Das eigene Doping geleugnet

Nicht wenige sehen in der Aufnahme von Heike Drechsler und Marita Meier-Koch in die »Hall of Fame« der Leichtathletik einen großen Skandal

  • Jörg Mebus, Monaco
  • Lesedauer: 3 Min.
Heike Drechsler und Marita Meier-Koch sind seit Freitag die ersten beiden Deutschen in der »Hall of Fame« der Leichtathletik. Nicht wenige halten das für einen Skandal.

Die warmen Worte prasseln nur so auf Heike Drechsler und Marita Meier-Koch herab. Drechsler bleibe als »größte Weitspringerin des 20. Jahrhunderts« in Erinnerung, heißt es in der Eloge des Weltverbandes IAAF anlässlich der Aufnahme der beiden Ausnahme-Leichtathletinnen in die »Hall of Fame«. Meier-Koch sei für »eine der größten Leistungen eines einzelnen Athleten aller Zeiten« verantwortlich.

Die Worte lösen bei Ines Geipel Fassungslosigkeit und Wut aus. Die Vorsitzende des Doping-Opfer-Hilfevereins (DOH) bezeichnete die IAAF-Auswahl als »einfach nur erschütternd«. Für ein Gremium wie die IAAF sei es »ausgesprochen heikel, wenn es historische Aufarbeitung in Mitgliedsländern völlig negiert«, sagte Geipel. Sie ist eine von rund 200 staatlich anerkannten Dopingopfern und war wie Drechsler und Meier-Koch zu DDR-Zeiten Sprinterin. »Die DDR-Sportgeschichte ist aktenkundig, die Realität liegt auf dem Tisch«, sagte Geipel. Drechsler und Meier-Koch seien »zwei Leugnerinnen des eigenen Dopings, und die Ehrung ist wie ein Schlag ins Gesicht durch einen internationalen Dachverband«.

Auch der Deutsche Leichtathletikverband (DLV) schuf größtmögliche Distanz zwischen sich und der IAAF, die mit der höchst umstrittenen Vergabe der WM 2019 an Doha/Katar in dieser Woche schon einmal auf breiter Front für Kopfschütteln gesorgt hatte. »Wir wurden vor dieser Ehrung nicht von der IAAF kontaktiert. Ich hätte mir sehr gewünscht, dass das der Fall gewesen wäre, und hoffe, dass das in Zukunft der Fall sein wird«, sagte DLV-Präsident Clemens Prokop. Mit der Aufnahme in eine Ruhmeshalle sollte laut Prokop »eine Vorbildwirkung verbunden« sein. »Diese kommt nur Leistungen zu, die nicht unter Dopingverdacht stehen. Ich würde mir wünschen, dass bei solchen Ehrungen nicht nur Leistung eine Rolle spielt, sondern die Gesamtperson gewürdigt wird. Dazu gehört für meine Begriffe auch, dass man sich klar und deutlich zum Kampf gegen Doping bekennt«, sagte Prokop.

Die IAAF gab zu der Wahl von Drechsler und Meier-Koch keinen Kommentar ab. Der langjährige DLV-Präsident Helmut Digel, der im IAAF-Council sitzt, war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Eine kritische Aufarbeitung der Vergangenheit der beiden deutschen »Legenden« vor der Aufnahme in die Hall of Fame hat es innerhalb der IAAF ganz offensichtlich nicht gegeben. Oder: Es hat sie gegeben, und die Erkenntnisse spielten bei der Entscheidungsfindung schlichtweg keine Rolle.

Die Dopingaufklärer Brigitte Berendonk und Werner Franke hatten in der Nachwendezeit nachgewiesen, dass die beiden Olympiasiegerinnen in den 1980-er Jahren kontinuierlich und hoch dosiert das Anabolikum Oral-Turinabol verordnet bekamen. Drechsler ließ sich von den Beweisen nicht verunsichern und bezichtigte Berendonk, die sie als »Musterbeispiel für harmonisches Jugend-Doping« bezeichnet hatte, der Lüge. Den Prozess, den die Ehefrau von Werner Franke deswegen 1993 anstrengte, verlor Drechsler haushoch. Zudem wurden ihr damaliger Ehemann Andreas, der Schwiegervater und zwei Journalisten wegen uneidlicher Falschaussage belangt und ihr Manager zu 120 Tagessätzen verurteilt. Im selben Jahr wurde bekannt, dass Drechsler als IM »Jump« für die Stasi gearbeitet hatte. Von der zweimaligen Weitsprung-Olympiasiegerin Drechsler stehen noch heute fünf Versuche in der Top-10-Liste der bislang weitesten Sprünge.

Drechsler und auch Meier-Koch haben wissentliches Doping stets bestritten. Drechsler distanzierte sich in der Vergangenheit mehrmals von den Vorgängen zu DDR-Zeiten (»Ich hätte alles früher hinterfragen sollen«) - im Gegensatz zu Meier-Koch. Von der Rostockerin ist bisher keine kritische Einordnung der Ereignisse bekannt. Für sie sind aus dem Zeitraum 1981 bis 1984 Oral-Turinabol-Raten von 70/1460/720/530 Milligramm dokumentiert. Der 400-m-Weltrekord, den sie am 6. Oktober 1985 in Canberra aufstellte, hat noch immer Bestand. Die 47,60 Sekunden gelten in der Fachwelt heute als unerreichbar. In diesem Jahrtausend sind erst zwei (!) Frauen unter der 49-Sekunden-Marke geblieben. SID

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