Iphigenie im Käfig

Uwe Schmieder inszeniert im Orphtheater Stück nach Rainer Werner Fassbinder

  • Matthias Busse
  • Lesedauer: ca. 2.0 Min.
Iphigenie sitzt im Käfig. Als Gefangene scheint sie sich aber auf der Insel Tauris ganz wohl zu fühlen. Wie eine Hippie-Braut im weißen Schlumperkleid und mit langen, rot gefärbten Haaren schüttelt sie sich zu den Klängen britischer Gitarren-Rockmusik. Sie bringt den Käfig zum Schwanken und die Männer auf Abstand. Der Käfig ist ihr Schutz, und sie wird ihn auch am Ende nicht verlassen. Anders als in Goethes »Iphigenie auf Tauris« ist Thoas nicht der edle Herrscher, der um Iphigenie wirbt, sondern ein zu Gewalt neigender Spanner. Rainer Werner Fassbinder hatte 1968 den seit der Antike bekannten Stoff für das Theater neu bearbeitet. Es ging ihm nicht darum, den Großmut der Herrscher darzustellen, sondern die Macht als Perversion - ganz gleich, ob in Staaten oder zwischen Mann und Frau. Der Regisseur Uwe Schneider, der Mitbegründer des Orphtheaters ist, fügt dem gleich zu Anfang eine Facette hinzu: Thoas versucht, mit Iphigenie mitzurocken, kommt aber beim Luftgitarren-Spiel schnell aus der Puste. Seine Schwäche schlägt in Aggressivität um. Weil ihm diese Frau zu stark ist, bleibt er mit dem Fernglas auf Distanz und tobt als Herrscher. Freilich ist er kein Staatsmann, sondern eher ein Rotlicht-König. Matthias Horn als glatzköpfiger Lude mit blauem Anzug auf nackter Haut verkörpert überzeugend diesen Part, während Nicole Janze das lockende, unerreichbare Weib gibt. Thoas will Iphigenie zur Lustsklavin machen, scheitert jedoch: Sie unterwirft sich ihm nicht, und er kann mit der ihm überlegenen Frau keine gleichberechtigte Beziehung eingehen. Iphigenie erreicht bei Thoas keinen Sinneswandel, sondern steigert nur dessen Wut. Hier erkennt der Zuschauer nichts von Goethes Glauben an die Wandlungsfähigkeit des Menschen, der aus Liebe verzichtet und Traditionen bricht. Iphigenies Bruder Orest geht mit seinem Freund Pylades eine schwule Beziehung ein. Das Pärchen steht bei Fassbinder für Recht und Freiheit, bedient sich aber untereinander der Macht zur Unterdrückung des jeweils anderen. Reiner Dunkel überzeugt in der Rolle des Orest als Ledertyp. Um dem Stück Aktualität zu geben, verliest Simon Gläser als Staatsmann Arkas ein Pamphlet von Hans Magnus Enzensberger, das den islamistischen Terror als Spiegel westlicher Handlungen entlarven möchte. Am Ende skandieren alle, dass Tauris überall ist: Vietnam, Brüssel, G8. Ist Tyrannei also nur »die Lust der Greise«, wie Iphigenie es formuliert hat? Oder hatte es sich Fassbinder in den 68ern etwas zu einfach gemacht, vor dem Hintergrund der »sexuellen Revolu...

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