Ehre, Bürger, Ehrenbürger

Die Barlachstadt Güstrow »bereinigte das Umfeld« für ihren Namensgeber und einen Altbundeskanzler

  • Detlef D. Pries
  • Lesedauer: ca. 6.5 Min.

In der vergangenen Woche erkannte die mecklenburgische Kreisstadt Güstrow dem ehemaligen Nazi-Gauleiter und Reichsstatthalter für Mecklenburg, SS-Obergruppenführer Friedrich Hildebrandt (1898-1948), die Ehrenbürgerschaft ab, die ihm das Stadtparlament vor mehr als 73 Jahren - im Mai 1933 - verliehen hatte.

Güstrow genießt seit dem 23. März dieses Jahres die Ehre, sich ganz offiziell »Barlachstadt« nennen zu dürfen. Zwar wurde der große Bildhauer, Grafiker und Schriftsteller Ernst Barlach (1870-1938) weder in der Stadt geboren noch liegt er dort begraben. Doch sein Hauptwerk schuf er eben in Güstrow, wohin es ihn 1910 durch die Lebensumstände verschlug.
Es hätte wohl keiner regierungsamtlichen Genehmigung bedurft, Güstrow zu sagen und dabei an Barlach zu denken, aber hierzulande muss alles seine »kommunalverfassungsrechtliche« Ordnung haben, und also verlieh Mecklenburgs Innenminister Gottfried Timm der Stadt antragsgemäß besagten Namenszusatz, womit, wie es hieß, »die besondere Bedeutung des Lebens und Schaffens Ernst Barlachs für die Stadt gewürdigt« werde - also nicht eigentlich der Künstler selbst. Bürgermeister Arne Schuldt erhoffte sich davon denn auch im besten Neudeutsch »weitere positive Impulse für das Stadtmarketing«.
Als Ort der Ausstellung, der Bewahrung und der Pflege Barlachscher Kunst ist Güstrow indes seit Jahrzehnten bekannt. Gerade dieser Bekanntheit verdankte die Stadt am 12. Dezember 1981 den Besuch des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt, eines Verehrers Barlachscher Kunst, der an der Seite Erich Honeckers das ehemalige Atelierhaus des Künstlers am Heidberg und den Güstrower Dom besichtigte, in dem der berühmte »Schwebende« hängt, Barlachs Ehrenmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs, das in Wahrheit ein Mahnmal gegen jeglichen Krieg ist.
Woran man sich im Nordosten erst jüngst wieder erinnerte, als George W. Bush die »terrordicht« abgeriegelte Altstadt Stralsunds beehrte: Auch Schmidt war seinerzeit 1981 vor allzu engem Kontakt mit ortsansässigem Publikum geschützt worden. Die Güstrower Stadtväter machtens Jahre später wett, indem sie dem Altbundeskanzler 1995 die Ehrenbürgerwürde verliehen.

