Erhalten, nicht Restaurieren

Seit über 20 Jahren besteht im bayerischen Greifenberg ein weltweit einmaliges Institut zur Erforschung historischer Musikinstrumente

  • Maren Martell, Greifenberg
  • Lesedauer: 3 Min.
Sie werden vermessen, geröntgt und mit dem Endoskop erkundet. In Greifenberg erforscht ein kleines Team alte Cembali, Spinette und Klaviere. Experten aus aller Welt schätzen diese Arbeit.

Betritt man die Werkstatt von Helmut Balk, kann man die Historie uralter Tasteninstrumente erspüren. Mit leuchtenden Augen erläutert der Orgelbauer und leidenschaftliche Musikwissenschaftler etwa seine Arbeit an einem Hammerflügel aus dem Jahre 1780. Ein Originalinstrument des berühmten Augsburger Orgel- und Klavierbauer Johann Andreas Stein, von dessen Art es weltweit nur noch acht Exemplare gibt. »An diesem Klavier hat vielleicht auch Mozart gespielt, denn er war mit Stein eng befreundet. Die Steinschen Instrumente waren zu seiner Zeit heiß begehrt. Auch Beethoven und Haydn spielten sie gerne.«

Das wertvolle Instrument ist nur noch in Fragmenten erhalten. Ein etwas muffiger Holzgeruch erfüllt den Werkstattraum des Instituts für Musikinstrumentenkunde im oberbayerischen Greifenberg im Kreis Landsberg. Doch Balk versteht sich nicht als Restaurator. »Wir versuchen jeden Eingriff zu vermeiden, denn so ein Stück ist für die Forschung ein wichtiges Zeitdokument, das wir regelrecht lesen. Mit jedem Restaurierungsschritt würden wir Originalsubstanz verlieren. Wir versuchen nur, den Ist-Zustand zu erhalten.«

So sind nicht nur Hobel, Säge oder Raspel wichtige Werkzeuge für Balk und seine fünf Mitarbeiter. In der Werkstatt stehen auch hochmoderne Mikro- und Endoskope sowie zahlreiche Messinstrumente. Damit werden die Holzarten, Verfahrenstechniken oder handwerklichen Fertigkeiten, aber auch Schäden, Schädlingsbefall oder Reparaturmaßnahmen über die Jahrhunderte hinweg erfasst. Die historischen Cembali, Klaviere oder Spinette werden bei Bedarf sogar geröntgt. »Die Aufnahmen zeigen das Innenleben eines historischen Instruments in einer ganz anderen Dimension«, betont Balk.

Seit 1992 betreibt der heute 58-Jährige in seinem Greifenberger Institut Forschungen an Instrumenten aus der vorindustriellen Zeit. Mit in seinem Team: seine Tochter Magdalena und seine Frau Margret Madelung, gelernte Instrumentenbauerin und promovierte Musikologin. Auftraggeber der Greifenberger Forscher sind Museen, Sammlungen und Forschungsinstitute aus dem In- und Ausland. »Wir hatten schon Anfragen aus Yale, Harvard oder dem Metropolitan Museum in New York«, erzählt Balk.

Über die Jahre konnte in Greifenberg eine riesige Datenbank mit wertvollen Informationen aufgebaut werden. Balk hält immer wieder Vorträge und Vorlesungen über seine Arbeit und die Forschungsergebnisse seines Instituts. Unter anderem arbeiten die Greifenberger mit dem Max-Planck- und dem Fraunhofer-Institut zusammen sowie mit der Klassik Stiftung Weimar und der Kulturstiftung des Bundes.

»Durch das Sammeln der vielen Messdaten, Fotos, Röntgenaufnahmen und Informationen über ein Instrument schaffen wir uns die Grundlage für einen technischen Masterplan, nach dem wir es bis ins letzte Detail nachbauen können«, sagt Balk. Doch diese Nachbauten dienen nicht dem Verkauf, sondern nur weiteren Forschungen. Der Prototyp wird zum Referenzinstrument für Hochschulstudenten und Musikwissenschaftler.

Regelmäßig wird auf dem Gelände unterhalb des Greifenberger Schlosses zu Werkstattkonzerten eingeladen. »Mittlerweile klopfen die Künstler bei uns an und fragen, ob sie hier spielen dürfen. Viele schätzen uns als Probebühne bevor sie eine neue CD aufnehmen oder in größerem Rahmen spielen«, sagt Balk. So spielten in Greifenberg schon die Sopranistin Emma Kirkby, der Cembalist Léon Berben und die Gambistin Hille Perl.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal