Feliks Tych

Nachruf

  • Annelies Laschitza
  • Lesedauer: 2 Min.

Ich lernte Feliks Tych in den 1960er Jahren kennen. Als damaliger Direktor des Archivs der PVAP gewährte er mir in charmanter Zuvorkommenheit jedweden Quelleneinblick. Ich schätzte den polnischen Rosa-Luxemburg-Forscher als kenntnisreichen und kritischen Kollegen. Bereits 1962 hatte er mit Jadwiga Kaczanowska eine »Bibliografia pierwodruków Róża Luksemburg« veröffentlicht, die 1971 ergänzt wurde. Dieser bibliografische Grundstock ist und bleibt für die Luxemburg-Forschung unverzichtbar. Die erste dreibändige Ausgabe der über tausend Briefe von Rosa Luxemburg an Leo Jogiches, die 1968 erschien, war seine Meisterleistung. Sie legte das Fundament für alle weiteren Briefeditionen. Bedauerlich ist, dass er seine Jogiches-Biografie nicht mehr verwirklichen konnte. Feliks Tych verstarb am 16. Februar.

In über 50 Jahren begegneten wir uns gelegentlich zum Gedankenaustausch und auf internationalen Tagungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung in Linz. Besonders intensiv waren unsere Kontakte im Rahmen der seit 1980 unter der Präsidentschaft von Narihiko Ito wirkenden Internationalen Rosa-Luxemburg-Gesellschaft, die in Städten Europas, Asiens und Amerikas über 20 wissenschaftliche Tagungen veranstaltete. Feliks Tych war stets inspirierend dabei. Das Rosa-Luxemburg-Symposium 1996 in Warschau fand unter seiner Schirmherrschaft statt. Zwei Jahre zuvor tagten wir in Beijing und besuchten Nanjing und Shanghai. Feliks Tych schrieb mir anschließend: »Nach der China-Erfahrung - so oberflächlich wie sie auch war - betrachte ich die Weltprobleme aus einer ganz anderen Sicht. Nicht so ›egozentristisch‹ wie früher.«

Feliks Tych wurde am 31. Juli 1929 als neuntes Kind in einer polnisch-jüdischen Familie geboren. Seine Eltern und sieben Geschwister sind von den Faschisten im KZ Treblinka ermordet worden. Feliks Tych war 1995 bis 2006 Direktor des Jüdischen Historischen Instituts in Warschau. 1999 veröffentlichte er sein Buch »Der lange Schatten des Holocaust«, das leider noch nicht ins Deutsche übersetzt wurde. Im Interview mit Karlen Vesper am 27. Januar 2009 im »nd« bevorzugte er das Wort Annäherung statt Versöhnung fürs deutsch-polnische Verhältnis: »Das ist ein Prozess, in dem man sich gegenseitig ernst nimmt, respektiert und lernt, miteinander vernünftig umzugehen.« Im Jahr darauf hielt Feliks Tych im Bundestag die Rede zum Auschwitz-Tag. Fest in meiner Erinnerung bleibt nicht nur unsere letzte Umarmung am 30. Mai 2014 in Berlin.

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