Werbung

»Wir zerreißen die Tiere nicht«

Am Niederrhein arbeiten Produzenten, Schlächter und Händler im Verbund

  • Walter Schmidt
  • Lesedauer: 6 Min.
Der Kampf um Niedrigstpreise und kriminelle Energie führen immer wieder zu Lebensmittelskandalen - wie derzeit um vergammeltes Fleisch. Dass es Wege gibt, sich der für alle ruinösen und ungesunden Preisdrückerei zu widersetzen, beweist seit knapp 20 Jahren ein Bündnis von rund 250 Landwirten, Schlachthöfen und Metzgern. Die Kunden honorieren ein Bemühen, das trotz deutlich höherer Preise Schule machen könnte.
Geschichten, die happy enden dürfen, brauchen einen unschönen Anfang. Im Falle der mittelständischen Schlachterei Thönes im niederrheinischen Wachtendonk begann der Ärger 1987. »Es gab Zoff in der Familie«, erinnert sich Thomas Thönes, der Inhaber des über 30 Jahre alten Fleisch-Unternehmens mit 60 Angestellten. »Meine Mutter wollte kein Fleisch mehr essen und Vegetarierin werden.« Sie hatte genug von Koteletts und Schnitzeln, die bleich und wässrig waren und in der Pfanne zusammenschnurrten.

Hohe Nitratwerte waren der Auslöser
Keineswegs zufällig mussten zeitgleich alle Trinkwasser-Brunnen in Wachtendonk stillgelegt und die Einwohner mit Tankwagen versorgt werden. »Unser Wasser enthielt zuviel Nitrat«, sagt Thönes. Das passiert, wenn Bauern zuviel künstlichen Stickstoff-Dünger und Gülle aus Tierställen auf ihren Feldern verteilen.
Bei der Suche nach einem Ausweg fiel der Familie auf: Das Fleisch von manchen Höfen verlor beim Braten wenig Gewicht, sah schöner aus und schmeckte besser. »Da dachten wir, daraus müsste sich doch etwas machen lassen«, berichtet Thomas Thönes. Sein Vater Egidius, damals Inhaber der Schlachterei, suchte einen Unternehmensberater auf - es entstand die Idee zum Natur-Verbund.
Die Kernidee des seit 1988 aktiven Bündnisses aus mittlerweile rund 250 Haupt- und Nebenerwerbs-Landwirten, dem Schlachtbetrieb und rund 50 Metzgereien ist so simpel wie leider ungewöhnlich: Fleischerzeuger, Schlachter und Metzger sind einander wechselseitig verpflichtet. Die Bauern etwa sichern dem Schlachter zu, nur Tiere zu liefern, die ein Leben vor dem Tode hatten - zwar ein kurzes, aber halbwegs artgerechtes, auch bei Nicht-Bio-Fleisch.
Der Schlachthof garantiert den Bauern, ihnen ihr Fleisch zu fairen Preisen abzunehmen. »Damit setzen wir übliche Regeln des Marktes teils außer Kraft« sagt Thomas Thönes. »Erst diese Abnahmegarantie macht unser Verbundsystem möglich.« Viele Markenfleisch-Programme seien am Fehlen solcher Gewähr zerbrochen. Wenn Tage wie Weihnachten oder Ostern etwa den Bedarf an Filets erhöhen, von denen es pro Tier nun mal nur zwei gibt, bekommen die Metzger als Dritte im Bunde Sonderkonditionen, damit sie weiterhin ganze Tiere kaufen können, sagt Thönes.
Kein Gramm wird als Gefrierware angeboten - was die Metzger an Fleisch und Rohstoff für ihre eigenen Würste nicht abnehmen und auch die Kühltheken einiger Supermärkten nicht aufnehmen, verarbeitet Thönes in der eigenen »Wurstküche« zu rund 50 Sorten. »Dadurch halten wir das System stabil und kommen nicht in einen Mengendruck hinein«, sagt Elmar Damke, der seit 1987 die Marke Thönes bewirbt. Die totale Unabhängigkeit von den in Verruf geratenen »Spot-Märkten«, wo Überhang-Fleisch per Telefon verscherbelt wird, ist zentral im Konzept.
Die Fleischerläden heißen »Natur-Metzgereien«, weil sie nur Thönes-Fleisch und eigene Wurst daraus verkaufen. Zusätzlich klären sie ihre Kunden über den Produktionsweg auf - mit Faltblättern, Plakaten, einem Bauernbuch mit Fotos der Erzeuger und ab und an besuchen sie mit ihren Kunden die Bauernhöfe des Verbundes.
Auch der Schlachthof lässt sich besichtigen - selbst unangemeldet«, sagt Thönes. Dafür gibt es eine »Besucherkanzel«, von der aus Interessierte durch eine Glasscheibe die Schweine und Rinder im Wartestall und auf ihrem kurzen letzten Weg zur Schlachtbox beobachten können. Eine Videokamera liefert Bilder übers Internet (www.thoenes.de).
Ungewöhnlich ist, was Besucher von fünf und neun Uhr morgens sehen können: schlafende Schweine. Diese treffen nicht wie üblich kurz vor der Schlachtung ein, worauf ihnen nur eine halbe Stunde Ruhe gegönnt wird, sondern am Vorabend, stets angeliefert vom jeweiligen Tierhalter. Messungen der Tierärztlichen Hochschule Hannover zeigen, dass diese Tiere vergleichsweise ruhig sind - der Herzschlag ist weniger aufgeregt und das Blut deutlich geringer mit Stresshormonen belastet.
In der Schlachtung tätig sind nur ausgebildete Metzger: »Gerade im sensibelsten Bereich müssen die besten Leute arbeiten«, hat schon Firmengründer Egidius Thönes gefordert. Alle Mitarbeiter sind fest angestellt und bauen Überstunden in ruhigeren Phasen ab. Das fördert nicht nur die Identifikation mit dem Arbeitgeber, sondern schließt auch den Einsatz von Akkord-Schlächtern aus. »Fast jede Woche bekomme ich Angebote aus Osteuropa«, berichtet Thönes und zeigt eine E-Mail mit der jüngsten Offerte. Darin bietet eine Agentur aus dem slowakischen Bratislava »erfahrene«, aber »günstige Fachkräfte« an, die »schnell und unkompliziert« anrücken könnten. In Wachtendonk haben sie keine Chance - nicht nur wegen des Stammpersonals. »Unser Haus ist auf kleine Chargen ausgelegt«, sagt Thönes. Pro Woche lassen im Schnitt 800 Schweine, 65 Fleischrinder und 20 Lämmer ihr Leben; seit fünf Jahren, als die eigene Geflügelschlachtung einsetzte, zudem 5500 Hühner, Poularden, Puten und Gänse.

