Selbst ein Hühnerei ist exakter ausgewiesen

Internationale Tagung in Berlin klagte Raubgrabungen und illegalen Antikenhandel an

  • Ronald Sprafke
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Bilder sind bestürzend: Von tiefen Löchern und Tunneln durchwühlte Siedlungshügel, mit Bulldozern abgetragene Grabhügel, durch Gräben verwüstete Grabungsflächen. Man fühlt sich an ein Schlachtfeld erinnert. Raubgräber durchwühlen weltweit archäologische Stätten, zerstören auf der Suche nach verkäuflichen Objekten Tausende historische Funde. Hoch spezialisierte Banden schaffen einmaliges Kulturgut außer Landes, das dann von Auktionshäusern oder auf dem Schwarzmarkt in Westeuropa und den USA gewinnbringend verkauft wird. UNESCO und Interpol schätzen den Jahresumsatz von illegalen Antiken auf zwei bis sechs Milliarden Dollar.

Auf der internationalen Tagung »Kulturgut in Gefahr: Raubgrabungen und illegaler Handel« in Berlin suchten Archäologen gemeinsam mit Politikern, Händler und Kriminalisten nach Antworten und Lösungen, wie den Raubgrabungen und Diebstahl in Krisen- und Kriegsgebieten Einhalt geboten werden kann. Besonders betroffen sind derzeit Irak, Syrien und Ägypten. Mit dem Zerbrechen oder Zerschlagen staatlicher Strukturen sind vielfach auch die Altertümer nicht mehr geschützt. Westliche Besatzer sind desinteressiert. IS-Einheiten zerstören mutwillig und systematisch antike und christliche Denkmäler und religiöse Stätten. Die historische Tradition und das kulturelle Erbe sollen aus dem Gedächtnis der Menschen ausgelöscht werden. Ein weltweites Problem. Im westafrikanischen Timbuktu vernichteten Islamisten einmalige historische Handschriften. Tagungsteilnehmer berichteten über geplünderte Schiffswracks vor der Küste von Mosambik und Raubgrabungen in Mexiko, die den nordamerikanischen Markt beliefern.

»Raubgrabungen sind keine Naturkatastrophen, sondern kriminelle Taten«, stellte Michael Müller-Karpe klar, Archäologe und renommierter Gutachter in Rückgabeprozessen illegaler Antiken. Seit über 100 Jahren gäbe es klare Gesetze: Ausgrabungen müssen durch den Staat genehmigt werden und die Funde im Lande verbleiben, Ausnahmen bedürfen eindeutiger Ausfuhrgenehmigungen. Das heißt: Objekte aus nicht genehmigten Grabungen sind illegal, Funde ohne Exportpapiere sind illegal und dürften nirgendwo gehandelt, versteigert und gekauft werden. »Neufunde« tauchen nicht einfach aus dem »nichts« auf. Auch der oft zitierte großväterliche Dachboden ist wenig glaubhaft.

Zwar ratifizierten über 120 Staaten die UNESCO-Konvention gegen illegalen Handel mit Kulturgut von 1970, doch nur ein knappes Dutzend setzte deren Bestimmungen auch in nationales Recht um. Eine 1995 erlassene UNIDROIT-Konvention über gestohlene oder rechtswidrig exportierte Kulturgüter bietet immerhin konkrete Handhaben wider Verstöße per Zivil- und Strafrecht. Sie wurde allerdings erst von 36 Staaten ratifiziert; auch die deutsche Unterschrift fehlt bis heute. Auch der 1970er Konvention trat die Bundesrepublik nach langem Zögern er 2007 bei. Die hiesige Kunsthändlerlobby war sehr erfolgreich, das entsprechende deutsche Gesetz ähnelt einem Schweizer Käse: Schlupfloch an Schlupfloch. Antiken werden nur zurückgegeben, wenn sie in Listen des Herkunftslandes verzeichnet sind. Eine unmögliche Forderung, bedenkt man die Masse archäologischer Neufunde und die aktuelle Situation in den Kriegs- und Krisenländern.

Raubgrabungen völlig zu unterbinden und den illegalen Handel auszutrocknen erscheint da als Illusion. Vertreter Syriens und Iraks fordern hinsichtlich illegalen Kulturguttransfers: »Macht die Grenzen dicht!« Libanon arbeitet eng und erfolgreich mit Syrien zusammen, die Türkei lehnt hingegen jegliche Zusammenarbeit ab und weigert sich, konfiszierte Fundobjekte zurückzugeben. Vertreter von BKA und LKA wünschen sich eine bessere finanzielle Ausstattung und fordern mehr speziell ausgebildete Ermittler. Eine rund 300 Mann starke Spezialeinheit italienischen Carabinieri bekämpft vorbildlich Antikenraub und illegalen Handel. Der Sachbereich Kunst- und Kulturgutkriminalität des BKA ist mit nur drei Mitarbeitern kläglich besetzt. Kulturgüterschutz ist nicht aus der Portokasse zu bezahlen.

Kulturstaatsministerin Monika Grütters kündigte für Mitte 2015 eine Novellierung des nationalen Kulturgutschutzgesetzes an. Die Beweislastpflicht müsse umgekehrt werden, der Importeur bzw. der Händler habe die Herkunft der Antiken plausibel nachzuweisen. Es sei nicht einzusehen, warum die Herkunft eines Hühnereies in der Kaufhalle exakt dokumentiert wird, wertvolle und identitätsstiftende Kulturgüter hingegen nicht. Es bleibt zu hoffen, dass der neue Gesetzesentwurf unverwässert durch Bundestag und Bundesrat kommen wird.

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