Für mehrere Hand voll Euro

Ennio Morricone in Berlin

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.

Mindestens drei Generationen dürften es mittlerweile sein, denen sich die Melodien für immer in die Gehörgänge gefräst haben: »Spiel mir das Lied vom Tod«, »Es war einmal in Amerika«, »Für eine Hand voll Dollar«.

Der populärste Filmmusikkomponist aller Zeiten, Ennio Morricone, 86 Jahre alt, wirkte am Dienstag, als er in Berlin das tschechische Symphonieorchester dirigierte, recht agil. Unermüdlich schwenkte er, halb auf einem Stühlchen sitzend, halb sich daran anlehnend, den Taktstock zu seinen eigenen Kompositionen.

Am Ende der ersten Konzerthälfte holte der Dirigent eine Dame in feuerroter Abendrobe nach vorne neben sein Pult, die mit einer prachtvollen Stimme, mit der sie jederzeit Gläser zersingen kann, die Wimmerarien zu den berühmtesten Italo-Western-Stücken des Maestros darbot.

Morricones Film- und Fernsehmusiken, vom honigsüßen »Chi Mai« (aus dem Belmondo-Film »Der Profi«) bis zur wuchtig donnernden und polternden Extrempathoshymne »Ecstasy of Gold« (aus »Zwei glorreiche Halunken«) sind wunderbare Kunstwerke, in denen Ricky-King-Gitarre, Wohlfühlklassik, Marschmusik, Easy Listening, Pop, Folk, wagnerscher Fanfarendonner, Kirchenchorgesang und Schmalz zu einer kompakten Einheit, zu im besten Sinn moderner volkstümlicher Musik verschmolzen werden. Eine Art klassische Musik für den kleinen Mann von nebenan. Und das Beste an ihr ist: Sie hört sich – ob nun auf Schallplatte oder live eingespielt – immer gleich an, so wie eben ein Big Mac in Frankfurt genauso schmeckt wie einer in Florenz. Doch wenn man Morricones Klassiker, wie an diesem Abend, zwei Stunden am Stück hört, fühlt es sich ein wenig so an, als habe man in zu kurzer Zeit ein Pfund Zuckerwatte gegessen oder läge zu lange in einem sehr warmen Bad, bei dem man von üppigen Mengen von Schaum umgeben ist, die über den Wannenrand fließen. Wenn man auch zuvor das angenehme, wohlige Gefühl des Eingelulltwerdens lange genossen hat. Der Ort des Konzerts hätte nicht passender sein können: die berüchtigte Mehrzweckhalle am Ostbahnhof, die das Flair eines ungelüfteten Parkhauses verströmt. Da passen viele Leute rein. Und tatsächlich ist viel Volk da: 7500 Leute, vom Smoking tragenden Jungschnösel über die rotwangige Hausfrau aus Tempelhof bis zum Frührentner in eierschalenfarbener Polyesterwindjacke. Der neben mir sitzende junge Mann beklagt sich über den »hässlichen, kalten Konsumtempel«, in dem dieses Konzert stattfinde, das doch eigentlich in die Philharmonie gehöre, wie er sagt. »Die Philharmonie fasst keine 10 000 Menschen«, merke ich an. Schließlich will mit dem seit Jahren umherreisenden Best-of-Morricone-Zirkus ordentlich Geld verdient werden.

Unmittelbar links und rechts neben dem Orchester ist jeweils eine Großbildleinwand angebracht, wodurch sichergestellt ist, dass auch die auf den billigen Plätzen (62 Euro), d.h. sehr weit oben und von der Bühne Lichtjahre entfernt Sitzenden mitkriegen, dass da vorne, einen halben Kilometer Luftlinie entfernt von ihnen, ein Konzert stattfindet. Über die gesamte Halle zieht sich obendrein ein nervös blinkender Leuchtreklamestreifen, der auch schwer nervt. Aber egal.

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