Viel Arbeit, aber doppelte Gewinne
Verglichen mit üblichen Massenschlachtungen sind solche Zahlen ein Klacks. »Der größte deutsche Schlachtbetrieb schafft das, was wir in einer Woche verarbeiten, in anderthalb Stunden«, weiß Thönes. Dort hätten die Tierärzte viel weniger Zeit für die Fleischbeschau als in Wachtendonk. Zudem gingen hier die Schlachter mit Respekt vor der Kreatur zu Werke. »Alle Mitarbeiter wissen um die Kostbarkeit der Tiere. Wir zerreißen sie nicht«, sagt der Marketing-Beauftragte Damke.
Den Bauern im Natur-Verbund verlangt die Arbeit Mehraufwand ab. »Die Ställe unserer Schweine müssen täglich ausgemistet und neu eingestreut werden«, erzählt Günter Buschhaus aus Wachtendonk, der 800-1000 Tiere inklusive eigener Ferkel aufzieht. »Ohne die Haltung in Gruppen könnten wir doppelt so viele Tiere unterbringen.« Doch schon sein Vater Heinz habe für Thönes Schweine gehalten, und wie dieser will er Qualität herstellen. So erziele er einen doppelt so hohen Gewinn - pro Schwein 15 bis 20 Euro.
Auch Heinz-Jürgen Krouhs mag kein Billigfleisch herstellen: »Für mich gehören die Tiere auf Stroh und im Sommer auf die Weide.« Der Landwirt aus dem benachbarten Kempen hält rund 400 Rinder, davon 80 bis 90 Mutterkühe, die ihre Kälber bei sich haben. »Kuh und Kalb entwickeln ein eigenes Kleinklima«, berichtet Krouhs. Wie bei gestillten Kinder baut sich im säugenden Kalb ein individueller Immunschutz auf. »So brauchen wir keine Medikamente.« Krouhs sieht dabei die Tierhaltung nicht romantisch - er lebt von geschlachteten Tieren, nicht von fressenden. Doch will er, dass es ihnen gut geht in ihrem kurzen Leben. In seinen Tageslicht-Ställen und Gehegen fühlten sich die Kühe »sauwohl«. Von den meisten Schweinen lässt sich das nicht behaupten.
Die Geschichte könnte sarkastisch schließen, nämlich so: »Heute fällt denen im Schlachthof zwar auf, wenn man bei einer Lieferung den Rinderpass, also das vorgeschriebene Begleitpapier, zu Hause vergessen hat«, erzählt Altbauer Heinz Buschhaus. »Aber wenn das Rind fehlt, würde das keiner merken«. Doch ein schönes Ende war versprochen. Hier ist es: Die Mutter von Thomas Thönes kann Fleisch wieder genießen.
App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal