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Die erfundene Verschwörung

Vor 70 Jahren: Der Moskauer Schauprozess gegen Sinowjew und Kamenew - die »Trotzkisten«

  • Wladislaw Hedeler
  • Lesedauer: 5 Min.
Als Staatsanwalt Andrej Wyschinski am 7. August 1936 Stalin den Entwurf der Anklageschrift für den geplanten Schauprozeß vorlegte, waren die Kommunistische Partei und deren »Schild und Schwert« längst auf das bevorstehende Ereignis eingestimmt. Doch der Generalsekretär war nicht zufrieden. Er akzeptierte erst die dritte Fassung der Anklageschrift und setzte den Beginn der Verhandlungen über die »Strafsache des trotzkistisch-sinowjewistischen terroristischen Zentrums« für den 19. August an. Die in dieser Angelegenheit eingeleitete Untersuchung hatte am 5. Januar begonnen und schleppte sich dahin, bis die Untersuchungsführer im April 1936 den Parteiauftrag erhielten, Verbindungen von Oppositionellen zu Leo Trotzki aufzudecken. Die Führung verlangte, den Schlag zunächst gegen die Sinowjewisten zu richten. »Belastungsmaterial« gegen die Rechten war unerwünscht und wanderte in die Ablage. Nikolai Jeshow, der damals noch in der Kaderabteilung des ZK der KPdSU(B) tätig war, arbeitete an einem Szenario der großen Verschwörung, die in einer Reihe von Schauprozessen aufgedeckt werden sollte. Auch wenn der erste der insgesamt drei öffentlichen Prozesse nur als Generalprobe gedacht war, markiert er eine Zäsur in der Abrechnung Stalins mit seinen Opponenten. Außer dem ehemaligen Vorsitzenden der Komintern Grigori Sinowjew und Lenins Stellvertreter Lew Kamenew standen 14 Angeklagte vor Gericht. Zehn von ihnen waren bereits einmal als »Trotzkisten« aus der KPdSU(B) ausgeschlossen worden. Jeweils sieben hatten vor ihrer Verhaftung Funktionen im Wirtschaftsapparat inne oder waren als Publizisten bzw. Hochschullehrer tätig, sechs saßen bereits in Haft, fünf gehörten der KPD an. Ihre von Machtgier besessene Gruppe habe mit Hilfe von Trotzki den Staatsstreich vorbereitet und die Ermordung von Stalin und dessen nächsten Kampfgefährten geplant. Weil Lion Feuchtwanger die Anklage für von Grund auf unglaubwürdig hielt und meinte, die hysterischen Geständnisse der Angeklagten seien durch geheimnisvolle Mittel erpreßt, kam ihm die Verhandlung wie ein mit vollendeter, befremdlicher und grausiger Kunst inszeniertes Theaterstück vor. »Obwohl mich der Prozeß von der Schuld der Angeklagten überzeugt hat«, schrieb er, »sind westlichen Menschen die letzten Ursachen dessen, was die Angeklagten getan haben, vor allem die letzten Gründe ihres Verhaltens vor Gericht, nicht glaubhaft geworden.« Im Unterschied zu ihm ahnten jene Funktionäre, deren Namen in den einstudierten Aussagen der Angeklagten und damit auch in dem in der Partei seit Juni kursierenden internen Rundschreiben Erwähnung fanden, was ihnen bevorsteht und versuchten, den Konflikt mit der Parteiführung zu entschärfen. Vergeblich, denn kurz vor Beginn des 1936er Prozesses saßen die für den nächsten Schauprozess ausgewählten Angeklagten bereits in Haft. Als der Prozess von 1937 über die Bühne ging, konnte man bereits ahnen, wer 1938 an der Reihe war. In puncto Vorbereitung blieb so gut wie nichts dem Zufall überlassen, auch wenn es einige Pannen - wie ein angebliches Treffen der »Volksfeinde« in dem nicht mehr vorhandenen Hotel »Bristol« - gab. Der polnische Schriftsteller Aleksander Wat erzählt in seinen Erinnerungen »Jenseits von Wahrheit und Lüge«, dass die Ermittler des NKWD ihre Knüppel aus den Schreibtischladen holten, wenn sich Häftlinge auf ihre in der 1936 angenommenen »demokratischsten Verfassung der Welt« verbrieften Rechte beriefen. Der Knüppel sei die Verfassung, wurden sie handfest belehrt. Folter statt Agitation, lautete das ABC ihres Kommunismus, das sie den Untersuchungshäftlingen im wahrsten Sinne des Wortes einbläuten. Drei Schauprozesse und die Verurteilung der »Verschwörer in der Militärführung« genügten Stalin, um die Elite zu säubern, zu disziplinieren und auf seinen Kurs einzuschwören. Ein vierter, bereits vorbereiteter Prozeß war nicht mehr nötig und der »Große Terror« gegen die Bevölkerung konnte beginnen. Das NKWD organisierte eine Verhaftungswelle nach der anderen, von der vor allem Angehörige betroffen waren, deren Nationalität mit der der Nachbarländer der UdSSR identisch war. Offiziell ging es um die »Zerschlagung des Nährbodens für die 5. Kolonne«. Nach der Urteilssprechung wurden die vom Militärkollegium Verurteilten im Keller der Lubjanka erschossen. Im Schreibtisch des Volkskommissars für Innere Angelegenheiten Jeshow fand man nach seiner Verhaftung ein Päckchen, das in Papier eingewickelte Projektile enthielt. Auf den Briefumschlägen mit den plattgedrückten Kugeln standen die Namen von Sinowjew, Kamenew und Smirnow. Ihre Leichen wurden in das Krematorium auf dem Donskoe Friedhof am Stadtrand von Moskau verbracht. Der Direktor des Krematoriums quittierte den Empfang und übergab wenig später den zur Überwachung der Kremierung abgestellten Tschekisten Eimer mit Asche. Sie verstreuten diese auf dem Friedhofsgelände. Zum Gedenken an die Opfer der politischen Repressalien wurde am 16. August 1991 unweit des Krematoriums ein Gedenkstein aufgestellt. Die Inschrift auf dem Stein lautet: »Hier sind die sterblichen Überreste der zu Unrecht zu Tode gequälten und erschossenen Opfer der politischen Repressalien der Jahre 1930 bis 1942 beigesetzt. Zum ewigen Gedenken.« Auf dem kleinen Stein dahinter ist zu lesen, dass an dieser Stelle die nicht abgeforderten Urnen der Erde übergeben wurden. Es war Absicht und geplant, die als »Angehörige von Verrätern an der Heimat« zu Zwangsarbeit in den Gulags Verurteilten im Unklaren über das Schicksal ihrer Lieben zu lassen. »Wir werden jeden dieser Feinde vernichten, sei er auch ein alter Bolschewik, wir werden seine Sippe, seine Familie komplett vernichten«, hatte Stalin in einem Toast während der Feier aus Anlass des 20. Jahrestages der Oktoberrevolution betont. Jede Erinnerung an die »Unpersonen« sollte ausgelöscht, ihre Spur in der Geschichte getilgt werden. Die Denkzeichen auf den Moskauer Friedhöfen Donskoe, Butowo, Kommunarka und Wagankowskoe beweisen, dass dieser Versuch gescheitert ist.

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