Raffiniert, schau, schau

Matthias Dell über Rausch und Verheerung, die Differenz zwischen Kino und Fernsehen - und das alles im »Tatort: Borowski und der Himmel über Kiel«

  • Matthias Dell
  • Lesedauer: 4 Min.

Christian Schwochow hat mit »Borowski und der Himmel über Kiel« seinen ersten »Tatort« (NDR-Redaktion: Sabine Holtgreve) gedreht. Wer steil denkt, könnte sagen, der Kinomann ist ins Fernsehen hinabstiegen. Allerdings ist das deutsche Filmproduktionssystem ziemlich eben wie schon Schwochows Filmografie zeigt - da wechselt sich Kino (»Novemberkind«, »Westen«) mit Fernsehen (»Der Turm«, »Bornholmer Straße«) ab, und nach den Unterschieden über die Auswertungszyklen hinaus (erst Kino, dann Fernsehen vs. gleich Fernsehen) müsste man sowieso sehr genau suchen.

Landläufig meint die Differenz zwischen Kino und Fernsehen die um eine gewisse Größe und Wucht, und so gesehen hat Schwochow ein wenig Kino mitgebracht: Wie etwa Plauderbauer Dreewes (David Bredin) von den Dorfkollegen vermöbelt wird im Stall als Schattenriss im Gegenlicht mit kräftiger Mucke (Daniel Sus), nachdem er Boro (Axel Milberg) und »Sarahbrandt« (Sibel Kekilli) doch etwas erzählt hatte - das ist, um ein Bild aus dem Reich der Musik zu wählen, der Gang zur Orgel und nicht Gefrickel an der Gitarre.

Die Pointe von Schwochows erster ARD-Sonntagabendkrimi-Regie kann schon jetzt verraten werden: Deutsches Kino ist, wenn’s ein guter Fernsehfilm wird.

Das ist »Borowski und der Himmel über Kiel« zweifellos, ein »Tatort« in dem vieles stimmt. So fallen etwa die Schauspieler positiv auf, dabei sind jugendliche Drogenabhängige häufig so lausig inszeniert wie Fußballfans (zuletzt in der Dortmunder Folge »Hydra« - nämlich als Vogelscheuchen einer bestimmten Folklore. Hier aber ist Rausch und Verheerung der jungen Crystal Meth-User Rita (Elisa Schott), Lisa (Anke Retzlaff), Harald (Alexander Finkenwirth) und Mike (Joel Basman) präzise getroffen, ohne in angstlüsternen Wahn zu outrieren - Lisa sagt schön überfordert-daneben »Jaaaha« auf eine Frage von Sarah Brandt, Rita knutscht gegen das Autofenster; solche Sachen.

Eine andere Qualität der Folge ist das Buch vom alten Dominik-Graf-Spezi Rolf Basedow. Darin finden sich so hübsche Kategorien wie »Ermittlungscharme«, und psychologische Erklärungen für die Empfänglichkeit der Schleswig-Holsteiner Landwirtszene für Crystal Meth genügen sich in Lakonik: »Nur ackern, im Internet Porno und jetzt auf einmal diese Drogen.«

Der Film will weniger problematisieren, eher zeigen, wie Rausch abgeht und wozu Ernüchterung dann führt. Beleuchtungswechsel (Licht: Stefan Giesel, Jonas Neitzel) und Farbdramaturgie (Kamera: Frank Lamm, Szenenbild: Isolde Rüter), das Gegeneinander von warmgelbem Glücklichsein in bunter Disco und der grauen Dunkelheit des Katers, kommen schon am pädagogischsten daher; kaum Eltern, die Entsetzen und Hilflosigkeit ausagieren könnten.

Die Polizeiarbeit wird durchaus mit einem Bewusstsein für Plausibilität geschildert - sieht man einmal davon ab, dass Einsatzideen im Beisein von Leuten (Rita) diskutiert werden, zu denen lediglich eine gewisse Grundsympathie besteht, deren Verwicklung in den Fall aber noch unklar ist. Aber dass Sarah Brandt auf die letztlich falsche Entscheidung drängt, die Drogendealer (Matthias Weidenhöfer wieder einmal als ein Furkan) direkt vom Club (»Shelter«) weg zu »obsen«, und so was vorher und danach ausdiskutiert wird, gefällt.

Am meisten stört dagegen, dass eine Ermittlung im Problembereich ohne Betroffenheit der Ermittelnden offenbar nicht zu haben ist. Boro kriegt Fall, also zwischendurch Vaterverwahrlosungsgefühle. So dämlich, die Boro-Tochter Carla als selbst an Drogen verloren zu beschreiben, ist »Borowski und der Himmel über Kiel« dann zwar nicht. Aber es bleibt doch rätselhaft, warum das mit der Identifikation für die Eltern unter den Zuschauern noch besser klappen soll, nur weil mal eben Boros vergessene Tochter ins Bewusstsein gerufen wird durch den Verdacht, sie könne über den ganzen Nicht-Kontakt gerade auch krass drauf sein auf irgendwas.

Anders gesagt: Wieso machen die Kommissare nicht einfach ihre Arbeit und überlassen die Moral der Geschichte?

Ein Satz, den man in Dresden nie äußern würde:
»Ihr wart schon immer Barbaren.«

Wissenswertes, das Gesprächspause am Mittag in der Kantine füllt:
»Zeugen leben immer mit einem gewissen Risiko.«

Sagt das Mädchen zum Matrosen:
»Wie machen Sie in der Balz?«

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