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Föderales Büro für Einschüchterung

Die Dokumentation »1971« eröffnet das One World Berlin Human Rights Film Festival

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 4 Min.

Papier ist nicht nur geduldig. Papier ist auch physisch verwundbar - etwa im Vergleich zu heutigen Datensammlungen in der Internet-Cloud. Und Papier bedeutet Risiko. Denn man braucht kein spezialisierter Hacker zu sein, um es zu stehlen. Johanna Hamiltons neue Dokumentation »1971« führt den Zuschauer zurück in jenes titelgebende Jahr. In eine Zeit, in der die Computervernetzung noch in den Kinderschuhen steckte. In eine Zeit, in der die US-Bundespolizei, das Federal Bureau Of Investigation (FBI), seine mannigfaltigen illegalen Aktivitäten noch arglos auf Papieren fixierte, die in ungesicherten Aktenschränken in ungesicherten Provinzbüros gelagert wurden. Hamiltons Film - spannend wie ein Thriller, aktuell wie die Edward-Snowden-Doku »Citizenfour« - eröffnet an diesem Donnerstag (in der englischen Originalfassung) das One World Berlin Human Rights Film Festival.

Am 8. März 1971, während die Nation vom Boxkampf Ali gegen Frazier abgelenkt war, bestrafte eine Gruppe engagierter Normalbürger die laxen Sicherheitsstandards des FBI. In einem Kaff mit dem passenden Namen Media brachen sie ins lokale FBI-Büro ein und stahlen: Papier. Die über 1000 entwendeten Dokumente, die sie anschließend an Politiker und Journalisten schickten, schlugen ein wie eine Bombe. Und sie bescherten dem bis dahin in den Medien und TV-Serien geradezu geheiligten FBI einen neuen Spitznamen: Federal Bureau Of Intimidation - föderales Büro für Einschüchterung.

»Bürgerkommission zur Untersuchung des FBI« nannten sich dagegen spröde die sieben saturierten Aktivisten um den Hochschulprofessor William Davidon. Die Gruppe hatte sich nie zu der Aktion bekannt und es verstanden, das FBI bis heute an der Nase herumzuführen und unentdeckt zu bleiben. Geradezu sensationell sind also die Interviews, die die politisch engagierten Einbrecher der Filmemacherin geben. Für Johanna Hamilton lüften sie erstmals seit über 40 Jahren ihre Identitäten, zeigen ihre Gesichter und erklären ihre Motivationen. Und die sind nachvollziehbar.

Denn J. Edgar Hoover, FBI-Chef von 1924 bis zu seinem Tod 1972, hatte seine medial verklärte Behörde zu einem radikal-reaktionären Geheimdienst umfunktioniert. Unter dem Decknamen »Cointelpro« lautete der inoffizielle Auftrag: die Terrorisierung zehntausender organisierter Afroamerikaner, Vietnamkriegsgegner, Feministinnen und anderer »Kommunisten«. Die empfohlenen Mittel: Erpressung, Infiltration, Einschüchterung, Psychoterror mit anonymen Briefen oder aufgedeckten Seitensprüngen, die gezielte Erzeugung von Paranoia. Auch die gerade in der »Bild«-Zeitung veröffentlichte FBI-Aufforderung zum Suizid an Martin Luther King kam im Zuge der Aufarbeitung des Einbruchs von 1971 schon vor Jahrzehnten ans Tageslicht.

Aus historischem Filmmaterial, aktuellen Interviews und nachgespielten Szenen, unterlegt mit Thrillerstreichern und bedrohlichem Synthie-Geblubber, schafft Hamilton ein fesselndes Puzzle. Mit dem Film zeichnet sie nachvollziehbar den damaligen Stimmungscocktail aus hoffnungsvollem Aufbruch und erstickender Geheimdienstparanoia nach. Sie gewährt aber auch menschliche Einblicke, wenn sich etwa die Kinder der Aktivisten äußern - mit einer Mischung aus Bewunderung und Vorwurf. Schließlich konnten die damaligen jungen Eltern nicht mit dem eingetretenen, glimpflichen Verlauf rechnen. Im Gegenteil: Für den Fall einer Verhaftung wurden vor der Aktion konkrete Vorbereitungen für die Kinderbetreuung bei Verwandten getroffen.

Mit dem Film schließt sich ein Kreis: Produziert wurde »1971« auch von Laura Poitras, der Regisseurin der aktuellen Snowden-Doku »Citizenfour«. Es ist schwer vorstellbar, dass Edward Snowden nicht auch von jener »Bürgerkommission zur Untersuchung des FBI« inspiriert wurde - und von all dem, was dem Einbruch folgte.

Denn die Offenlegung der monströsen, ausufernden »Cointelpro«-Strategie war nur der Anfang einer Reihe von Enthüllungen zu den US-Geheimdiensten: Ebenfalls noch 1971 sorgten die »Pentagon Papers« über die Lügen und wahren Motivationen für den Vietnamkrieg für Empörung, 1972 der Skandal um das Abhören des Watergate-Hotels, 1974 Seymour Hershs Artikelreihe zur »Operation Chaos« und der Liquidierung von abtrünnigen Staatschefs durch die CIA. All das mündete 1975 in den Frank Church Hearings, der ersten Untersuchung der US-Geheimdienste überhaupt - ein Verdienst der acht Einbrecher von Media.

Die Geschichte jenes Einbruchs ist auch eine Medienstudie: Viele Zeitungen wie die »New York Times« oder die »Los Angeles Times« schickten die Dokumente aus vorauseilendem Gehorsam sofort zurück ans FBI. Einzig die Redakteurin Betty Medsger von der »Washington Post« übernahm die Verantwortung und brachte die Story. Es ist mehr als unsicher, ob die gleiche Zeitung ohne diesen mutigen Präzedenzfall die »Watergate«-Affäre ein Jahr später so konsequent recherchiert hätte. Nach dieser Lesart kann sich die »Bürgerkommission« gar den Rücktritt von US-Präsident Richard Nixon ans Revers heften.

Das FBI hat laut eines zitierten Agenten aus den Affären gelernt: »Für einen kurzen Moment wurde der ganze Missbrauch des FBI sichtbar. Dann wurde diese Tür wieder zugeschlagen.« Seitdem habe man nicht einmal mehr einen flüchtigen Blick auf die US-Geheimdienste erhaschen können. Das hat sich erst mit dem mutigen Handeln von Julian Assange, Chelsea Manning oder Edward Snowden geändert. Jedoch ohne Folgen: Gerade haben die US-Republikaner eine Reform der NSA blockiert.

Festival: 20.-23. November, Kino Arsenal, www.oneworld-berlin.de

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