Giftiges Quecksilber
Hitlers Fracht für Japans Endsieg - doch U-864 schaffte es nur bis zur Küste Norwegens
U-864 ist das erste U-Boot, das von einem ebenfalls getaucht fahrenden Feindboot versenkt worden ist. Das war am 9. Februar 1945. Die Torpedos kamen vom britischen U-Boot »HMS Venturer«. Das Wrack vom unterlegenen U-864 liegt in 150 Meter Tiefe unweit der kleinen norwegischen Insel Fedje.
Das Boot vom Typ IX D2 war von Bergen ausgelaufen. An Bord 70 Mann Besatzung und drei Gäste. Die wollten in ihre Heimat. Nach Japan. Das Boot war mit Konstruktionszeichnungen von Messerschmidt-Düsenjägern, Triebwerkskomponenten sowie anderen kriegswichtigen Gütern beladen. Dazu gehörten 1857 Flaschen mit Quecksilber. Insgesamt 65 Tonnen. Ziel der Absender war es, das kaiserliche Japan im Kampf gegen die USA zu unterstützen.
Für Marinehistoriker mag das Gefecht interessant sein, für den Ingenieur Wolfgang Lauenstein aus Ludwigshafen ist das Wrack wegen des Quecksilbers zur Lebensaufgabe geworden. Vor vielen Jahren schon hat er bei einem Norwegen-Urlaub davon gehört. Fischer erzählten von der Sorge, das rostende Wrack könnte ihre Existenz bedrohen. Und so kam es. Die norwegischen Behörden erließen ein Fangverbot für das Seegebiet.
Der pensionierte Maschinenbauer Lauenstein aber fragt sich: Wie kann die hochgiftige Fracht geborgen werden? Er begutachtete Videomaterial, das ein Tauchroboter von den beiden Wrackteilen gemacht hatte, die 40 Meter voneinander entfernt liegen. Lauenstein studierte den Aufbau des U-Bootes, lokalisierte die mutmaßlich im Ballastkiel des Bootes untergebrachte Giftfracht, ließ sich von Chemikern erklären, dass Meerwasser und Quecksilber eine Verbindung eingehen können, die eine ganze Nahrungskette beeinträchtigen kann. Er rechnete aus, wie lange die Flaschen ihren Inhalt noch einschließen können. Er schlug Alarm, entwickelte Techniken, um die tickende Zeitbombe am Meeresgrund zu entschärfen. Wichtige Informationen über das Schiff erhielt Lauenstein vom deutschen U-Boot-Archiv in Cuxhaven, aus den USA und von einem Bergungsexperten, der das baugleiche U-859 untersucht hatte. Es ist bei Malaysia gesunken. Aus dem Wrack waren 500 Quecksilberflaschen geborgen worden.
Was passierte vor Norwegen? Es gab vergebliche Versuche, an das U-Boot heranzukommen. Auch debattierte man darüber, das Wrack unter einem Geröllberg zu begraben. Dagegen liefen Umweltschützer und Anwohner erfolgreich Sturm. Immer wieder warnte der Mann aus Ludwigshafen vor unbedachten Aktionen. Das ist sein Job, immerhin ist Lauenstein seit 2007 Berater des norwegischen Küstenschutzes NCA. Doch eigentlich nur, »um mich kalt zu stellen«, mutmaßt der Ingenieur im »nd«-Gespräch. Und versprach: »Ich nerve weiter allerlei Behörden.« Sogar an Jens Stoltenberg hat er geschieben. Das war noch vor dessen Zeit als NATO-Generalsekretär. Lauenstein dachte, so von Sozialdemokrat zu Sozialdemokrat könnte man sich verständigen. Vergebliche Hoffnung.
Deutschland übernimmt keine Verantwortung. Und so schiebt man das hochgiftige Problem in Oslo weiter vor sich her. 70 Jahre nach dem Untergang von U-864.
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