Ein Boom mit Kehrseiten

Das einstige Bürgerkriegsland Mosambik verzeichnet hohe Wachstumsraten, die nicht allen zugutekommen

  • Christine Wiid
  • Lesedauer: 6 Min.
In Mosambik trägt die INKOTA-Partnerorganisation KULIMA dazu bei, den gesellschaftlichen Graben nicht noch tiefer werden zu lassen.

In Mosambik sind vielerorts die Widersprüche groß: zwischen Stadt und Land, zwischen denen, die Geld haben und denen, die kaum genug zum Überleben besitzen. Das gilt auch für die Provinz Cabo Delgaldo ganz im Nordosten des Landes. Bei einem Projektbesuch der INKOTA-Partnerorganisation KULIMA in Pemba und Ancuabe lässt sich das gut beobachten.

Gleich bei der Ankunft aus Maputo in Pemba werden einige Veränderungen sichtbar: Der Flughafen wurde modernisiert, und wenn es in früheren Jahren vor allem wohlhabende Mosambikaner, Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen (NRO) und Touristen waren, die per Flugzeug von Maputo nach Pemba reisten, so sind es heute in erster Linie Geschäftsleute und Angestellte der großen Gasfirmen, die im Zuge der Gasfunde vor der Küste nach Pemba reisen.

Jorge Souza, der Geschäftsführer von KULIMA in Cabo Delgado, wartet in der klimatisierten Ankunftshalle. Der 56-Jährige arbeitet seit 2007 für die mosambikanische Nichtregierungsorganisation und hat die Zweigstelle in der nördlichen Provinz mit aufgebaut. Zuvor hat er für eine andere Nichtregierungsorganisation in Cabo Delgado gearbeitet und sich auch dort für die Landbevölkerung engagiert. Denn die Ernährungssituation in der Provinz ist immer noch eine der schlechtesten landesweit, mehr als die Hälfte der Bevölkerung gilt als unterernährt.

Jorge Souza stammt aus Pemba und hat die Entwicklung der Region in den vergangenen Jahren aufmerksam verfolgt. »In der Stadt Pemba hat sich viel verändert, aber die Situation der Menschen auf dem Land hat sich kaum verbessert«, sagt er mit Blick auf den Gasboom, der die Provinzhauptstadt erfasst hat. »Bis vor Kurzem war Pemba noch ein eher verschlafener Ort. Nun kommen viele Geschäftsleute, und für alle anderen ist es hier zu teuer geworden.« So sind Hotels auf Wochen von Geschäftsreisenden ausgebucht, und die Preise sind explodiert. Der Flughafen wurde erweitert, und auch der Straßenverkehr hat zugenommen. Überall wird gebaut - allerdings hat die bestehende Infrastruktur sich noch nicht an diesen Wandel angepasst: Das Stromnetz ist überlastet, und die Straßen sind nach wie vor schlecht.

Die große Mehrzahl der Bevölkerung sieht sich steigender Preise gegenüber - auch für Nahrungsmittel. Und in den Distrikten im Inland, die nicht von den Gasfunden betroffen sind, ist vom Boom kaum etwas zu spüren. So auch in Ancuabe. Der Hauptort des Distrikts ist nur knapp zwei Stunden Fahrtzeit von Pemba entfernt, wenn man mit dem eigenen Auto unterwegs ist. Die große Mehrheit der Bevölkerung ist jedoch auf den öffentlichen Transport angewiesen, für den Personenverkehr und auch den Warenverkehr. Minibusse oder offene Pick-ups bedienen die Strecke zwischen Pemba und Ancuabe. Auf diese Weise dauert die Reise zwischen vier und sechs Stunden.

Die Fahrt geht früh am Morgen los, und längst nicht jeder Mitfahrer bekommt einen Sitzplatz. Wer mittags die letzte Rückfahrt verpasst, muss bis zum nächsten Morgen warten. In Ancuabe endet die geteerte Straße, und eine breite Lehmstraße führt durch den Hauptort. An dieser Straße liegen die Büros der Distriktverwaltung, die wenigen Geschäfte und der Markt. Und von der Hauptstraße führen kleine, unbefestigte Straßen, eigentlich eher Pisten, in die am Projekt beteiligten Dörfer. Bei Regenzeit sind diese Straßen mit dem Auto oft nicht befahrbar. Daher verfügen die landwirtschaftlichen Berater von KULIMA, die in den Dörfern arbeiten, über geländegängige Motorräder, mit denen sie Hindernisse und Wassergräben umfahren können.

