Rauschi hin, Knacki her

Der »Tatort« ist der Sozialkundelehrer, der seinen Strickpullover gerne ausziehen würde. Matthias Dell über den Kieler Tatort »Borowski und die Kinder von Gaarden«

  • Matthias Dell
  • Lesedauer: 4 Min.

Der »Tatort« ist ohne Zweifel beliebt, aber ist der »Tatort« auch cool? Weckt er Begehren, taugt er zur Distinktion? Wohl eher nicht. Soll er auch gar nicht, werden die sagen, die sich hinter ihrer Ablehnung aller modischen Zumutungen der Gegenwart verbarrikadiert haben und froh sind über jede Referenz, die ihre Entscheidung bestätigt. Muss er auch nicht, werden die sagen, die dem Spiel mit den modischen Zumutungen der Gegenwart etwas abgewinnen können und trotzdem froh sind, davon am Sonntagabend Pause zu haben. Kann er auch nicht, werden schließlich die sagen, die auf hochgerechnete Einschaltquoten und potentielle Gesprächsstoffigkeit (die Fähigkeit, Kommunikation herzustellen) verweisen.

Große Frage nun: Will er auch gar nicht? Antwort: nicht so klar. Der »Tatort« ist der Sozialkundelehrer, der seinen Strickpullover gerne ausziehen würde. Das klappt in Kiel für gewöhnlich ganz gut. Nicht, dass Klaus »Boro« Borowski ein Held der Jugend wäre, aber Axel Milberg legt den Kommissar eigensinnig aus, das Lausbübische in Form von Sarahbrandt (Sibel Kekilli) tut ihm gut und die Geschichten bemühen sich zumeist um erzählerische Originalität.

Das ist in »Borowski und die Kinder von Gaarden« (NDR-Redaktion: Christian Granderath) anders, die Folge muss als einer der schwächsten Filme der jüngeren Kieler Zeit erscheinen. Dabei tarnt sie sich kühl durch einen Blaustich (Kamera: Gunnar Fuß) und putzt sich mit existentialistischen Duell-Parallelmontagen heraus (Borowski gegen die Kinder auf dem abgeschlossenen Bolzplatz, Sarah Brandt und Rauschi beim Wodka-oder-Wahrheit-Spiel), denen leider noch der Schweiß des Originalitätsdrucks von der Stirn tropft.

Überdies wartet der Film mit Besetzungsentscheidungen wie Tom Wlaschiha auf, den jüngere Fernsehzuschauerinnen - wie auch Sibel Kekilli - aus der Globalfantasymaschine »Game of Thrones« kennen. Inszeniert mit dicker Sonnenbrille, erinnert der an die homoerotische Übersteigerung des Männlichen, wie sie etwa die Village People (»YMCA«) performt haben. Wenn man Wlaschiha im »Tatort« als Lokalpolizisten Thorsten »Rauschi« Rausch sieht und am Ende nur im Unterhemd, weiß man wieder, dass Filme auch dazu da sind, um schöne Körper vorgeführt zu bekommen.

Sozialkundelehrer bleibt »Borowski und die Kinder von Gaarden« (Regie: Florian Gärtner, Buch: Eva und Volker A. Zahn), wo sich der Film in das titelgebende Kieler Quartier herunterbeugt, das anderswo »sozialer Brennpunkt« oder »Problemviertel« heißt. Und zwar auf eine widersprüchliche Weise. So ist der Blaustich der Bilder der Versuch, dem ästhetischen Non-Chic aus grauen Häusern und vermüllten Wohnungen Style abzugewinnen.

In dieser Welt finden sich keifende Nachbarinnen (die große Marion Breckwoldt), überforderte Mütter (Julia Brendler) und der irgendwie pädophile, ermordete Onno Steinhaus, bei dem die Jungs der Nachbarschaft abhängen, weil es Geld und Freiraum zum Zeitvertreib gibt. Päderastie bleibt der kaum ausgesprochene und nicht übermäßig dramatisierte Verdacht, der sich am Ende vor allem retrospektiv erschließt (in Bezug auf Rauschi als zeitweisen Stiefsohn).

Widersprüchlich ist das Sozialdramatöse der Geschichte nun, weil der Film sich dafür kaum interessiert. Der »Tatort« kommt hier zwar nicht als Law-and-Order-Sheriff vorbei, der die frechen Jugendlichen langmacht; selbst Borowskis Autoritätsverlust in der Hassan-Kevin-Bojan-Clique quittiert der Film mit Milde. Aber die Geschichte interessiert sich für die Menschen von Gaarden nur als Träger eines Elends, dass immer auch den Vorteil hat, es dem Zuschauer vor der Knipse schon mal besser gehen zu lassen.

Die hochgepimpten Macherbuden der amerikanischen Ökonomie (Banken, Berater, Filmproduzenten) leben vom Glauben an den elevator pitch, an die geniale Idee, die entscheidende Botschaft, die während einer Fahrstuhlfahrt mit dem Höherhierarchisierten geäußert, sozialen Aufstieg beschleunigt. In diesem Sinne kann man die Aussichtslosigkeitsklage (20 Bewerbungen geschrieben, 3 negative Antworten bekommen) des verdächtigen Jungen Timo Scholz (Bruno Alexander) auf einer Heimfahrt durch Boro verstehen: Er hat seine Chance gehabt, nun wieder, husch, zurück ins Körbchen.

Das ist das Widersprüchliche: »Borowski und die Kinder von Gaarden« ist gar kein Sozialkundelehrer, wenn man darunter das Sinnbild von Verständnisfülle versteht. Eher ein Elendstourist.

Eine Kompetenz, mit der man es weit bringen kann:
»Ich habe eine Kollegin, die alles findet, was im Netz herumschwirrt.«

Eine Praxis, die im Bankensektor Verbreitung finden könnte:
»Ich hab ihm Gefährdungsansprachen verpasst.«

Etwas für den Grabstein:
»Ich war scheiße drauf.«

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