Mathilde Anneke

Kalenderblatt

  • Ralf Höller
  • Lesedauer: 2 Min.

»Vor einer Legion, ich weiß nicht mehr vor welcher, ritt eine üppige Weibsperson, eine rote Feder auf dem Hecker-Hute, Brille auf der Nase, angetan mit einem Reitkleide aus schwarzem Samt, im roten Gürtel zwei Pistolen, an der Seite einen Schleppsäbel und - hinter ihr reitend - ein badischer Dragoner als Ordonnanz!« Die so martialisch beschriebene Mathilde Franziska Anneke nahm zwar am badisch-pfälzischen Aufstand von 1848/49 teil, sogar zu Pferde und in vorderster Front, aber Waffen trug sie zeitlebens ebenso wenig wie Männerkleidung. Ihre Kriegstracht war das Fantasieprodukt eines konservativen Redakteurs.

Aus der königstreuen, eher biederen Tochter eines preußischen Rentmeisters wurde erst nach einer Scheidung die Vorkämpferin für soziale Gerechtigkeit und Emanzipation der Frauen. In Wesel, wohin sie 1839 mit Tochter Fanny gezogen war, machte Mathilde Franziska Anneke nicht nur Bekanntschaft mit neuen politischen Ideen, sondern auch mit ihrem künftigen Ehemann Nummer zwei. Offiziersanwärter Fritz Anneke reiste jeden Montag von Wesel nach Köln, um am wöchentlichen Debattierclub der »Rheinischen Zeitung« teilzunehmen, deren Leiter Karl Marx war. Nach ihrem Umzug nach Köln, wo Fritz die »Neue Kölnische Zeitung« herausgeben sollte, wurde die Wohnung der Annekes bald zum Treffpunkt von Regimegegnern: Ida und Ferdinand Freiligrath, Moses Heß, Emma und Georg Herwegh und Ferdinand Lassalle kamen regelmäßig, der russische Anarchist Michail Bakunin etwas seltener zu Besuch.

Die Annekes waren bei der ersten Kölner Massendemonstration am 3. März 1848 in vorderster Reihe. Fritz wurde verhaftet. Mathilde übernahm die Redaktion der Zeitung. Nach der Enttäuschung der Frankfurter Paulskirchenversammlung organisierte sich die Opposition neu. Die Annekes sprachen sich wie Marx für die Einführung einer demokratischen, sozialen Republik aus. Am längsten hielten sich die Revolutionäre im Südwesten. Als die Preußen militärisch eingriffen, strömten progressiv Gesinnte aus ganz Deutschland in die Pfalz, darunter auch die Annekes. Der badisch-pfälzische Aufstand endete am 23. Juli 1849 mit der Kapitulation der Festung Rastatt. Die Annekes flohen über Straßburg und die Schweiz in die USA, wo Mathilde rasch Anschluss an die amerikanische Frauenbewegung fand, sich für die Abschaffung der Sklaverei und die Einführung des Wahlrechts für Schwarze engagierte. Mathilde Franziska Anneke starb am 25. November 1884 in Milwaukee.

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