sagte Schorlemmer.

Seine Sache sei der Frieden gewesen, erzählte der Theologe, der zuvor im Veranstaltungsraum eine Fahne mit dem Motto »Schwerter zu Pflugscharen« aufgehängt hatte. »Und Spieße sollen zu Sicheln werden«, führte er das Zitat bibelfest fort, um dann schmunzelnd zu korrigieren: »Nein, das hat Martin Luther falsch übersetzt. Gemeint waren nicht Spieße, sondern Winzermesser.« Der Grund für diese bewusste Fehlleistung: Luther habe mit seiner Bibelübersetzung auch in solchen Regionen Anklang finden wollen, die keinen Weinanbau und folglich auch kein Winzermesser kannten.

Ausführlich schilderte Schorlemmer, wie das DDR-Ministerium für Staatssicherheit seine Wohnung »verwanzt« hatte, jeden Raum übrigens, und dass im engeren Freundeskreis sich fünf Zuträger der Stasi befanden. Skurril die »Entzugserscheinungen« des Stasioffiziers, die ihm dieser nach der Wende geschildert habe. Der Offizier habe beständig den Briefwechsel Schorlemmers mit dem westdeutschen Publizisten Walter Jens mitgelesen. »Das war sehr interessant, das habe ich jetzt nicht mehr«, habe der Offizier gesagt. Der Sinn für Komisches war Schorlemmer nie abhandengekommen, etwa, wenn er SED-Funktionäre aus der Fassung brachte mit der Mitteilung, nicht etwa die Schriften von Karl Marx zu lesen, sondern die von »Dr. Karl Heinrich Marx«, womit nur der zweite Vornahme des Kommunisten zu seinem Recht gekommen sei.

Der Prediger hätte zur Verzweiflung dennoch allen Grund: »Meine russischen Freunde haben dem KGB berichtet, meine amerikanischen Freunde der CIA«. Aber er ließ sich nach der Wende von diesen deprimierenden Erkenntnissen nicht überwältigen und wird inzwischen von den Vertretern der DDR-Aufarbeitungsszene und der geschichtspolitischen Rechtgläubigkeit abgelehnt und geschnitten. Warum? »Ich wende mich gegen jene, die heute die DDR einschwärzen und dämonisieren, um ihre eigene damalige Feigheit zu bemänteln.« Bezogen auf den Sänger Wolf Biermann, »der heute ein Kommunistenfresser ist«, informierte Schorlemmer, Biermann habe noch in der Wendezeit erklärt, er könne »das Wort Wiedervereinigung nicht mehr hören«. Biermann sei nicht der Einzige, der vom Bürgerrechtler zum Bürgerrächer mutiert sei. Weil Schorlemmer da nicht mitmacht, »wirft man mir vor, ich würde die Opfer verhöhnen«, rief er. Sein Gottvertrauen helfe ihm jedoch über die Widrigkeiten hinweg.

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