Ich bin gegen halb elf in die Synagoge

Sandkastenlogik im Fantasialand des Rechtsextremismus: Was hier betrieben wird, ist Gegenaufklärung. Matthias Dell über den Dortmunder »Tatort: Hydra«

  • Matthias Dell
  • Lesedauer: 4 Min.

Im letzten Bild des Dortmunder »Tatort: Hydra« wird eine dieser Stahlkugeln, die vorher schon mal dem Anti-Nazi-Verein und Kommissarin Nora Dalay (Aylin Tezel) um die Ohren geflogen sind, durch eine Fensterscheibe vom Anti-Nazi-Verein geschossen. Dann wird das »Tatort«-Fadenkreuz-Logo auf das Einschussloch geblendet und der Abspann setzt ein.

Eigentlich ist »Tatort« ja zur Problemlösung da – mit der Überführung des Täters wird die gesellschaftliche Ordnung am Sonntagabend wiederhergestellt. Ein Epilog wie in »Hydra« (WDR-Redaktion: Frank Tönsmann) ist deshalb Schritt vom Wege, er macht auf dicke Hose, weil nach der Beruhigung noch mal Beunruhigung ausgegeben wird. Mit dem Schuss im Epilog soll nämlich gesagt werden: Es hört nicht auf, es macht weiter. Und »es« ist hier der Neonazismus, dem sich im deutschen Film, obwohl gegenwärtig, seltener gewidmet wird als dem Nazismus vor mehr als 70 Jahren. Dann: Abspann mit Musik.

Die Überblendung mag unscheinbar sein, aber in ihr steckt das ganze Elend dieser »Tatort«-Folge. Nämlich: die völlige Unfähigkeit, sich zu einem sensiblen und eben auch seltenen Thema plausibel verhalten zu können. (Dass es Unwille ist, wollen wir uns nicht erst vorstellen). Wie lapidar da eben mal noch ein wenig Angst gemacht wird durch den finalen Schuss, der, abgegeben von einem diskursiv mit seinem Gegenstand völlig überforderten Film, wie eine Drohung wirkt. Denn die Drohung betrifft nicht das Wir vor den Bildschirmen, sondern die Antifa-Aktivisten. Und »Jüdinnen«, wie dieser »Tatort« sagen würde. Drehbuchautor Jürgen Werner, der legendär geworden ist durch den Theo-Zwanziger-»Tatort: Im Abseits« vor über drei Jahren, entwirft ein Fantasialand des Rechtsextremismus.

Fängt schon damit an – unwahrscheinliche Morde kriegt der deutsche Film häufiger, wenn's um dieses Thema geht –, dass der Oberneonazi erschossen worden ist, wo man, in Zusammenhang mit Neonazis, doch meist von anderen Opfern liest. Und wird vor allem deshalb übel, weil der Themenfleischer Jürgen Werner dann einfach alles durch die Faschiermaschine der üblichen Verdächtigenverwurstung dreht. Heißt: »die Jüdin« Jedida Steinmann (schön blass, so unsympathisch haben wir sie gern: Valerie Koch) fährt mit auf dem Karussell der Suspekten und wird vom ermittelnden Junior-Chef Kossik (so blöd war die Figur bislang doch nicht: Stefan Konarske) ordentlich angeschoben.

Der Hinweis auf die Schüsse, die nicht als Bedrohung, sondern als Vandalismus firmieren, wird vom Polizisten gekontert mit dem Hinweis, die Stadt habe die Beratungsstelle doch eingerichtet, könne also gar nicht »auf dem rechten Auge blind« sein. Das ist die Sandkastenlogik des Werner-Drehbuchs, das sein Weltbild aus den schlichten medialen Berichten zimmert – man merkt das immerhin noch gut, weil lauter so Phrasen dranhängen (»in die rechte Ecke stellen«, »Hexenjagd«), die in schlechten Leitartikeln vorkommen, aber nicht im richtigen Reden.

Alle Meinungen müssen angeblich vorkommen, wobei der »Tatort« doch nie die Traute hätte, da wirklich einen antisemitischen Kommissar – kann's ja geben – zur Disposition zu stellen, statt das Wir hinter lauter unscharfen Ausflüchten zu versammeln. Gespiegelt wird der Quatsch, der sich als Pseudo-Objektivität tarnt, in der anderen Ermittlerkombi aus Homo Faber (Jörg Hartmann)und Nora Dalay.

Die wird mit ihrem türkischen Migrationshintergrund bei Nazis lächerlich gemacht (so wie der Staatsanwalt Geheimnisse vor Verhörten diskutiert und Kossiken weiter ermittelt, auch wenn sein von Robert Stadlober gespielter Nazi-Bruder verwickelt ist und die eigene Ex-Schwägerin mit verdrischt, tss) – was Angefasstsein und Opfergefühl bedeuten, bestimmt am Ende aber nur der herkunftsdeutsche Psycho-Papa-Kasper-Kommissar.

Was dieser »Tatort« betreibt, ist Gegenaufklärung. Das Bild, das vom Neonazismus gezeichnet wird, ist ungefähr so präzise, als würde man behaupten, »DDR« ließe sich am besten in einem Melodram erzählen, in dem sich ein Stasi-Offizier in das Objekt seiner Beobachtung verliebt und darüber seinen Klassenstandpunkt verliert.

Ein Satz, der aus Kollegen Freunde macht:
»Versetzungsanträge liegen bei der Verwaltung.«

Etwas für den Grabstein:
»Ich war damals in der rechten Szene.«

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