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Stumpf und bang schleichen sie dahin ...

Spektakulärer Fund im Nachlass von Erik Regner - sein Tagebuch von 1945 offenbart deutsche Mentalität

  • Werner Abel
  • Lesedauer: 3 Min.

Es war ein seltsames Schreiben, das die Volkswirtschaftliche Abteilung der Friedrich Krupp AG am 29. Juni 1946 in hektographierter Form an die Betriebe des Konzerns verschickte, denn es bestand nur aus einer im Berliner »Tagesspiegel« nachgedruckten Buchbesprechung, die Alfons Goldschmidt für die »Weltbühne« vom 7. Juli 1931 geschrieben hatte. Der Autor des besprochenen Buches hieß Erik Reger; 1946 war er Herausgeber und Chefredakteur des »Tagesspiegel«. Mit dem Schreiben reagierte der Krupp-Konzern auf die Ankündigung des Aufbau-Verlags, das 1931 bei Rowohlt erschienene Buch »Die Union der festen Hand« neu aufzulegen. Mit diesem Buch hatte Reger, der eigentlich Hermann Danneberger hieß und Pressereferent sowie Bilanzkritiker bei Krupp war, die unselige Verquickung von Großindustrie, Militär und Staat an Hand eines Konzerns dargestellt, in dem unschwer die Krupp AG erkennbar war.

Der furios geschriebene Roman fand den ungeteilten Beifall der linken und demokratischen Öffentlichkeit und wurde mit dem Kleist-Preis honorierte. Der als »deutscher Upton Sinclair« gefeierte Autor zog sich damit freilich den Unmut der Rechten zu. Die Nazis verboten und verbrannten sein Buch 1933. Reger emigrierte in die Schweiz, kehrte aber 1936 (da seine Aufenthaltsgenehmigung nicht verlängert wurde) nach Deutschland zurück und wurde Lektor in dem aus Ullstein-Besitz arisierten Deutschen Verlag. Nein, er war kein Widerstandskämpfer, aber auch kein Parteigänger der Nazis.

Mit seinen späteren Büchern war er nicht wieder so erfolgreich wie mit »Union«. Das Buch erschien 1934 in der Sowjetunion, was er zunächst nicht wusste. Sein Verleger Ernst Rowohlt überraschte ihn eines Tages mit dem Band, den er über die Botschaft in Moskau besorgt hatte.

Mit Rowohlt zerstritt sich Reger später. 1943 zog er in ein Haus in Mahlow bei Berlin, das seinem neuen Verleger Eduard Kaiser gehörte. Am 23. April 1945 standen die ersten sowjetischen Soldaten vor seinem Haus, es sollte nicht ihr letzte Besuch sein. Von Plünderungen oder Übergriffen blieben Reger und seine Frau verschont. Die Sowjetoffiziere zeigten Sympathie, als er ihnen die russische Übersetzung seines Buches zeigte. Und schließlich bekam er gar einen Schutzbrief.

Reger regte sich nun über die gewendeten Nazis auf, die gestern noch vom »Wunder« faselten, mit dem der Krieg zu gewinnen wäre, und sich plötzlich an nichts mehr erinnerten. »Damals eine fieberhaft nach politischer Aktivität drängende Menge - heute wissen sie nicht einmal mehr, was Politik ist, geschweige, was sie denn damit sollen. Stumpf, verdrückt und bang schleichen sie dahin«, notierte er in seinem Tagebuch. Später schrieb er, und dieser Satz ist leider immer noch aktuell: »Solange wir die Fehler bei anderen suchen, solange lebt Hitler weiter.«

Von 1946 bis zu seinem Tod 1954 bestand zwischen Erik Reger und der Zeitung »Neues Deutschland« eine innige Feindschaft. Beide schenkten sich nichts. Am 9. Juni 1948 nannte das ND ihn einen »Vaterlandsverräter«. Mag sein, dass Reger einer der führenden Antikommunisten in Westberlin gewesen ist, aber das späte Auffinden dieses Tagebuchs in seinem Nachlass und dessen nunmehrige Veröffentlichung erzählt eine Menge über die deutsche Mentalität und ist ein bemerkenswerter Beitrag zum 70. Jahrestag des Sieges über Hitlerdeutschland. Seit 1999 übrigens verleiht Rheinland-Pfalz an wirtschaftskritische Journalisten den Erik-Reger-Preis.

Erik Reger: Zeit des Überlebens. Tagebuch April bis Juni 1945. TRANSIT Buchverlag, Berlin. 160 S., geb., 18,80 €.

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