Auf Bärenjagd

Das Preis-Orakel

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 3 Min.

Oliver Hirschbiegel wird für »Elser« keinen Bären erhalten. Der Film lief im merkwürdigen, hier schon thematisierten Konstrukt, das da heißt: »Im Wettbewerb außer Konkurrenz«. Das Biopic des Hitler-Attentäters hätte aber auch keine goldene Statuette verdient - obwohl es angesichts früherer Hirschbiegel-Nazi-Werke wie »Der Untergang« positiv überraschte (Rezension folgt). Einen weniger positiven Eindruck hinterließ die Pressekonferenz, während welcher Hirschbiegel seinen Film »als ersten Versuch, Elser zu rehabilitieren«, pries - und Klaus Maria Brandauers Film von 1989 dreist unterschlug.

Eine Episode zu Quentin Tarantinos »Reservoir Dogs« passt zu dem Dilemma, in dem sich die Jury um Darren Aronofsky nun vor der Preisvergabe befindet. Tarantino präsentierte »Reservoir Dogs« 1992 beim Sundance Festival, das mindestens ebenso politisch aufgeladen ist wie die Berlinale. Es war der beste Film. Er beeinflusste mit seiner ungewohnten Erzähl- und Dialogstruktur, mit den verschobenen Zeitebenen und dem Einsatz der Musik das junge Kino der 90er Jahre wie wenige andere Filme - kurz: Er hätte, wie in seltener Einigkeit festgestellt wurde, den Preis verdient gehabt - den aber gewann »In the Soup« von Alexandre Rockwell. Die Begründung, hinter vorgehaltener Hand: Tarantino »braucht« diesen Preis nicht, der wird seinen Weg auch so gehen. Es macht Spaß zu sehen, mit welchem zynischen Zorn sich der Übergangene noch heute über diese »politische« Entscheidung echauffieren kann. Rockwells schließlich ausgezeichnete Independent-Komödie ist völlig in der Versenkung verschwunden.

Diese Aspekte lassen sich auch auf die Berlinale übertragen: Auch hier wurden schon etliche Goldene Bären weniger aus künstlerischen als »karitativen« Motiven vergeben - was den betreffenden Filmen oft trotzdem nicht einmal einen Verleih bescherte: Sie verschwanden ebenso aus dem Gedächtnis wie der einstige Sundance-Sieger. Lohnt also das »Risiko«, politische statt künstlerische Kriterien anzulegen - das Risiko nämlich, die künstlerische Glaubwürdigkeit der Jury, ja des Festivals aufs Spiel zu setzen? Wenn es dann nicht einmal den Filmen nutzt?

In diesem Jahr gibt es den Film nicht, der eindeutig nach dem Hauptpreis verlangen würde. »Victoria« steht wie damals »Reservoir Dogs« für den jungen und wilden Aufbruch mit den mutigen formalen Neuerungen. »45 Years« repräsentiert das Gegenteil: im besten Sinne altmodisches, leises Erzählkino, mit einer hervorragenden Charlotte Rampling in der Hauptrolle. »Vergine Giurata« schließlich bringt viele Aspekte eines klassischen Berlinale-Gewinners mit: ein kleines Produktionsland, eine Gender-Thematik, der Verzicht auf ästhetischen Firlefanz und nicht zuletzt eine der befremdlich wenigen Regisseurinnen des Berlinale-Wettbewerbs. Vor allem aber: Es ist ein sehr berührender Film, was ihn zum Beispiel von »Feuerwerk am hellichten Tage« unterscheidet. Nie gehört? Das ist der Bärengewinner der letzten Berlinale.

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