Mehr Arbeit als im Westen - für weniger Lohn

Sozialministerin Diana Golze legt Bericht vor. Sie will sich besonders den Langzeitarbeitslosen zuwenden

355 000 Brandenburger, 30,7 Prozent der Beschäftigten im Land, verdienen unter 8,50 Euro in der Stunde. Die Arbeitslosenzahl sinkt, die prekäre Beschäftigung nimmt zu.

Mehr als 72 Millionen Euro will die rot-rote Landesregierung bis 2020 für die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Armut einsetzen, wie Sozialministerin Diana Golze (LINKE) am Mittwoch ankündigte. Im Vorwort eines Arbeitsmarktberichts, den Golze selbst vorstellte, erinnert die Ministerin an einen »gewaltigen Kraftakt« nach der Wende, an erhebliche Investitionen für die Infrastruktur und die Neuansiedlung von Unternehmen, an umfangreiche Mittel für Qualifizierung und Beschäftigung von Arbeitslosen. »Es hat sich gelohnt«, schwärmt Golze, »denn heute sehen wir: Beschäftigung ist gewachsen, die Arbeitslosigkeit ging deutlich zurück.«

Die Zahlen sind tatsächlich beachtlich: Waren vor zehn Jahren noch 250 709 Brandenburger arbeitslos gemeldet, so sind es jetzt nur noch 114 208. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist seit 2004 von 715 500 auf 772 383 gestiegen. Von den Frauen im erwerbsfähigen Alter sind 72,8 Prozent berufstätig. Das ist der höchste Wert in Deutschland. Die Arbeitslosenquote lag 2013 im Jahresdurchschnitt bei 9,9 Prozent und damit 8,8 Prozent niedriger als 2004, gleichzeitig so niedrig wie noch nie seit der deutschen Wiedervereinigung.

Die Geschichte lässt sich jedoch auch anders erzählen. Dafür finden sich ebenfalls Zahlen im Arbeitsmarktbericht, niederschmetternde Zahlen: 40 Prozent der arbeitslosen Brandenburger sind länger als ein Jahr ohne Job, also langzeitarbeitslos. Die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit liegt in Brandenburg inzwischen bei 41 Wochen, und damit noch einmal eine Woche über dem Wert des Jahres 2012. Ostdeutscher Schnitt sind 39 Wochen.

Jeder erwerbstätige Brandenburger hat 2013 im Schnitt 1477 Stunden gearbeitet. Ostdeutscher Durchschnitt sind 1464 Stunden, westdeutscher Schnitt 1371 Stunden. Der Fleiß machte sich nicht bezahlt. Bei 1980 Euro brutto bewegte sich der Monatslohn der abhängig beschäftigten Brandenburger (Ostdeutschland 2030 Euro, Westdeutschland 2460). Zwar stiegen die Löhne im Vergleich zum Vorjahr um ein Prozent. Der Abstand zum Lohnniveau im Westen blieb jedoch unverändert. Die Brandenburger verdienen 19 Prozent weniger ihre als Kollegen im Westen. Bezieht man die längere Arbeitszeit in diese Berechnung ein, sind es sogar 24 Prozent weniger.

Kleine Betriebe zahlen in der Regel schlechter als große. In Brandenburg gibt es wenige große Firmen. Von den 66 116 märkischen Betrieben mit wenigstens einem sozialversicherungspflichtigen Mitarbeiter haben bloß 21,9 Prozent mehr als 250 Beschäftigte. In ganz Ostdeutschland liegt der Anteil bei 26,3 Prozent, in Westdeutschland bei 33,2 Prozent. Die märkischen Firmen mit weniger als fünf Beschäftigten steckten monatlich je 1680 Euro in die Lohntüten - auch dies alles Durschnittswerte für das Jahr 2013. Die Unternehmen mit mehr als 250 Leuten gaben 2930 Euro.

»Man kann nicht mehr davon sprechen, dass durchgängig niedrige Löhne in Brandenburg gezahlt werden«, vermerkt der Arbeitsmarktbericht. Die Höhe des Verdienstes hänge davon ab, in welcher Branche man arbeite und wie groß der Betrieb sei. Das tröstet kaum, denn das Bundesland ist abgesehen von rühmlichen Ausnahmen nun einmal nicht unbedingt das Land der Hochtechnologien und schon gar nicht das Land der Großbetriebe. Fast ein Drittel der Beschäftigten in Brandenburg, konkret 355 000, verdienen unter 8,50 Euro in der Stunde. Mittlerweile 98 523 Brandenburger sind ausschließlich geringfügig beschäftigt. Binnen eines Jahres sind es noch einmal 445 mehr geworden. Frauen erhalten in Brandenburg bei gleicher Qualifikation neun Prozent weniger Lohn als Männer. Im Westen beträgt der Abstand wenigstens bloß sieben Prozent.

Die Experten sind sich weitgehend darüber einig, dass der extreme Rückgang der Arbeitslosenquoten in Brandenburg - wie in ganz Ostdeutschland - vor allem mit dem demografischen Wandel zu tun hat. Es gehen einfach viel mehr Beschäftigte und auch Erwerbslose in Rente, als Schulabgänger nachrücken. Außerdem suchen immer noch jährlich Tausende junge Menschen ihr Glück im Westen. Gleichwohl trug auch ein Anstieg bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zur Verbesserung der Arbeitsmarktdaten bei. Allerdings gibt es dabei eine Kehrseite: lediglich 15 000 Vollzeitstellen sind hinzugekommen, aber 70 000 Teilzeitjobs.

»Brandenburg hat in den vergangenen Jahren Fortschritte bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit erreicht«, betont Ministerin Golze. Sie weiß jedoch: »Trotz des deutlichen Rückgangs ist die Arbeitslosigkeit im Vergleich zum Westen immer noch zu hoch.« Besonders im Blick hat die neue Sozialministerin nach eigenem Bekunden die Langzeitarbeitslosen, die bislang kaum vom Aufschwung profitierten und deren Anteil sich im Verlauf des Jahres 2013 um ein Prozent erhöhte. »Menschen, die schon viele Jahre unter den Folgen der Arbeitslosigkeit leiden, auch mit dem Gefühl, von der Gesellschaft nicht mehr gebraucht zu werden, können nicht von heute auf morgen eine 40-Stunden-Stelle beginnen«, sagt Golze. »Diese Menschen werden wir in kleinen Schritten intensiv auf eine Beschäftigung vorbereiten.« Mitte 2015 soll ein entsprechendes Förderprogramm starten.

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