Die Welt kannst du nicht verändern

Wenn Leute aus fernen Galaxien »Tatort« schauten, um zu wissen, wie es um Österreich bestellt ist dieser Tage, dann wäre die Antwort: nicht gut. Matthias Dell über die Wiener Folge »Deckname Kidon«

  • Matthias Dell
  • Lesedauer: 4 Min.

Was zum letzten »Tatort«, dem vom Neujahrstag nachzutragen ist: die beiden MDR-Mikrofone. Wenn das so weiter geht, kann man eines Tages einen Sonderforschungsbereich in einem Exzellenzcluster aufsetzen - »Formen der Selbstrepräsentation des öffentlich-rechtlichen Fernsehens« oder so -, weil aus allem, was »Medien« darstellen soll im »Tatort« und so auch in Weimar zwei einsame Mikrofone ragten, auf denen »MDR« stand.

Kalkuliertes Marketing, das sich vor Wirklichkeitsabbildung (in Weimar: Landeswelle Thüringen, Antenne Thüringen, oder wenigstens: das ZDF, Deutschlandradio) vermutlich durch potenzielle Schleichwerbungsvorwürfe drückt und sich stattdessen »fiktive« Medien bastelt, die aber heißen wie der real existierende Sender, der den Film produziert hat. Die Perfidie des Selbstmarketings zeigt sich an dem veränderten MDR-Logo und dem leicht helleren Rot des einen Mikrofons: Wenn das öffentlich-rechtliche Fernsehen Vielfalt suggerieren will, erfindet es sich selbst noch mal in anderer Typo.

»Medien« kommen in der Wiener Folge »Deckname Kidon« (ORF-Redaktion: Alexander Vedernjak) nicht vor. Obwohl der Aufriss, den der Mord macht (herrliche Auffindesituation: die Leiche fällt auf einen Taxi-Mercedes von 1977, worauf am Ende noch einmal zurückgekommen wird), eigentlich pausenlose Berichterstattung motivieren müsste, Bedrängung der Polizeiarbeit durch den Boulevard, der sich an dem toten iranischen Rüstungsdealer auf dem Parkring delektieren würde; zumal der Waffenhandel schon einige Tote produziert hat.

Dieses Außen der Ermittlung zu zeigen, die der Zuschauerin als ständiges Kammerspiel vorgeführt wird (der erste ORF-Inspektor, Fritz Eckhardts Marek, ermittelte ja bis in die achtziger Jahre in den Studiokulissen, in denen das Fernsehen als Theater einmal angefangen hatte), wäre ein zu großer Aufwand für einen »Tatort«. Das Globalspionagestück (»Bibi und Moritz Bond«) muss sich also in unerschütterbarer Fernsehfilmgemütlichkeit ereignen (am Ende gibt es immerhin noch beinahe klassische Kino-Action: Das Auto jagt den Zug).

Darin ist Wien, wie so häufig, gut (Buch: Max Gruber, Regie: Thomas Roth). Der Eisner-Brummbär (Harald Krassnitzer) und die Bibi (Adele Neuhauser) dürfen reden; sie können es aber auch. Die an sich banale Szene, in der der korrupte, vom Waffenhändler-Salonlöwen »Dscholli« Trachtenfels-Lissé (der große Udo Samel) mal eben auf die Landstraße befohlene Verkehrspolizist, den Eisner kontrolliert wie einen Schulbuben, der in Schlangenlinien gefahren ist, gibt ein gutes Beispiel vom Gelingen: Sie soll nicht nur kurz etwas andeuten, markieren (die Macht vom »Dscholli«, Korruption), sondern sie ist Erzählung, aus deren relativ lang durchgehaltener Absurdität der Eisner nur ins Lachen flüchten kann.

Wenn Leute aus fernen Galaxien »Tatort« schauten, um zu wissen, wie es um Österreich bestellt ist dieser Tage, dann wäre die Antwort: nicht gut. »Deckname Kidon« ist - gerade nach der letzten Folge »Abgründe«, von der die Rekonvaleszenz der darin verwundeten Eisner-Tochter (Tanja Raunig) zeugt - der zweite Fall in Folge, in dem die sozialdemokratische Verwaltung der Demokratie, wie sie der Eisner und die Bibi als Ermittler vorstellen, gegen die oligarchöse Korruptheit der Macht kaum anstinken kann. Das vorgesetzte Ernstl (wenn einmal die Geschichte des »heute journal« verfilmt werden müsste, die Idealbesetzung für Claus Kleber: Hubert Kramar) gibt sich dabei diesmal eher verständnisvoll, während der Dscholli am Ende ungeniert seine Überlegenheit ausspricht: »Sie können nicht gewinnen.«

Und so bleibt die einzige Form des Ausgleichs, mit der der »Tatort« diese eklatante Gerechtigkeitslücke schließen kann, die Tötung des Dscholli im Stile des Buback-Mordes von 1977, wobei die beiden Mossad-Agenten ihre Täterschaft durchs Hochklappen des Motorradhelmvisiers vor dem Eisner und der Bibi umgehend gestehen. Dass das Teil der Auflösung ist und die Ermittler keine Regung zeigen, noch irgendetwas verfolgen, ermitteln oder aufhalten zu wollen, spricht Bände: Der Hybris von mächtigen Figuren kommt man nur durch den Tod bei.

Analoge Machtdemonstrationen im 21. Jahrundert:
»Spul mir das noch mal zurück.«

Nützliches Wissen, mit dem man sich in der Kantine hervortun kann:
»Der Iran hat eine sehr große Energiewirtschaft und die zweitgrößten Erdölreserven des Nahen Ostens.«

Etwas für den Grabstein:
»Hervorragender Mann, beeindruckend.«

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