Das bohrende Nichts

Der russische Beitrag von Alexey German jr.

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Unterbewusstsein der US-Oberschichten war bereits Berlinale-Thema. Terrence Malick tauchte mit »Knight of Cups« tief ein in den schönen Schein unter der Sonne Kaliforniens, der auf Dauer doch wieder nur depressiv macht, weil nirgendwo ein Schatten der Wahrheit auf die ewige Party des Lebens zu fallen scheint.

Nun das russische Pendant dazu in »Pod Elektricheskimi Oblakami« von Alexey German jr.. Auch dieser Film ist wie ein Bewusstseinsstrom - in der Schlechtwettervariante. Es kommt einem vor, als werde hier von Alfred Kubin »Die andere Seite« verfilmt, jenes Reich betreten, in dem nie die Sonne scheint, sondern ewige Dämmerung herrscht.

Wieder gibt es, wie so oft auf dieser Berlinale, keine klar strukturierte Handlung, keine Figuren, die in einer nachvollziehbaren Beziehung zueinander stehen, sondern nur Schlaglichter, kurze Szenen, die unter eher beliebigen Kapitelüberschriften stehen. Dies also ist dann eine weitere Wüste, der wir begegnen: der inneren. German jr. scheint ein ausgemachter Apokalyptiker zu sein, sein Film versetzt uns an den Rand der Apokalypse. Es ist, als würden hier Fellinis »Achteinhalb« und Tarkowskis »Stalker« in einem Computerspiel aufeinandertreffen und man weiß nicht, ob man der ausgestellt tristen Szenerie nun glauben soll oder nicht. Jedenfalls scheint dies die neurussische Form zu sein, einen Nihilismus zu zelebrieren, der nach dem Untergang der Sowjetunion auf dem Land lastet. Es gibt neue Reiche, aber diese sind eben neu, und ihrem Reichtum haftet etwas Obszönes an. Diesen inneren Zerfall beleuchtet German jr. - und kultiviert den Außenseiterblick des aus der Zeit Gefallenen. Dabei behilft er sich mit wenigen Scheinwerfern, die den allgegenwärtigen Nebel kaum je durchdringen werden.

Wie überladen mit einer Symbolik kann ein Film sein, ohne sich selbst verloren zu gehen? German jr., so scheint es, gefällt sich allzu sehr in der Pose des Weltuntergangspropheten inmitten allgegenwärtiger Orientierungslosigkeit. Aber bezeichnend für das heutige Russland scheint es doch zu sein, was wir hier sehen und hören.

Die Metapher des Architekten, der ein Haus nicht zu Ende baut, ist der Schlüssel. Ist der Architekt verrückt geworden, so wird im Film gefragt? Nein, er habe versucht sich zu verbrennen, aber die Streichhölzer seien feucht gewesen. Kein Wunder, bei dem Dauerregen!

Die penetrante Symbolik hat zweifellos etwas Nerviges, so jenes popkunstartige Pferd aus Metallstäben gefertigt, das auf Rädern an einem schmutzigen Strand entlang gezogen wird. Aber es ist hier das Gegenstück zu jenen Leninmonumenten, die heute bloß noch das Gestern repräsentieren. Was uns German jr. damit vermutlich sagen will: Die Ikonen von gestern liegen schlimmstenfalls auf dem Müllhaufen der Geschichte, bestenfalls stehen sie im Museum. Aber die Ikonen von heute sind bloße Ersatzstoffe für Geschichte, die nicht erzählen von unserem Leben.

Auch hier geht es wiederum um einen Übergang zwischen verschiedenen Zeiten. Germans Diagnose: Russland hat seine Vergangenheit zurückgelassen, aber ist in keiner Gegenwart angekommen. Es existiert immer noch zwischen den Zeiten. Ein unguter, ein seelenmordender Zustand.

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