Zwei einsame RBB-Mikrofone

Die Filme sind wie die Fälle, nämlich langweilig: Matthias Dell über den »Polizeiruf: Hexenjagd«, krass strenge Lehrer, überforderte Kinder und die Eigenwerbung eines öffentlich-rechtlichen Senders

  • Matthias Dell
  • Lesedauer: 4 Min.

Brandenburg ist eine untere Mittellage. Der dortige »Polizeiruf« (RBB-Redaktion: Daria Moheb Zandi) hat seit der Amtseinführung von Kommissarin Lenski (Maria Simon) konsequent der Versuchung widerstanden, sich interessant machen zu wollen.

Man muss dem Schauplatz aber zugute halten, dass er nie kolossal auf die Nerven gegangen ist. Die Filme sind wie die Fälle, nämlich langweilig. Und die Langeweile ergreift selbst eine leicht wiedererkennbare, komische Figur wie Krause (Horst Krause, zum vorletzten Mal am Start), der in der Folge »Hexenjagd« seiner kommenden Abschaltung entgegen gedimmt ist; er fällt kaum auf.

Mit der Figur weiß der »Polizeiruf« nichts mehr anzufangen. Mit der Kommissarin nicht viel mehr: Maria Simon wundert sich in ihrer Maria-Simon-Haftigkeit zwar irgendwie hübsch flüsternd durch den Text, den sie zu sprechen hat. Aber das Kind etwa, das doch als Ausweis modernen Lebens gelten sollte (Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Zeiten des Elterngelds), ist Hypothek für jede Folge; es hat seinen Auftritt am Anfang und am Ende, dem Morgen und dem Abend der Ermittlung, die man sich dann als sehr langen Arbeitstag vorstellen müsste.

Aber wozu? Wenn Beruf und Familie vereint werden sollten im ARD-Sonntagabendkrimi, dann dürfte Familie doch keine Randerscheinung sein. Die Zuschauerin wird jedenfalls kaum motiviert, zarte Andeutungen von Privatlebenserzählungen für aufregend zu halten; bei diesem Felix (Andreas Pietschmann) - haben wir in den Credits nachgeschlagen, adressiert wurde der ja nicht -, weiß man zum Beispiel gar nicht, ob das der Kindsvater ist, von dem Olga Lenski getrennt lebt, oder ein neuer Lover, der sich in der Betreuung gut macht. Ist so. Ist auch egal.

Mit dieser Haltung marschiert »Hexenjagd« leider auch aufs sogenannte Thema zu. Es geht um Stress in der Schule, Leistungsdruck in der Gesellschaft, überforderte Lehrer, ungezogene Kinder, krass strenge Lehrer, überforderte Kinder.

Der Problemaufriss ist so geräumig, dass alle Schlagworte, die Ihnen dazu einfallen, drin Platz finden. Und, ja, sogar drin Platz finden müssen. Eigentlich ist »Hexenjagd« (Buch: Kristin Derfler mit der Regisseurin Angelina Maccarone), nämlich wie die Schüler, die Lenski verhört - von sich aus erzählt er nix, man muss ihm alles aus der Nase ziehen.

Große Frage also: Warum versucht ein Film, der 90 Minuten Zeit hat, nicht, die Schlagworte, zu denen medial geführte Debatten gerinnen, wieder aufzulösen im Wasserbad seiner konkreten Darstellungsmöglichkeiten? Einfache Antwort: Weil er selbst zu viel Fernsehen geguckt hat.

Eine Vermutung, wie sie Lenski im ersten Drittel äußert (»Der gekränkte Vize mit Zugang zu Chemikalien - nee, das ist zu einfach«), ist ja nichts, was ein Ermittler in Wirklichkeit denken würde, wo Investigation tatsächlich Herausfinden bedeutet und eben nicht, wie im Fernsehen, ein möglichst originelles Rätselraten, das erst am Filmende zu Ende sein darf.

Man könnte die Bemerkung selbstironisch nennen, aber das hieße, den »Polizeiruf« zu überschätzen. Wenn schließlich die glücklose Referendarin es selbst war, also Täterin des Anschlags, der ihr beinahe das Leben gekostet hätte, dann ist das bei Lichte besehen doch: komisch! Und »Hexenjagd« also verkehrt erzählt. Aber erzählen heißt hier eh nur sich durchzuwurschteln - selbst wenn ein Bombenanschlag in der Schule eine Brisanz hat (Erfurt, Winnenden), für die womöglich sogar ein öffentlich-rechtlicher Sender noch mal aus seiner »Ist doch nur Film, wir verklappen Unterhaltung«-Routine aufwachen könnte.

Am meisten beschäftigt den jedoch die Eigenwerbung, wie die Szene mit der Medienmeute vor der Schule sehr schön zeigt: Der strengen Direktorin (Corinna Kirchhoff, die noch einen Satz wie »Nur die Fachkräfte haben Zugang zu den Chemikalien« spricht, als stünde er in der »Iphigenie auf Tauris«) recken sich zwei einsame RBB-Mikrofone entgegen. In seinen Filmen träumt sich der RBB die Pressevielfalt wie einst das Fernsehen der DDR. Dahin muss man auch erstmal kommen.

Eine gute Ausrede, die man sich merken kann:
»Ich hatte einen wichtigen Termin.«

Ein Wunsch, den sich für 2015 aufheben sollte:
»Ich nehm' gerade eine Auszeit.«

Eine Frage von zeitloser Schönheit:
»Wie lang ist denn nun die Hypotenuse?«

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