Hirnforscher mit poetischer Ader

Von Rebellen, Fischen und dem frühen Tod eines Genies

  • Lesedauer: 3 Min.

Der älteste Sohn eines Arztes wuchs in behüteten Verhältnissen auf. Als Kind wurde er zunächst von seiner Mutter unterrichtet, dann besuchte er eine Privatschule und trat mit elf Jahren in ein humanistisches Gymnasium ein. Hier musste er nicht nur Latein und Griechisch lernen, sondern auch Französisch und Italienisch. Zwar tat er all dies mit großem Fleiß, aber wenig Neigung. Viel mehr interessierte er sich für die Naturwissenschaften, für Philosophie und Geschichte. Als er aufgefordert wurde, zum Semesterabschluss eine Rede zu halten, verteidigte er darin Cato, einen Feind Cäsars und glühenden Verfechter der Römischen Republik, der aus Freiheitsliebe den Freitod gewählt hatte. Damit stellte er durch die Blume zum ersten Mal öffentlich die Ordnung des Obrigkeitsstaates in Frage. Mit 17 verließ er das Gymnasium - mit einem Reifezeugnis in der Tasche, das ihm »gute Anlagen« und einen »klaren und durchdringenden Verstand« bescheinigte.

Auf Wunsch seines Vaters nahm er in Straßburg ein Medizinstudium auf, um in diesem »kleinen Paris« das weltmännische Leben und die empirische Wissenschaftsauffassung der Franzosen kennenzulernen. Von Frankreich aus betrachtet erschien ihm seine Heimat wie ein zurückgebliebener Feudalstaat: »Die politischen Verhältnisse könnten mich rasend machen. Das arme Volk schleppt geduldig den Karren, worauf die Fürsten und Liberalen die Affenkomödie spielen.« Obwohl er selbst revolutionäre Gedanken hegte, wohnte er im Haus eines Pfarrers, mit dessen Tochter er sich heimlich verlobte. Später bezeichnete er seine frühen Straßburger Jahre als die glücklichste Zeit seines Lebens.

Zurückgekehrt in seine Heimat, setzte er sein Studium an der Universität Gießen fort. Doch die Enge der Kleinstadt schlug ihm alsbald aufs Gemüt. Zumal er die oppositionellen Bestrebungen seiner Kommilitonen für nicht radikal genug hielt. Da die Studenten außerdem unter sich bleiben wollten, gründete er nach französischem Vorbild eine Geheimorganisation, die auch anderen Menschen offen stand. Während er sich tagsüber in die medizinische Fachliteratur vertiefte, dachte er vor allem nachts über den Umsturz der politischen Verhältnisse nach und legte seine Ideen in einer sozialrevolutionären Flugschrift nieder. Von der Polizei wurde er deswegen steckbrieflich gesucht und floh nach Straßburg.

Einige Tage zuvor hatte er sein erstes Drama vollendet, das jedoch erst 67 Jahre später in Berlin uraufgeführt werden sollte. Auch seine beiden anderen nachgelassenen Stücke sowie eine Erzählung fanden erst nach seinem Tod die ihnen gebührende Anerkennung.

In Straßburg widmete er sich voller Elan der wissenschaftlichen Forschung und verfasste in relativ kurzer Zeit ein weiteres Meisterwerk: eine Dissertation über das Nervensystem und Gehirn der Fische. In der Fachwelt war man begeistert von den Erkenntnissen des Jungmediziners, der mit 22 Jahren an der Universität Zürich promoviert wurde - in Abwesenheit und aufgrund der Gutachten von vier renommierten Professoren. Einen Monat später ließ er sich selbst in Zürich nieder, denn man hatte seine Dissertation auch als Habilitationsschrift anerkannt. Nachdem er seine Probevorlesung »Über die Schädelnerven« gehalten hatte, durfte er als Privatdozent lehren. Viele Studenten kamen allerdings nicht zu seinem Kurs über tieranatomische Demonstrationen, in dem er zumeist selbst gefertigte Präparate verwendete.

Gleichwohl plante er für das folgende Semester erneut eine Lehrveranstaltung, die aber nicht mehr stattfand. Denn er erkrankte schwer an Typhus. Möglicherweise hatte er sich beim Umgang mit seinen Präparaten infiziert. Ein befreundetes Ehepaar pflegte ihn und rief seine Verlobte ans Krankenbett. Kurz darauf starb er im Alter von nur 23 Jahren. Im Beisein von Kollegen und städtischen Würdenträgern wurde er auf dem Zürcher Friedhof »Krautgarten« beerdigt.

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