Helmut Schmidt in schlechter Gesellschaft
Allerdings geriet Schmidt damit - sicherlich ohne eigenes Wissen - in schlechte Gesellschaft. Neben einstigen Bürgermeistern, Schuldirektoren, einem Domprediger und antifaschistischen Widerstandskämpfern enthielt die Liste der Güstrower Ehrenbürger nämlich auch den Namen Friedrich Hildebrandt (1898-1948). Wer wann entdeckte, dass der ehemalige Nazi-Gauleiter und Reichsstatthalter für Mecklenburg, der 1947 von einem US-amerikanischen Militärgericht in Dachau wegen Kriegsverbrechen (Tötung gefangener alliierter Flieger) verurteilt und 1948 in Landsberg hingerichtet wurde, noch immer als Träger städtischer Ehren figurierte, bleibt im Dunkel. Güstrows Pressesprecherin Barbara Zucker erklärt, ihres Wissens sei das stets mehr oder weniger bekannt gewesen. Dass schon eine Festschrift zum 725-jährigen Bestehen Güstrows im Jahre 1953 keinen Hildebrandt als Ehrenbürger mehr aufführt, kann sie nicht deuten: »Da war ich noch nicht geboren.« Wurde Hitlers Gefolgsmann zu DDR-Zeiten stillschweigend gestrichen oder gab es schon damals einen förmlichen Beschluss über die Aberkennung der Ehrenbürgerschaft? Danach wurde offenbar nicht gefragt. Sie selbst, sagt Frau Zucker, habe 2003 an einer Jubiläumsschrift mitgearbeitet, und auch da habe man »manche benannt und andere nicht benannt«. Aber gewusst habe man um Hildebrandt durchaus. Fragt sich, warum es bis 2006 dauerte, dem Nazi-Bonzen die Ehre abzuerkennen.
Debatten unter Abgeordneten und in der Verwaltung, auch anonyme Forderungen nach Tilgung dieses Makels habe es gegeben, verriet Bürgermeister Schuldt Anfang dieses Jahres dem »Güstrower Anzeiger«. Im selben Monat, da Güstrow sich mit dem Namenszusatz »Barlachstadt« schmückte, beschloss der Hauptausschuss der Stadtvertretung endlich, dem Parlament einen entsprechenden Vorschlag zu unterbreiten. Im Mai erhielten Güstrows Bürger entsprechend den Regularien Gelegenheit, ihre Meinung zum Fall Hildebrandt zu äußern. Doch niemand meldete sich zu Wort, bedauert Barbara Zucker. Auch von Ehrenbürger Schmidt ist keine Äußerung bekannt.
Vielleicht meinten die Güstrower, Prof. Dr. Wolf D. Gruner, Historiker an der Universität Rostock, habe in seinem Beitrag für die Regionalzeitung alles gesagt: Gruner - der vormals in München und Hamburg lehrte - hatte dem Hitler-Getreuen bescheinigt, dass er »zu den bekanntesten Mecklenburgern des 20. Jahrhunderts« zählte, sich »erfolgreich für die Verbesserung der sozialen Lage der Landbevölkerung« einsetzte und »unter den Mecklenburgern beliebt« war. Dagegen stellte er Intoleranz, ausgeprägtes Machtbewusstsein und Rücksichtslosigkeit Hildebrandts. Und: »In der Endphase des Krieges hinterließen seine Blutgerichte und seine Lynchjustiz ihre blutige Marke im Land.« So falle Hildebrandt »sicherlich« in die Kategorie derer, die »rechtsstaatliche Grundsätze mit Füßen getreten und die Rechte und die Würde des Menschen verletzt haben« und »nicht in die politische und historische Kultur des demokratischen Deutschland hineinpassen«. Gruner schloss: »Der Ehrenbürger Güstrows Helmut Schmidt würde sich in einem bereinigten Umfeld sicherlich wohler und würdiger fühlen.«
Aber dachte denn niemand an Barlach? Erinnerte niemand daran, dass man sich nicht mit seinem Namen schmücken und zugleich einen Hildebrandt ehren kann? Der hatte schließlich etliches dazu beigetragen, dass dem Künstler das Leben in Güstrow zur Hölle wurde.

»Feine Leute haben eben feine Künstler«
1909 - noch nicht Bürger der Stadt - hatte Barlach geschrieben, Güstrow könne sich »sehr wohl neben eine toskanische Stadt stellen«, und ein gutes Jahr später: »An Berlin denke ich mit Schauder und Graus, und Italien war ein trister Aufenthalt gegen Güstrow.« Gewiss, sein Werk verstanden die wenigsten Güstrower, Barlach war oft einsam in der Stadt und litt unter dieser Einsamkeit, die er doch gesucht hatte. 1928 schrieb er immerhin: »Man nimmt mich nun in Güstrow in Gnaden an. Ich gehöre jetzt mit dazu. Die Güstrower denken: Feine Leute haben eben auch feine Künstler.« Da hing sein »Schwebender«, in den ihm unbeabsichtigt die Züge der Käthe Kollwitz »hineingekommen« waren, schon ein Jahr lang im Dom; die Bürgerschaft hatte mit Spenden zur Finanzierung beigetragen.

