Pflegegeld kann unterschiedlich lange gezahlt werden
Leserfragen zur Pflege
Ich habe gehört, dass das Pflegegeld unterschiedlich lange gezahlt und die Kurzzeitpflege aufgestockt werden kann. Können Sie dazu nähere Angaben machen?
Viola K., Berlin
Es gibt Situationen, in denen ein Pflegebedürftiger zeitweise nicht zu Hause versorgt werden kann. Beispielsweise dann, wenn zum Zeitpunkt der Entlassung aus der Klinik das Pflegebett noch nicht geliefert wurde oder wenn Umbaumaßnahmen in der Wohnung stattfinden. Für solche Fälle können die Betroffenen eine vollstationäre Kurzzeitpflege nutzen.
Die Pflegeversicherung zahlt dafür bis zu 1612 Euro für vier Wochen pro Jahr. Der Betrag und der Zeitraum können verdoppelt werden, wenn die Mittel aus der Verhinderungs- auf die Kurzzeitpflege übertragen werden. Diese Möglichkeit besteht seit diesem Jahr und gilt für alle Pflegestufen. Außerdem kann sie auch von jenen genutzt werden, die zwar keine Pflegestufe haben, wohl aber unter einer attestierten erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz leiden.
Für die Zeit der Kurzzeitpflege wird die Hälfte des Pflegegeldes weitergezahlt. Abweichend davon gibt es für den ersten und den letzten Tag den vollen Betrag. Kompliziert wird es dann, wenn Mittel der Verhinderungspflege ins Spiel kommen. Die gesetzlich Versicherten haben in diesem Fall ein Wahlrecht. Wenn sie erst die Kurzzeitpflege und danach die Verhinderungspflege nutzen, wird das halbe Pflegegeld für maximal 56 Tage gezahlt. Werden jedoch die Mittel der Verhinderungs- auf die Kurzzeitpflege explizit übertragen, gibt es nur für höchstens 28 Tage das halbe Pflegegeld.
Das geht aus einem Rundschreiben des Spitzenverbandes Bund der Gesetzlichen Kassen vom 19. Dezember 2014 hervor. In der privaten Pflegepflichtversicherung ist die Kombination von Kurzzeit- und Verhinderungspflege ebenfalls möglich. Hier wird das halbe Pflegegeld immer für bis zu 56 Tage gezahlt. Eine Begrenzung auf 28 Tage gibt es nicht.
Über diese komplizierten Regelungen sollen Pflegeberater die Betroffenen ausdrücklich informieren. Auf eine solche kostenfreie und anbieterneutrale Beratung besteht ein Rechtsanspruch. Gesetzlich Versicherte wenden sich an ihre Pflegekasse oder einen Pflegestützpunkt, privat Versicherte an die Compass Pflegeberatung. Die Experten haben nicht nur die Adressen der in Frage kommenden Einrichtungen. Sie können auch bei den Antragsformalitäten helfen.
Berücksichtigen sollte man: Die Pflegeversicherung übernimmt zwar Kosten für die Hilfe bei der Körperpflege, der Ernährung, der Mobilität sowie für die soziale Betreuung und medizinische Behandlungspflege in der Einrichtung. Für Unterkunft und Verpflegung zahlt der Pflegebedürftige selbst. Das gilt auch für die Fahrt- sowie eventuelle Investitions- und Ausbildungskosten. Uwe Strachovsky
Zeitorientierungswerte nur Anhaltspunkte für Pflegebegutachtung
Was muss ich tun, um für meine Mutter eine Pflegestufe zu bekommen? Was besagen die Zeitorientierungswerte bei der Pflegebegutachtung, zumal ja die individuelle Situation des Betroffenen berücksichtigt werden müsste? Habe ich irgendwie Einfluss darauf?
Elke W., Halle
Um eine Pflegestufe zu erhalten, muss man einen Gutachter anfordern. Dieser will vor allem wissen, wie lange man Hilfe für bestimmte Verrichtungen im häuslichen Alltag benötigt. Denn der Faktor Zeit ist ein entscheidendes Kriterium für die Einstufung.
Für Angehörige ist es daher empfehlenswert, im Vorfeld des Gutachtertermins ein Pflegetagebuch zu führen, in dem genau jede Hilfestellung in ihrer realen Dauer festgehalten wird. Dies dient unter anderem dazu, dem Fit-Sein-Wollen des Hilfebedürftigen am Tag der Begutachtung mit Fakten begegnen zu können. Denn noch immer scheuen sich viele Ältere, Unterstützung anzunehmen, obwohl sie einen gesetzlichen Anspruch darauf haben.
Um dem Gutachter für seine Einschätzung Anhaltspunkte zu geben, wurden sogenannte Zeitorientierungswerte ermittelt. Sie berücksichtigen Zeiten von pflegenden Laien und sind nicht verbindlich. Entscheidend ist der Einzelfall. Abweichungen muss der Gutachter aber begründen. So geben die Richtlinien des Spitzenverbandes Bund der Gesetzlichen Krankenkassen von 2013 beispielsweise 20 bis 25 Minuten für die Ganzkörperwäsche und 15 bis 20 Minuten für eine Hauptmahlzeit inklusive Trinken vor. Das Umsetzen vom Rollstuhl in die Badewanne wird mit einer Minute, Haare kämmen mit maximal drei Minuten veranschlagt. Diese Richtlinien gelten auch für die Begutachtung von Privatversicherten.
Die Werte beziehen sich auf Standards. Doch der Alltag sieht oft anders aus und ist individuell unterschiedlich. Gerade bei Menschen mit Demenz ist es kaum möglich, mit solchen Zeitkorridoren auszukommen. Auch »aktivierende Pflege« - solche, die die Selbstständigkeit erhalten, fördern oder wiederherstellen soll - verlangt mehr Zeit. Außerdem ergeben sich höhere Zeitaufwände ganz einfach aus dem Lebensalter oder aus bereits vorhandenen Erkrankungen.
Der Spitzenverband listet dazu unter anderem auf: ein Körpergewicht von über 80 Kilogramm, die Steifheit großer Gelenke, Schluck- oder Atemstörungen, unkontrollierte Bewegungen, Abwehrverhalten, stark eingeschränktes Sehen oder Hören, pflegebehindernde räumliche Verhältnisse oder ein zeitaufwendiger Einsatz von Hilfsmitteln wie bei Hebeliftern.
Um besser darauf eingestellt zu sein, sollten Angehörige und Pflegebedürftige hierzu eine kostenlose, individuelle und unabhängige Beratung nutzen. In vielen Regionen gibt es Pflegestützpunkte, an die sich gesetzlich Versicherte wenden können. Ist ein solcher Pflegestützpunkt nicht vorhanden, gibt die Pflegekasse Auskunft, für privat Versicherte übernimmt das die Compass Pflegeberatung. Unter der kostenlosen Rufnummer 0800 101 88 00 erhalten dort auch gesetzlich Versicherte telefonische Auskünfte. Mancherorts stehen auch Ansprechpartner wie die Alzheimer-Gesellschaft zur Verfügung. Denn bei Demenzkranken kann die Begutachtung besonders schwierig sein.
Noch ein Hinweis zum Pflegetagebuch: Angehörige sind angesichts des wechselhaften Krankheitsverlaufs oft unsicher, welcher Aufwand für das Pflegetagebuch maßgeblich ist. Günstig ist es, die Eintragungen über einen längeren Zeitraum fortzuführen. Gabi Stephan
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