Wir sind zum Ende der Regenzeit in Ancuabe, der Weg in die Dörfer ist deshalb frei. Zuerst fahren wir nach Naputa. Die Frauen aus dem Dorf erwarten uns schon - mit einem Lied zur Begrüßung, das die Arbeit von KULIMA lobt. Jorge Souza und der Projektkoordinator Frederico José übersetzten das Lied für mich - die Frauen singen auf Makua, der Lokalsprache in Cabo Delgado. Dann aber gibt es eine kleine Überraschung: »Guten Tag, wie geht es Ihnen?«, begrüßt mich ein Mann aus dem Dorf. Das ist Sr. Américo, »O Alemão«, der Deutsche.

Sr. Américo lebt mit seiner Familie hauptsächlich von den Erträgen seiner Getreide- und Gemüsefelder. Dabei sah sein Alltag einst ganz anders aus: Américo ist einer der »Madgermanes«. Die Madgermanes sind Rückkehrer aus der ehemaligen DDR, die als Schüler, Studenten oder Vertragsarbeiter in der DDR gelebt und gearbeitet haben. Zwischen 1979 und 1990 schickte die damals sozialistische Regierung Mosambiks rund 20 000 Mosambikaner und Mosambikanerinnen in das Partnerland. Das Abkommen zwischen den zwei Staaten sah wie folgt aus: Der DDR fehlten Arbeitskräfte, und Mosambik brauchte nach der Unabhängigkeit von Portugal ausgebildete Fachkräfte und musste zudem Staatsschulden abbauen. Den Gastarbeitern wurden nur 40 Prozent ihres Lohnes ausgezahlt, die restlichen 60 Prozent gingen an den mosambikanischen Staat. Dieses Geld sollte den Arbeitern nach ihrer Rückkehr nach Mosambik ausgezahlt werden. Allerdings gibt es bis heute Streit um die Rückzahlungen, die nur teilweise und nicht an alle ehemaligen Vertragsarbeiter ausgezahlt wurden. Und so demonstrieren die »Madgermanes« in der Hauptstadt Maputo seit den 1990er Jahren regelmäßig für die Auszahlung ihrer Lohnanteile, die der mosambikanische Staat einbehalten hat.

Américo ist von all dem weit weg - doch sein Deutsch ist immer noch recht gut. Er erzählt, wie er in den 1980er Jahren nach Deutschland kam und in Chemnitz arbeitete und lebte. Heute ist er Ende 40, und schon seit vielen Jahren ist er zurück in dem Dorf Naputa, in dem er geboren wurde. Auch seine Kinder und Enkel leben hier. Er baut mit ihnen Erdnüsse, Bohnen und Gemüse an. Das Gemüsefeld hat mit Zito Amade Aquica einer der landwirtschaftlichen Berater von KULIMA mit ihnen angelegt. Auch eine Wasserpumpe wurde angeschafft, um bei längerer Trockenheit Wasser vom Fluss auf die Felder zu leiten. Im vergangenen Jahr war die Gemüseernte gut - Américo und seine Familie haben einen Teil verkauft und dafür vier Ziegen angeschafft.

Neben Américo steht Dona Nercia, die ebenfalls regelmäßig auf den Gemüsefeldern mitarbeitet. Sie zeigt uns das Kochgeschirr, das die Dorfbewohner gemeinsam mit KULIMA angeschafft haben: Verschiedene, riesige Töpfe, in denen die Frauen Essen für die Gemeinde kochen können. Auch das ist Teil des Projekts mit KULIMA: Die Organisation will dazu beitragen, dass sich die Ernährungssituation in den Dörfern verbessert und abwechslungsreicher wird. Neben Tomaten, Zwiebeln und Salat bauen die Dorfbewohner auch Rote Bete, Auberginen und andere Gemüsesorten an, die sie vorher kaum konsumiert haben. »Wir hatten auch mit Vorurteilen zu kämpfen«, erzählt Zito Amade Aquica. »Deshalb bauen wir die neuen Sorten erst einmal auf den gemeinschaftlichen Testfeldern an und kochen dann gemeinsam.« Nach wie vor schwierig ist die Frage nach dem Absatzmarkt, weil der Transport der verderblichen Gemüseernte zu den Märkten umständlich ist. Hinzu kommt, dass die Gemüsefelder nicht direkt im Dorf liegen, sondern noch einmal eine knappe Stunde Fußmarsch vom Dorfkern entfernt sind. KULIMA versucht daher, Verträge mit lokalen Abnehmern auszuhandeln, zum Beispiel mit der örtlichen Krankenstation oder mit Zwischenhändlern.

Zum Abschied zeigt Dona Nercia noch den Getreidespeicher, der im letzten Jahr gebaut wurde: Zumindest Mais und Bohnen können die Bewohner Naputas jetzt sicher und trocken lagern, bis sie beides selbst verbrauchen oder verkaufen.

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