Der Nazi-Bonze und »der deutsche Mensch«
Barlachs Situation änderte sich jedoch gründlich, als die Faschisten an die Macht kamen. Gauleiter Hildebrandt war kaum als Reichsstatthalter in Schwerin eingezogen, da erhoben ihn Güstrows Stadtverordnete ob seiner »Verdienste um die NSDAP-Bewegung« zum Ehrenbürger - einstimmig. Die KPD war freilich schon verboten, die SPD - so protokollierte die »Mecklenburger Tageszeitung« - »spricht nicht zu diesem Punkt«. Es war die letzte Stadtverordnetensitzung, an der die Sozialdemokraten teilnehmen durften.
Monate später, im Februar 1934, wetterte Hildebrandt, Barlach sei »dem deutschen Wesen fremd«. Und weiter: »Der deutsche Mensch kennt nicht wie Barlach den Bauern als einen faul auf die Erde gestreckten Menschen, sondern als einen harten, selbstbewussten Mann, der gewillt ist, alle Schwierigkeiten zu überwinden, der mit brutaler Faust, mit dem Schwert in der Hand sich den Weg bahnt.«
Inzwischen waren die ersten Arbeiten des Künstlers bereits aus Ausstellungen entfernt und Veranstaltungen zu seinen Ehren abgesagt worden. Barlach wandte sich angesichts dessen persönlich an Hildebrandt und bat den Reichsstatthalter, ihm über seine »allgemeinen Rechte als Künstler im Lande Mecklenburg und Lübeck eine Aufhellung zuteil werden zu lassen«. Der Nazi antwortete, man könne sich über eine Anerkennung ja vielleicht verständigen, wenn nicht die »slawische Trägheit« Barlachscher Figuren »in solchem Widerspruch zu gesundem nordischen Empfinden stünde«. Hildebrandt wollte »Heldenjünglinge, hart, muskulös, aufrecht, mit trotzigem Blick«. Damit konnte Barlach nicht dienen, dessen Sitzende, Liegende, Schlafende, Träumende, Zweifelnde so viel wahrhaftige Menschlichkeit ausstrahlten. Und seinen »ganzen Krempel« - darauf war er stolz - hatte er sich schließlich »von der Straße« geholt.
1935 holte Hildebrandt zum Vernichtungsschlag aus: »Wir haben das liberalistische Treiben eines mecklenburgischen Künstlers, der Kriegerdenkmäler in der übelsten verzerrten bolschewistischen Weise schuf, unterbunden. Und ich hoffe, dass die letzten Spuren seiner schrecklichen Werke bald von den Stätten, wo sie noch stehen, beseitigt werden...«
Güstrow erfüllte diese Hoffnung: Der »Dorfgeiger«, Barlachs Geschenk an die Stadt, wurde verscherbelt, und am 24. August 1937 wurde der »Schwebende« aus dem Dom entfernt. »Der Engel ist weg, jetzt ist meines Bleibens hier nicht mehr«, klagte der vielfach Verleumdete, Bedrohte und Boykottierte. »Abscheulich zu sagen, aber das Gefühl, in G. überflüssig und nicht hingehörig zu sein, nimmt überhand.« Alle Wölfe heulten gegen ihn und hinter ihm. Barlach starb 1938 in einer Rostocker Klinik. Friedrich Hildebrandt gehörte zu seinen geistigen Totengräbern.
Unter Tagesordnungspunkt 30 stimmte die Güstrower Stadtvertretung am vergangenen Donnerstagabend im nichtöffentlichen Teil ihrer Sitzung über die »Aberkennung eines Ehrenbürgerrechts« ab. Die späte Entscheidung fiel - ohne weitere Debatte - e...

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