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Hingabe an das Zärtliche

Philharmonie Berlin: Donald Runnicles dirigierte Messiaen, Debussy und Duruflé

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 3 Min.

Das erlebt die Szene nicht so oft. An drei Abenden bot sich dem Publikum ein rein französisches Programm dar. Zwei Berühmtheiten erklangen. Berühmtheit kann natürlich nicht erklingen. Aber sobald der Name des Berühmten fällt, glauben die blauen Augen, dass es sich um bessere Musik als die gewöhnliche handele. Derlei entpuppt sich gelegentlich als Irrglaube.

Im Falle Olivier Messiaens und Claude Debussys gehen selbst geschädigte Ohren indes sicher. Anders bei Maurice Duruflé, Organist und Komponist, der gleichfalls mit einem gewichtigen Werk zum Zuge kam, Kompositionskommilitone Messiaens, der hierzulande so unbekannt ist, weil er bloß 14 Stücke komponiert hat, zumeist Orgel und Vokalmusik. Er lebte von 1902 bis 1986 und hat, wie Messiaen, sage und schreibe an die 60 Jahre Orgeldienst in einer Pariser Kirche getan.

Maurice Duruflés «Requiem», glänzend aufgeführt, ist wahrlich eine Entdeckung und hintergründig-sanfte Ohrfeige wider die Unsitte der Vielschreiberei. Was den Abend allemal noch auszeichnete? Die Reize heiliger Musik der «Grande Nation» zu bringen, ist das eine, dass internationale Spitzenkönner sie in Berlin aufs Podest hoben, das andere. Alle Wiedergabe stand im Zeichen großer Hingabe an das symbolistisch Atmosphärische, Zärtliche, Koloristische, bewusst Verschwommene, das beste französische Kompositionstradition Jahrzehnte vor und nach 1900 markiert.

Darauf nun interpretatorische Blicke aus verschiedenen Himmelsrichtungen. Der Dirigent des Abends Donald Runnicles ist Schotte, vorzüglicher, die Musikbühne beflügelnder Chef des Orchesters der Deutschen Oper Berlin. Wie empfindsam und zugleich unerschrocken der Nordeuropäer Messiaens weitgehend tonalen «Hymnus» für großes Orchester ins Bild setzte, ist französischer kaum zu machen. Was sagt, dass die Berliner Philharmoniker die Tonlagen romanischen, südländischen Temperaments so sehr beherrschen wie die intonatorische Kultur der übrigen zentraleuropäischen Musiktradition.

Dem steht in nichts nach der Berliner Rundfunkchor, den der Brite Simon Halsey nun schon seit fast 15 Jahren leitet und diesem nachhaltige Impulse zu verleihen wusste. Tritt der Frauenchor in Debussys symbolistischer Kantate «La Damoiselle élue» auf, so irrlichtern die Stimmen monofon, monodisch, als klängen Sphären ferner Himmel. Auch das beanspruchte solistische Personal, mehr oder minder in der Ferne geprägt, kam der Wiedergabe der Franzosen zugute. Die Mezzo-Sopranistin Kelley O’Connor und der Bassbariton Noel Bouley sind US-Amerikaner und hatten nirgends Schwierigkeiten, noch die zärtlichsten, schwebenden, auch tragischen französischen Tonfälle wiederzugeben. Gleichfalls die Sopranistin Martina Weischenberg, sie studierte in Stuttgart und London und ist präsent auf den Bühnen der Welt. Die Drei hatten an dem Abend allerdings leider viel zu wenig zu tun.

Den monumentalen Abschluss bildete das neunteilige «Requiem» op. 5 von Maurice Duruflé, jenem großen Unbekannten. Hier ist das «Sanctus» (merkwürdiger Weise auf dem u betont) die bedeutende, bis zum Bersten aufgeladene Feier. Aufgipfelungen unerhörtester Art auch in «Libera me». Pie Jusu« drückt einen Tränen aus, so still singt der Sopran und seufzt an dessen Seite das Solocello. Im »Agnus dei« gruppiert sich der Frauenchor wie eine Schar einstimmig singender Instrumente.

Das Werk, uraufgeführt 1947 in Paris, obwohl nicht mit diesem Datum ausgewiesen, gemahnt sehr wohl an die seinerzeitige Katastrophe und beseelt in dem Schlussvers »In paradisum« den Klang singender Engelein über die Zonen äußerster Zartheit hinweh. Krone eines mit viel Beifall bedachten sehr schönen Abends.

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