Politisch reiferes Grönland wählt erneut

Regierung zerbrach nach nur 18 Monaten / Reformen angesichts schlechter Wirtschaftslage gefordert

  • Andreas Knudsen, Kopenhagen
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Träume vom großen Rohstoffabenteuer sind in Grönland vorerst vorbei. Eine neue Regierung soll dringend nötige Reformen auf den Weg bringen.

Nach nur 18 Monaten werden Grönlands rund 40 000 Stimmenberechtigte ein neues Parlament bestimmen. Denn schon ist die sozialdemokratisch geführte Koalition in einem Chaos von Vetternwirtschaft, Nepotismus und Misstrauensanträgen auseinandergebrochen. In dieser kurzen Zeit verschlechterte sich aber auch die Wirtschaftslage dramatisch. Die Einnahmen aus der alles dominierenden Fischerei sowie dem Tourismus gingen deutlich zurück. Gleichzeitig hat sich die Hoffnung verflüchtigt, dass die Ausbeutung der zahlreichen Bodenschätze bald einen ausländischen Investitionsboom auslösen würde. Der Staatshaushalt weist zudem ein steigendes Defizit auf, während Grönland mit Auswanderung und fallender Geburtenrate zu kämpfen hat.

Dementsprechend unterschiedlich sind die Themen des letzten und des aktuellen Wahlkampfes. Ging es 2013 noch um die Verteilung der erwarteten Rohstoffeinkommen, dominieren jetzt Fischerei, Wohnungsnot und Ausbildung die Diskussion.

Allerdings mit einer Ausnahme: Die Vorsitzende der sozialistisch orientierten Partei Inuit Ataqatigiit (IA), Sara Olsvig, kündigte im Falle eines Wahlsieges eine Volksabstimmung zur Uranfrage an. Es geht darum, ob Grönland Bergwerksbetrieb akzeptieren kann, bei dem zugleich Uran als Nebenprodukt anfällt. Die vorige Koalition setzte die Akzeptanz mit kleinstmöglicher Mehrheit durch, während sich die Bevölkerung in der Frage tief gespalten zeigt, ob Arbeitsplätze oder Gesundheits- und Umweltschutz das Wichtigste ist.

Lange war IA Wahlfavorit. Sie müsste aber einen Koalitionspartner finden. Am wahrscheinlichsten könnte diese Position die sozial-liberale Demokratische Partei einnehmen, mit der IA bereits in der Oppositionszeit zusammenarbeitete.

Zum neuen Anwärter auf den Wahlsieg mauserte sich inzwischen aber die sozialdemokratische Siumut-Partei, die mit Kim Kielsen einen neuen Vorsitzenden wählte, der als vertrauenswürdig gilt.

Die unbekannte Größe ist die neue Partei Naleraq (Wegzeichen). Sie wurde erst vor vier Wochen vom den ehemaligen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Hans Enoksen gegründet, der mit seiner alten Partei gebrochen hatte. Er wird viele Stimmen in den kleinen Küstensiedlungen sammeln, deren Fischer ihn als einen der ihren ansehen. Abhängig vom Wahlergebnis ist es möglich, dass Naleraq eine Koalition mit Siumut oder IA eingeht.

Von Enoksen wird es damit abhängen, wie radikal der erhoffte Wandel in Grönland werden kann. So könnten unrealistische Erwartungen durch einschneidende Reformen ersetzt werden, bis die ökonomischen Grundlagen eines selbstständigeren Grönlands gelegt sind.

Die verflossenen 18 Monate können aber trotzdem nicht nur als verschwendete betrachtet werden, denn große Teile der Bevölkerung sind politisch reifer geworden. Während korrupte Politiker früher mit einem Achselzucken davonkamen, wurden sie dieses Mal durch einen Proteststurm hinweggefegt. Graswurzelorganisationen sind entstanden, die sich für Umweltschutz einsetzen und gegen Vetternwirtschaft angehen. Sie erwarten auch die Veröffentlichung eines Untersuchungsberichts zu finanziellen Unregelmäßigkeiten im Regierungsapparat in den letzten Jahren. Er liegt bis nach den Wahlen unter Verschluss.

Die kommende Regierung wird sich zahlreichen Herausforderungen stellen und unpopuläre Beschlüsse durchführen müssen, um Grönland fit zu machen für die Zukunft. Die notwendigen Reformen werden einen längeren Horizont haben als die erste Amtszeit der neuen Regierung.

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